Politik um Beschwichtigung bemüht
Ein Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichtshofs, das künftig die Verhängung von Fahrverboten für Diesel-Pkws möglich macht, sorgt seit Ende Februar für Kopfzerbrechen, nicht nur bei Automobilherstellern und Fahrzeugbesitzern.
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Auch die Politik will den Schwarzen Peter nicht ausspielen müssen. Die deutsche Regierung war nach der Entscheidung des Leipziger Gerichts bemüht, die Sorgen von Millionen Besitzern von Diesel-Pkws zu zerstreuen. Das Urteil bedeute nicht, dass von heute auf morgen tatsächlich Fahrverbote in Kraft treten, sagte die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) in Berlin. „Das Gericht hat keine Fahrverbote verhängt.“ Es gebe „viele Instrumente“, um die Schadstoffbelastung in der Luft zu senken.
„Druck jetzt größer geworden“
Der amtierende Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) wies darauf hin, dass das Urteil für die Verhängung von Fahrverboten durch die Städte „sehr hohen Wert“ auf die Wahrung der Verhältnismäßigkeit lege. Die Hürden für Fahrverbote lägen damit sehr hoch.
Debatte auch in Österreich
Deutsche Städte dürfen künftig Fahrverbote für Dieselautos einführen. Diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Deutschland hat auch in Österreich eine Debatte ausgelöst.
Schmidt forderte wie Hendricks, der Verhängung von Fahrverboten durch andere Maßnahmen zur Luftreinhaltung zuvorzukommen. Hendricks erklärte, durch das Urteil sei „der Druck jetzt größer geworden“. Sie kündigte nun rasche Beratungen mit den Kommunen über das weitere Vorgehen an.
„Schlag gegen Freiheit und Eigentum“
FDP-Chef Christian Lindner hat das Urteil des Verwaltungsgerichts zu Dieselfahrverboten kritisiert. Er nannte es einen „Schlag gegen Freiheit und Eigentum, weil wir uns zu Gefangenen menschengemachter Grenzwerte machen“. Es müsse alles getan werden, damit es nicht zu einer „kalten Enteignung“ von Besitzern von Dieselautos komme und die Mobilität nicht eingeschränkt werde, sagte Lindner in Berlin.
Der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne), dessen Stadt besonders von hohen Schadstoffwerten in der Luft belastet ist, begrüßte das Urteil. Das Gericht in Leipzig habe eine „sehr differenzierte Entscheidung“ getroffen, deren Umsetzung nicht einfach sei. „Es kann Verbote geben, aber diese müssen die Verhältnismäßigkeit berücksichtigen“, sagte Kuhn. Die Umsetzung werde „nicht einfach sein“.
Gericht sieht keine Entschädigungspflicht
Das Urteil des obersten Verwaltungsgerichts sieht im Falle der Verhängung eine Einführung von Fahrverboten in mehreren Stufen vor. So sollen in Stuttgart zunächst Fahrverbote für ältere Diesel bis Euro-4-Norm geprüft werden, für Euro-5-Autos soll es Fahrverbote frühestens ab September 2019 geben. Wenn die Luft nicht anders sauberer werde, seien Fahrverbote als letztes Mittel zulässig, urteilte das Gericht am Dienstag.
Sie müssten aber verhältnismäßig sein und dürften nicht über Nacht eingeführt werden, erklärte der Vorsitzende Richter Andreas Korbmacher in Leipzig. Eine Entschädigungspflicht für Dieselbesitzer sieht das Gericht nicht. Die Stadt Hamburg kündigte bereits für April Fahrverbote auf zwei besonders belastenden Straßenzügen für Fahrzeuge mit einer Abgasnorm älter als Euro 5 an. Alle erforderlichen Vorbereitungen seien getroffen, hieß es am Dienstag. Anrainer sind von den Fahrverboten ausgenommen, genauso wie Einsatzfahrzeuge.
ORF-Korrespondentin Birgit Schwarz zum Dieselfahrverbot
ORF-Korrespondentin Birgit Schwarz erklärt, welche Autos von den Dieselfahrverboten betroffen sein können und wie Städte und Gemeinden solche Fahrverbote verhängen.
Wirtschaftsverbände warnen
Der Deutsche Städtetag rechnet nicht mit kurzfristig eingeführten Fahrverboten. Jetzt seien die Länder mit überarbeiteten Luftreinhalteplänen, und auch die Autoindustrie am Zug. „Mit dem Urteil steigt der Druck auf die Automobilindustrie, Diesel-Pkws sauberer zu machen“, erklärte Städtetagspräsident Markus Lewe. Wirtschaftsverbände reagierten alarmiert. „Die Entscheidung (…) gefährdet die Existenz vieler kleiner und mittlerer Unternehmen“, warnte der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), Mario Ohoven. Der deutsche Verband der Automobilimporteure (VDA) nannte die Fahrverbote kein „Muss“, sondern im Gegenteil eine Absage an generelle Fahrverbote.
Zufrieden mit dem Urteil äußerten sich dagegen Verbände aus dem Natur- und Umweltschutz. Greenpeace Deutschland begrüßte das Urteil: „Endlich ist der Weg frei, um die Gesundheit der Menschen wirksam zu schützen.“
Österreichischer Autohandel gelassen
In Österreich glaubt der Arbeitskreis der Automobilimporteure nicht daran, dass das deutsche Beispiel Schule macht. Es stünden keine Fahrverbote im Raum, so der Sprecher des Verbandes, Günther Kerle, in einer Presseaussendung. Die Ausgangslage, etwa in Wien, sei mit besseren Luftgütewerten „eine ganz andere als in deutschen Städten“. Tatsächlich hatte die Wiener Stadtregierung Fahrverbote erst Mitte Februar ausgeschlossen - mehr dazu in wien.ORF.at.
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