Motorisierungsgrad in Europas Städten
Der Autobestand in Europa wächst. Schaut man auf die Verkaufszahlen der ersten zwei Monate, dann dürfen sich die Autobauer über den europäischen Markt freuen: plus 4,3 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Zugleich aber wird deutlich: In den Metropolen wird es deutlich unattraktiver, ein Auto zu besitzen.
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Der Motorisierungsgrad, also die Frage des Kfz-Bestands auf tausend Einwohner, gibt mittlerweile auch einen guten Eindruck darüber, wie es über den mobilen und ökologischen Entwicklungsstand einer Stadt bzw. eines Ballungsraumes bestellt ist. Oder simpel gesagt: wie Mobilitätsbedürfnisse abgedeckt werden.
Kfz-Bestand in Österreich
Zum 31.12.2017 waren in Österreich laut Statistik Austria rund 6,77 Mio. Kraftfahrzeuge zum Verkehr zugelassen, um 1,8 Prozent mehr als zum Stichtag 2016. Auf die anteilsmäßig wichtigste Fahrzeugart Pkw entfielen 72,3 Prozent. Unter den einspurigen Fahrzeugen waren 518.394 Motorräder und 275.912 Motorfahrräder zugelassen.
Blickt man auf Wien, so sind knapp 80 Prozent des Kfz-Bestands Pkws, über zehn Prozent entfallen auf „Krafträder“. Mit einem Wert von 371 Kraftfahrzeugen pro 1.000 Einwohner unterscheidet sich Wien schon mal deutlich von den österreichischen Landeshauptstädten, die allesamt eher bei der 500er-Marke in diesem Bereich liegen.
Drastischer sieht der Motorisierungsgrad im Speckgürtel aus. Hier zeigen die Randbezirke in der interaktiven Karte der Statistik Austria Werte im 700er- bzw. 800er-Bereich.
Wien und die Landeshauptstädte
Wenn man nun wie die Grünen in Wien die bessere Bilanz Wiens gegenüber anderen Hauptstädten ins Treffen führt, wie zuletzt auf Facebook, dann bleibt die offene Frage nach den Vergleichsgrößen. Auch in Deutschland schneiden Städte im Bereich von hundert- bis zweihunderttausend Einwohnern ähnlich ab wie Österreichs Landeshauptstädte, wie ein Blick auf die interaktive Karte von ORF.at zeigt.
Deutlich wird: Metropolen haben ganz andere Mobilitätsparameter als kleine Städte und ländliche Räume, in denen das Auto von der Bevölkerung deutlich höher in Anspruch genommen wird bzw. je nach öffentlicher Verkehrsausstattung auch in Anspruch genommen werden muss.
Die Wiener Quote im Vergleich zu Deutschland
Vergleicht man Wien mit entsprechend großen Städten im Autoland Deutschland, dann relativiert sich der Wert von 371. München kommt auf 349 Kfz pro tausend Einwohnern, Hamburg auf 346, Berlin auf einen Motorisierungsgrad von 384.
Ähnlichkeiten zwischen Wien und Berlin: je zentrumsnaher, desto geringer die Neigung zum Autobesitz (Mitte und Kreuzberg/Friedrichshain haben den geringsten Autobesitz, am Rand, vor allem im Westen, gehen die Bestandszahlen im flächig großen Berlin rasch nach oben). Allerdings: Auf Bestandswerte wie in Wien-Donaustadt (mit Ausnahme der Seestadt, wo die Autoquote sehr niedrig ist), kommt kein einziger Bezirk in Berlin auf einen Wert über 500 wie im Fall der Donaustadt.
Europäische Perspektive
Insgesamt zeigt ein Blick auf die Metropolen Europas: Wo der Betrieb vor allem von Pkws verteuert wurde, sinkt die Motorisierungsquote einer Stadt. Plus: Wo entsprechend öffentliche Verkehrsangebote bestehen, ist der Autobestand rückläufig.
Auf der anderen Seite: Städte mit schlechtem öffentlichem Verkehr kommen auf schlechte Motorisierungsquoten. Rom, die Stadt der Motorini, kommt immer auf eine Motorisierungsquote von über 600 (wobei einspurige motorisierte Fahrzeuge einen höheren Anteil gegenüber Pkws aufweisen als in anderen europäischen Städten). Vor zehn Jahren war die Motorisierungsquote in Rom allerdings noch schlechter.
Unter 300 Autos
Radfahrstädte wie Kopenhagen und Amsterdam liegen bei der Motorisierungsquote deutlich unter 300 Autos auf 1.000 Einwohner, Kopenhagen sogar deutlich unter der 250-Auto-Marke. Und erst vor einiger Zeit hat in Kopenhagen die Zahl des Fahrradbesitzes jenen des Autobestandes überholt, wie dänische Medien nicht müde wurden zu berichten. Dass verdichtete Städte automatisch eine niedrige Autobesitzquote hätten, kann man im Fall der nicht gerade hochverdichteten Stadt Kopenhagen kaum ins Treffen führen. Auch dass es einen sozialen Faktor für die Nichtanschaffung eines Autos gäbe, lässt sich für Kopenhagen nicht behaupten.

Christina Nørdam Andersen
Fahrradfahren ist in Kopenhagen nicht nur wegen der Topografie der Stadt deutlich attraktiver, als mit dem Auto unterwegs zu sein
Der Autobesitz ist in Städten wie Kopenhagen unattraktiv geworden. Hoch sind etwa die Abgaben fürs Parken, die auf städtischen Flächen rund um die Uhr entrichtet werden müssen und nicht nur in Kernzeiten. Ähnlich die Situation im finnischen Helsinki. Lag Mitte der 2000er Jahre der Autobestand pro tausend Einwohner bei über 400, so ist der Wert mittlerweile unter 300 gefallen.
Die Zahl 300 kristallisiert sich in den entwickelten Städten Europas zu einer Art Benchmark für deutlich gesenkten Autobestand an. Doch nicht immer wird dieser erreichbar sein. Stockholm etwa, das ja mit der Straßenmaut sehr weitreichende Maßnahmen eingesetzt hat, bleibt über den Werten von Kopenhagen. Wohl auch, weil der Pendlerverkehr in die Stadt von draußen mit dem Auto immer noch besser zu bewältigen ist als in Metropolregionen wie Seeland/Kopenhagen/Malmö.
Links:
Gerald Heidegger (Text), Günter Hack (Daten), beide ORF.at