Die Suche nach der Neuaufstellung
Die Strafzollandrohung aus den USA und die Dieseldebatte in Europa hängen wie zwei dunkle Wolken über dem Genfer Autosalon, der immer noch die klassische Sprache der Automobilmesse bedient, obwohl doch zunehmend Mobilitätskonzepte neben dem Fokus auf Modellneuerungen gefragt wären. Eigentlich rechnen Experten mit einer steigenden Pkw-Nachfrage, aber mit welchem Antrieb soll der Personenkraftwagen ausgestattet sein, um in die Zukunft unterwegs zu sein?
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Darauf gibt es auch in Genf einmal mehr viele Prestigeantworten. Nach dem Urteil zu Fahrverboten in Deutschland müssen die Hersteller befürchten, dass die Zahl der Dieselzulassungen weiter fällt – Ausnahmeländer wie Österreich, wo der Diesel weiter ein Hoch hat, werden da keine Trendänderung bringen.
Autosalon in Genf
Neben neuen Technologien und Designs sind auf der Automesse auch die drohenden US-Strafzölle großes Thema. Die Produzenten sind verunsichert und warnen vor einem Handelskrieg.
Marchionne: „Der Markt sagt: schuldig“
Oder wie es der Chef des Autokonzerns Fiat-Chrysler, Sergio Marchionne, wie immer trocken auf den Punkt bringt: „Der Markt sagt zum Diesel: schuldig.“ Und die Vorgaben der Regulierer machten es dem Diesel schwer, so Marchionne, der auch deshalb die Abhängigkeit vom Diesel deutlich verringern will. Nachsatz: „Weil wir müssen." „Die Verunsicherung bei Käufern und Industrie ist groß“, sagte auch der deutsche Branchenexperte Stefan Bratzel, Chef des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach.

Reuters/Kim Kyung-Hoon
Die Zukunft des Automobils soll Elektro sein, wie hier bei Toyota angedacht. Ob man in der Zukunft beim Autofahren astronautische Trainingsanzüge trägt, bleibt abzuwarten.
Was in Genf zu sehen ist
Dass die Autoindustrie im Wandel ist, zeigt der seit Donnerstag fürs Publikum offene Autosalon: Neben Edelkarossen rollen die Hersteller spritsparende Kleinwagen und E-Autos auf ihre Messestände. Toyota stellt neben dem neuen Auris mit Hybridmotor und dem kleinen Aygo seine E-Autos der Concept-i-Familie ins Rampenlicht.
Reaktionen der Autoindustrie
Auch im Autosalon, der wichtigsten europäische Automobilmesse des Jahres in Genf, wird vor allem über das baldige Aus für Dieselautos und die von US-Präsident Donald Trump angekündigten Strafzölle diskutiert.
Renault hat den Bestseller Zoe mit stärkerem Elektroantrieb im Gepäck. Bei der Opel-Mutter PSA feiert der Familientransporter Rifter Premiere. Mercedes zeigt neben der neuen A-Klasse und der überarbeiteten C-Klasse auch den Hochleistungsgeländewagen AMG G 63 mit 585 PS. BMW richtet die Aufmerksamkeit auf den neuen SUV X4. Und Volkswagen präsentiert als Messehighlight die Studie eines selbstfahrenden Autos (I. D. Vizzion), das ohne Lenkrad auskommt.
Smarte Beifahrer
An Bord ihrer Fahrzeuge präsentieren die Oberklassehersteller verstärkt auch digitale Assistenten mit Sprach- und Gestensteuerung, die auf künstlicher Intelligenz (KI) beruhen: In der A-Klasse findet sich die „Mercedes Benz User Experience“. Und der Audi A6 ist wie der große Bruder A8 mit einem „smarten“ digitalen Beifahrer ausgestattet.

Reuters/Pierre Albouy
Kleiner werden die SUVs auch 2018 nicht - hier der neue X4 von BMW
Die Vielfalt der Modelle, Antriebsarten und technischen Neuheiten kann jedoch nicht verdecken, dass die Branche in einer Zwickmühle steckt. Nicht nur, weil die Kundschaft verunsichert ist und sich Elektroautos - auch wegen der fehlenden Infrastruktur zum Nachladen - noch nicht in großer Stückzahl verkaufen lassen.
Zwischen Vertrauensbildung und Flottenstrategie
Die Autohersteller müssen verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, wenn sie die ab 2021 geltenden schärferen Klimavorgaben erfüllen und Strafzahlungen vermeiden wollen. Denn ohne Selbstzünder, so fürchten die Hersteller, können sie die strengeren Ziele nicht erreichen, weil Dieselfahrzeuge weniger Sprit verbrauchen und daher weniger CO2 erzeugen. Durch die steigenden Verkaufszahlen von Benzinern leidet die C02-Bilanz.

Reuters/Denis Balibouse
Selbstfahrend und elektrisch: die Studie I. D. Vizzion von VW
Die Branche müsse sich aber auch zur Nachrüstung älterer Dieselautos bereit erklären, um den Stickstoffausstoß spürbar zu verringern, meinte Experte Bratzel. „Das Ganze steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit der Autoindustrie und der Politik.“

Grafik: ORF.at; Quelle: ÖAMTC/Statistik Austria
Stefan Randak von der Beratungsfirma Atreus bezweifelt, dass die Autobauer von sich aus Hardwarenachrüstungen anbieten werden. „Ich kenne die Reaktionszeit unserer Hersteller. Man wird darauf verweisen, dass der Staat erst die nötigen Rahmenbedingungen schaffen muss“, sagte der Autoexperte. Ihm fehlt in Genf ein Fokus auf alternative Antriebstechnologien.
Mehr Elektro - aber wie?
Die Experten sind sich einig, dass die Elektromobilität vorangetrieben werden muss, um die Luftbelastung in Städten zu verringern. Volkswagen, Daimler & Co investieren bereits viele Milliarden in neue Elektroautos und bauen ihre Kapazitäten stark aus.
„Man kann auf der technischen Seite fast nicht mehr ausgeben. Das ist schon Vollgas“, sagte Christoph Stürmer von der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers. Das Problem sei die fehlende Akzeptanz. So lange es kein öffentliches Schnellladenetz gebe, sei auch nicht damit zu rechnen, dass E-Autos in größerer Stückzahl gekauft würden.
Experte: Hersteller müssen Nachrüstung anbieten
Stürmer rät den Autobauern, ihre Haltung gegenüber Dieselnachrüstungen und Fahrverboten zu überdenken. „Natürlich freuen sich die Hersteller, wenn sie neue Dieselautos verkaufen können. Das hat bei der Wechselprämie schon gut geklappt.“ Es gebe aber immer noch viele alte Dieselautos auf den Straßen, das durchschnittliche Flottenalter liege bei rund zehn Jahren. „Man wird vonseiten der Hersteller verstehen: Fahrverbote sind gut für euch, denn sie führen zur Bestandserneuerung. Das wirkt wie ein großes Konjunkturprogramm.“

Reuters/Francois Lenoir
Mehr Antriebskraft verspricht Renault mit seinem neuen Elektromodell Zoe
Dass die Antwort sofort Elektro sein könne, was die Bestandserneuerung anlangt, dass wird etwa von Fiat-Chef Marchionne realistisch beurteilt: „Wir sind die Einzigen, die vorsichtig sind bei elektrischen Autos und beim autonomen Fahren“, sagte der Fiat-Chrysler-Chef. Das sei Zukunftsmusik, und „die Zukunft ist nicht jetzt“.
Volkswagen: Sauberkeit rasch umsetzen
Volkswagen will angesichts drohender Fahrverbote verstärkt sauberere Autos auf die Straße bringen. „Ganz kurzfristig geht es darum, jetzt effizientere und saubere Fahrzeuge in die Städte zu bringen, um die drängenden Probleme zu lösen“, so Konzernchef Matthias Müller in Genf. „Die vergangenen Tage haben einmal mehr gezeigt: Wir dürfen dabei keine Zeit verlieren.“
Laut Müller geht um ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um die Luftbelastung zu senken. Es reicht vom Umtausch weiterer älterer Diesel in solche mit moderner Euro-6-Abgasnorm über den verstärkten Einsatz des Erdgasantriebs bis hin zu Elektroautos, die in größerer Zahl auf die Straßen kommen sollen. Allein in diesem Jahr wollen die Wolfsburger elf neue batteriebetriebene Modelle und Plug-in-Hybride auf den Markt bringen. Auf den Diesel will Volkswagen - wie viele andere Hersteller auch - nicht verzichten. Oder zumindest: noch nicht.
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