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Anti-Terror-Polizei übernimmt Ermittlungen

Die britische Anti-Terror-Polizei hat die Ermittlungen im Fall des ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal übernommen. Das teilte Scotland Yard am Dienstag mit. Der Vorfall werde bisher aber nicht als Terrortat eingestuft. Die rätselhafte Erkrankung des 66 Jahre alten Skripal in Großbritannien droht das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen London und Moskau weiter zu verschlechtern.

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Großbritanniens Außenminister Boris Johnson kündigte nach dem Vorfall eine „angemessene und robuste Reaktion“ an, sollte sich der Verdacht auf eine Rolle Moskaus in dem Fall erhärten. Premierministerin Theresa May und weitere Kabinettsmitglieder wurden am Dienstag bei einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrats über den Fall informiert, wie der Regierungssitz Downing Street mitteilte. Am Mittwoch werde das für Notfälle zuständige COBRA-Komittee unter dem Vorsitz von Innenministerin Amber Rudd zusammentreten, hieß es in der Nacht aus der Downing Street.

Moskau sieht sich zu Unrecht verdächtigt

Moskau sieht sich zu Unrecht verdächtigt. „Wir haben keinerlei Informationen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow und deutete an, sein Land werde zum Opfer von Verschwörungstheorien. Der Verdacht habe „ja nicht lange auf sich warten lassen“. Russland sei aber bereit, die Ermittlungen zu unterstützen, sollte es eine offizielle Anfrage aus Großbritannien geben, so Peskow. Ein Sprecher der russischen Botschaft in London bezeichnete Spekulationen über ein Attentat auf Skripal als „komplett unwahr“.

Das Außenministerium in Moskau ortet eine antirussische Kampagne. Noch vor Klärung der Fakten würden Vorwürfe gegen Russland erhoben, sagte Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa am Mittwoch in Moskau. „Man spürt, dass diese Kampagne absolut geplant abläuft, und darin erklingen auch Äußerungen offizieller Vertreter Großbritanniens“, sagte sie der Agentur Interfax zufolge.

Sergej Skripal

APA/AP/Misha Japaridze

Sergej Skripal soll sich in kritischem Zustand befinden (Archivbild)

Substanz noch unbekannt

Der 66-jährige Skripal und seine 33-jährige Tochter Julia waren bereits am Sonntag bewusstlos auf einer Bank vor dem Einkaufszentrum in Salisbury, etwa 140 Kilometer südwestlich von London, gefunden worden. Sie wurden in die Intensivstation einer Klinik gebracht und schwebten in Lebensgefahr. Nach Polizeiangaben wurden sie wegen „mutmaßlichen Kontakts mit einer unbekannten Substanz behandelt“. In der Nacht auf Dienstag wurde im Rahmen der Ermittlungen eine Pizzeria in Salisbury „als Vorsichtsmaßnahme“ geschlossen.

Die Behörden halten sich bisher extrem bedeckt, man wisse auch noch nicht mit Sicherheit, ob es einen kriminellen Hintergrund gibt. Der stellvertretende Chef der Metropolitan Police, Mark Rowley, sagte, der Fall sei freilich ungewöhnlich. Aber auch russische Einwanderer seien „nicht unsterblich“. Solche Fälle würden Medieninteresse hervorrufen und Verschwörungstheorien befeuern. Jetzt gehe es darum, die Fakten zu sichern. „Wir sprechen mit Zeugen, nehmen kriminaltechnische Proben, machen toxikologische Untersuchungen.“

Die Identität des Mannes lässt die britischen Medien über einen Spionagethriller spekulieren: Skripal war 2006 in Russland wegen des Vorwurfs der Spionage für Großbritannien zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Im Zuge eines spektakulären Gefangenenaustauschs zwischen Russland und den USA am Flughafen von Wien 2010 kam er nach Großbritannien. Er soll dem britischen Auslandsgeheimdienst MI6 die Namen von russischen Agenten in Europa genannt und dafür 100.000 Dollar (81.000 Euro) erhalten haben.

Erinnerung an Fall Litwinenkos

Johnson zog am Dienstag eine Parallele zum Fall des Kreml-Kritikers Alexander Litwinenko. Dieser war 2006 an einer über einen Tee verabreichten Poloniumvergiftung gestorben, nachdem er in einem Londoner Hotel mit dem russischen Agenten Andrej Lugowoi und dem Geschäftsmann Dimitri Kowtun Tee getrunken hatte.

Auf dem Sterbebett machte Litwinenko den russischen Präsidenten Wladimir Putin für seinen Tod verantwortlich. Der Kreml wies das zurück. Damals hatten die Ermittler zunächst Wochen gebraucht, um die Vergiftungsursache herauszufinden. Erst 2016 kam eine britische Untersuchung zu dem Schluss, dass Putin die Ermordung „wahrscheinlich gebilligt“ habe.

Archivbild von Krankenhaus in Salisbury

APA/AP/PA Wire/Tim Ockenden

Die beiden Personen werden im Spital von Salisbury mit Verdacht auf Vergiftung behandelt

Johnson betonte im britischen Unterhaus, es sei zu früh, um die Ursache des „verstörenden“ neuen Vorfalls zu benennen. Regierungen „in der ganzen Welt“ sollten aber wissen, dass kein Versuch, „Unschuldige auf britischem Boden zu töten“ unbestraft bleiben werde. Klar sei aber, dass Russland auf verschiedene Art eine böse und zerstörerische Macht sei und Großbritannien in aller Welt versuche, diesen Aktivitäten entgegenzuwirken. Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums nannte Johnsons Aussagen „wild“.

Sanktionen und Boykott der Weltmeisterschaft

Als mögliche Konsequenzen nannte Johnson eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland und einen Boykott der Fußball-Weltmeisterschaft, die im Juni in Russland startet. „Wenn ich an die Weltmeisterschaft in diesem Sommer denke, meine ich, dass eine normale Teilnahme des Vereinigten Königreichs sehr schwer vorstellbar ist“, sagte Johnson. Gemeint sei allerdings nur ein Boykott einer politischen Delegation - nicht des Nationalteams, wurde betont.

Johnson sagte zudem, es könne sehr gut sein, dass die britische Regierung gezwungen sei, sich die Sanktionen und andere Maßnahmen erneut anzusehen, wenn sich ein Verdacht gegen Russland bestätige. Allerdings ließ er offen, ob er britische Sanktionen gegen Russland oder eine Verschärfung von EU-weiten Maßnahmen bevorzugt, die wegen der russischen Unterstützung von Separatisten in der Ostukraine verhängt wurden.

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