Themenüberblick

„Schlüssel zur Gleichberechtigung“

Die Deutsche Marlies Krämer hat im Laufe ihres Lebens schon viele juridische Schlachten geschlagen. Besonders die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Sprache ist der 80-Jährigen ein Anliegen, das sie mit Nachdruck vertritt. Die engagierte Pensionistin aus dem Saarland verzichtete etwa in den 90er Jahren so lange auf einen Pass, bis sie als „Inhaberin“ unterschreiben konnte.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Dafür zog sie vor Gericht und erreichte, dass seit 1996 die Formulierung „Inhaber bzw. Inhaberin“ benutzt wird. Die Frauenzeitschrift „Emma“ erklärte sie daraufhin zur „Heldin des Alltags“. 1996 wirkte Krämer auch daran mit, dass die Wetter-Hochs auch Frauennamen bekommen.

Marlies Krämer mit Anwalt im Gerichtssaal

picturedesk.ocom/dpa/Uli Deck

Marlies Krämer kämpft mit ihrem Anwalt Wendt Nassal für die weibliche Anrede in Formularen

Für weibliche Wetter-Hochs

Es war ihr ein Dorn im Auge, dass Frauennamen immer nur für Tiefdruckgebiete hatten herhalten müssen. „Und da hab ich gedacht: Wir Frauen sind eigentlich fürs Leben zuständig und nicht für die Zerstörung“, begründete Krämer damals laut Saarländischem Rundfunk ihren Vorstoß. Nun gibt es auch beim Wetter eine wechselnde, gleichberechtigte Namensgebung, etwa ein Hoch „Käthe“ und umgekehrt ein Tief „Gonzalo“.

Krämer engagierte sich auf kommunalpolitischer Ebene, insbesondere auf dem Gebiet der Umweltpolitik. Sie war von 1987 bis 1994 SPD-Mitglied im Stadtrat von Sulzbach/Saar. Im Jahr 2008 trat sie aus der SPD aus und wurde Mitglied der Linkspartei. Nach der letzten Kommunalwahl zog sich Krämer von ihren politischen Ämtern zurück.

Krämer pocht auf „Kundin“-Anrede

Zuletzt sagte sie der Sparkasse mit ihrer Forderung einer weiblichen Anrede in Sparkassen-Formularen den Kampf an - allerdings ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe wies im März dieses Jahres die Berufung Krämers zurück. Frauen haben kein Recht auf eine weibliche Anrede in Formularen, entschied das oberste deutsche Zivilgericht. Die Pensionistin verfolgte die Entscheidung von zu Hause aus.

Der Sparkassen-Kundin reicht es nicht, dass ihre Bank sie im Gespräch und in persönlichen Schreiben als „Frau“ anspricht. Sie will sich auch in unpersönlichen Formularen als „Kundin“, „Kontoinhaberin“, „Einzahlerin“ und „Sparerin“ wiederfinden. Sie rügte einen Verstoß gegen den im deutschen Grundgesetz garantierten Gleichheitsgrundsatz.

Gericht sieht keine Benachteiligung

„Ich sehe das überhaupt nicht mehr ein, dass ich als Frau totgeschwiegen werde“, sagte sie damals nach der mündlichen Verhandlung vor dem BGH in Karlsruhe. „Es ist mein verfassungsmäßig legitimes Recht, dass ich als Frau in Sprache und Schrift erkennbar bin.“

Korrigiertes Formular

picturedesk.com/dpa/Oliver Dietze

Sie will kein „Kontoinhaber“ sein: Korrigiertes Formular von Marlies Krämer

Das sah der BGH-Zivilsenat mit seinen drei Richtern und zwei Richterinnen nicht so: Mit der verallgemeinernden Anrede in männlicher Form werde sie nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Die Anrede „Kunde“ für Frauen sei weder ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht noch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Generisches Maskulinum „seit 2.000 Jahren“

Die Klage der engagierten Kämpferin für Frauenrechte aus dem Saarland war schon in den Vorinstanzen erfolglos geblieben:  Schwierige Texte würden durch die Nennung beider Geschlechter nur noch komplizierter, argumentierte das Landgericht Saarbrücken. Zugleich verwies es darauf, dass die männliche Form schon „seit 2.000 Jahren“ im allgemeinen Sprachgebrauch bei Personen beiderlei Geschlechts als Kollektivform verwendet werde. „Sprache, die 2.000 Jahre falsch rübergebracht wurde, muss ja nicht noch die nächsten 2.000 Jahre falsch rübergebracht werden“, konterte Krämer.

„Sprache bestimmt Wahrnehmung der Welt“

Auch Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, störte sich an dieser Argumentation. Seit Jahrzehnten setzten sich Linguistinnen, Frauenverbände und Betroffene dafür ein, dass sich Frauen im Rechts- und Geschäftsverkehr sprachlich wiederfinden. „In Sachen geschlechtergerechter Sprache bleibt viel zu tun“, sagte die Jusprofessorin. Die Debatte über das „Vaterland“ in der deutschen Nationalhymne begrüßte sie deshalb genauso wie den Formularstreit.

Das findet auch Gender-Expertin Katrin Späte von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster: "Sprache bestimmt unsere Wahrnehmung der Welt", so die Soziologin. „Die Geschlechter werden erst dann selbstverständlich nebeneinander stehen und auch weithin so wahrgenommen, wenn die Gleichberechtigung überall sichtbar geworden ist.“

Sparkasse: Mehr als 800 Formulare nötig

Dass in Texten so weit wie möglich nach Mann und Frau unterschieden wird, findet zwar auch der Anwalt der beklagten Sparkasse, Reiner Hall, richtig. Hall kritisierte aber, dass die Sparkasse korrekter sein soll als das Gesetz. „Das leuchtet mir überhaupt nicht ein.“ Es sei das Wesen von Formularen, dass sie vielseitig verwendbar sind. Würde man jeweils nach Frau, Mann, Ehepaar oder sonstigen Gruppen unterscheiden, wäre das bei mehr als 800 verschiedenen Formularen für eine Sparkasse schon ein räumliches Problem. Hätte die Klägerin recht bekommen, hätten mehr als 1.600 Kreditinstitute in Deutschland ein Problem gehabt. Auch hätte ein solches Urteil Folgen für alle Formen der Vertragssprache mit sich gebracht, so Wersig.

Krämer will weiterkämpfen

Trotz ihrer Niederlage denkt die kampferprobte Seniorin nicht ans Aufgeben: "Ich ziehe auf jeden Fall vor das Bundesverfassungsgericht", kündigte sie bereits zuvor an. Notfalls will sie die weibliche Formularsprache vor dem Europäischen Gerichtshof durchsetzen. „Ich will es jetzt wissen.“

Texte alter Klassiker wie Schiller und Goethe müssten ihretwegen selbst im Erfolgsfall nicht umgeschrieben werden: „Die können bleiben - als Beweis dafür, was Männer früher so verzapft haben.“ Der von manch einem belächelte Formularstreit ist für Krämer alles andere als eine Petitesse. Es geht für sie ums Grundsätzliche: „Sprache ist der Schlüssel zur Gleichberechtigung.“

Links: