Themenüberblick
Zeitzeugnisse rund um den „Anschluss“

ORF
12. Februar 1938
Der österreichische Bundeskanzler Dr. Schuschnigg stattete heute in Begleitung des Staatssekretärs […] Dr. Guido Schmidt […] dem Führer und Reichskanzler auf dessen Einladung einen Besuch auf dem Obersalzberg ab. Diese inoffizielle Begegnung entsprang dem beiderseitigen Wunsche, sich über alle Fragen, die das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reiche und Österreich betreffen, auszusprechen.
Protokoll und Communique über die Besprechung vom 12. Februar 1938 (o.D.), zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 152-153.
Der offene Kampf liegt den Nationalsozialisten nicht. Ihre Kampfesweise ist die ‚nordische List‘. Wenn in den letzten Tagen in Linz Nationalsozialisten den Namen des roten Aufrührers Bulgari an die Wände schmierten, so bildet diese Handlungsweise nur ein weiteres Glied in der Kette von […] Täuschungsversuchen, mit denen die Nationalsozialisten hoffen, an die Macht zu kommen.
Linzer Volksblatt, 70. Jg., Nr. 34, 12. Februar 1938, S. 1.
Das ‚Linzer Volksblatt‘ mag recht haben, wenn es meint, daß sich noch kein Nationalsozialist ehrlich zur Vaterländischen Front bekehrt hat, denn hinter dieser steht auch nicht die geringste Idee, während der Nationalsozialismus das Hoffen eines ganzen Volkes bedeutet. Unwahr hingegen mutet der Satz an wegen der Bemühungen um die Befriedung, denn wir wissen es alle, daß die Leute um Schuschnigg eine wirkliche Befriedung nicht wollen!
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 10.
13. Februar 1938
Mittags stand in allen Blättern, Schuschnigg sei zu Hitler gefahren und konferiere mit ihm. Anfang vom Ende. Verzweifelt. Saß da und strickte. Was in Wien vorgeht, weiß man nicht.
Hilde Spiel, zit. nach Weinzierl, Ulrich (Hg.): Österreichs Fall. Schriftsteller berichten vom „Anschluss“. Wien-München: Jugend und Volk, 1987, S. 18-19.
Der Besuch des Bundeskanzlers Doktor Schuschnigg und des Staatssekretärs für die auswärtigen Angelegenheiten bei Reichskanzler Hitler diente dem ehrlichen Bestreben, das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten weiter zu vertiefen.
Das Kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 43, 13. Februar 1938, S. 1.
Für die Geschichte der beiden deutschen Staaten wird der 12. Februar 1938 gewiß immer ein historisches Datum bleiben, er hat auf dem Weg der Wiederannäherung, der mit dem Abkommen vom 11. Juli 1936 beschritten wurde, einen gewaltigen Schritt vorwärts gebracht. Was damals gesagt wurde von der Freude, die diesseits und jenseits der Grenzen darüber herrscht, daß ein unnatürlicher Zustand zwischen zwei Bruderstaaten, zwischen Waffengefährten im größten aller Kriege sein Ende findet, gilt in erhöhtem Maß auch heute.
Illustrierte Kronen Zeitung, 39. Jg., Nr. 13675, 13. Februar 1938, S. 1.
Daß die Zusammenkunft gerade im jetzigen Zeitpunkt erfolgt ist, spricht deutlicher als alle Verlautbarungen und Versicherungen es tun konnten, gegen jene Gerüchte, die aus ausländischen Quellen stammend, in den letzten Tagen dem Deutschen Reich mancherlei böse Absicht gegenüber Oesterreich nachgesagt haben […].
Kleine Volkszeitung, 84. Jg., Nr. 43, 13. Februar 1938, S. 1.
14. Februar 1938
Lange Zeit wurde die Öffentlichkeit über die Besprechungen in Berchtesgaden im Unklaren belassen. ‚Was hat Hitler Schuschnigg gegeben?‘ fragte man. Und der Volkswitz antwortete: ‚Die Verlängerung des Führerscheins um ein paar Wochen…‘ Bittere Wahrheit lag in diesem Bonmot. An allen Ecken und Enden wurde über Berchtesgaden diskutiert.
Breuer, Robert: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938. Wien: Löcker 1988, S. 12.
Schuschnigg, der Kanzler höchster geistiger Kraft, dieser feine Denker und klare, zielbewußte Staatsmann, hat erneut jene Härte geoffenbart, die in der Grundsatztreue seines Werkes liegt. Der Katholik denkt in umfassender Weite und ist zum gerechten Ausgleich bereit, er kann aber nur bis zu jenen Grenzen gehen, die ihm die ethischen und staatlichen Gesetze auflegen.
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 36, 14. Februar 1938, S. 1.
Die Arbeiterschaft Österreichs, die zu jedem Opfer bereit ist, wenn es gilt, den Frieden im Land zu wahren, ist aber auch entschlossen, jedes Opfer auf sich zu nehmen, das von ihr für die Erhaltung oder Verteidigung der Freiheit und Unabhängigkeit unserer österreichischen Heimat verlangt werden könnte.
Staatssekretär Hans Rott, zit. nach: Das kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 44, 14. Februar 1938, S. 1.
So wirkte denn die erste Nachricht über die Kanzlerbegegnung auf dem Obersalzberg wie ein Blitz. In Österreich war dieses Ereignis der einzige Gesprächsgegenstand, der alle Gemüter bewegte, und auch im ganzen Ausland wurde sie als ein politisches Ereignis erster Ordnung angesehen.
Das kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 44, 14. Februar 1938, S. 1.
15. Februar 1938
In unseren vaterländischen Zeitungen zeigt sich heute eine gewisse Nervosität. Überall wird gesprochen von der bevorstehenden Regierungsumbildung. Es scheint schon sicher zu sein, daß Staatsrat Dr. Seyß-Inquart in die Regierung aufgenommen wird und das Innenministerium erhält.
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 12.
Obgleich sich die amtlichen Stellen der beiden Staaten noch weitgehende Zurückhaltung auferlegen, zeichnen sich bereits in großen Linien die Ergebnisse der Begegnung ab. Ganz allgemein überwiegen die Stimmen, die das Kanzlertreffen positiv bewerten und in ihm einen Beitrag zur Entspannung der politischen Atmosphäre Europas sehen wollen.
Das kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 45, 15. Februar 1938, S. 1.
Die Begegnung zwischen den beiden Staatsmännern vollzog sich in überaus herzlichen Formen, und die vielstündige Aussprache stand im Zeichen vollen beiderseitigen Verständnisses.
Linzer Volksblatt, 70. Jg., Nr. 37, 15. Februar 1938, S. 1.
Österreich hat sich stets als deutscher Staat bekannt, und es gibt wohl niemand bei uns, der die weitere Entwicklung normaler Beziehungen mit dem großen Nachbarstaat nicht als selbstverständlich erachten würde. Jene […] unbelehrbaren illegalen Nationalsozialisten, welche sich nicht scheuen im Dienste ihrer […] dunklen Bestrebungen Mißverständnis zu säen, werden künftig auf noch stärkere Zurückweisung gefaßt sein müssen.
Das kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 44, 14. Februar 1938, S. 2.
16. Februar 1938
Wien glich einem Hexenkessel von Gerüchten, das vorläufige Fehlen einer amtlichen Verlautbarung über Inhalt und Ergebnis der – wie jeder wußte – hoch bedeutsamen Aussprache zwischen […] Dr. Kurt Schuschnigg und […] Adolf Hitler und die keiner Kontrolle unterliegenden Kombinationen, die vom Ausland her verbreitet wurden, hatten eine ungeheure Nervosität zur Folge, die sich gegen Abend immer mehr steigerte.
Illustrierte Kronen Zeitung, 39. Jg., Nr. 13678, 16. Februar 1938, S. 7.
Warum zeigen Sie nicht Ihre Freude und feiern Ihren Triumph?“ fragte ich einen meiner Nazibekannten. „Sie haben es oft genug aus weit geringerem Anlass getan.“ „Weisungen von oben“, war die Antwort. „Wir sollen uns ruhig verhalten, bis der Führer gesprochen hat.“
Gedye, G(eorge) E(ric) R(owe): Als die Bastionen fielen. Die Errichtung der Dollfuß-Diktatur und Hitlers Einmarsch in Wien und den Sudeten. Eine Reportage über die Jahre 1927 bis 1938. Wien: Junius Verlag 1981, S. 230.
Eine Änderung der Judenpolitik der österreichischen Bundesregierung ist im Zusammenhang mit der Begegnung in Berchtesgaden absolut nicht zu erwarten. Die österreichische Regierung hält unerschütterlich an dem Prinzip der Gleichberechtigung fest.
Die Stimme. Jüdische Zeitung, 11. Jg., Nr. 733, 16. Februar 1938, S. 1.
17. Februar 1938
In jüdischen Kreisen ist man überzeugt, daß es nur eine Frage der Zeit ist, wann Österreich politisch und wirtschaftlich mit dem Reich vereinigt wird. Der Zusammenbruch ist ein derartig totaler, daß unter der Voraussetzung, daß eine Beschleunigung der Entwicklung dem Führer in sein außenpolitisches Konzept paßt, durch bestimmten Nachdruck seitens des Reiches innerhalb der nächsten Wochen eine Reihe entscheidender Positionen erobert werden kann.
Lagebericht Dr. Edmund Veesenmayer, 17. Februar 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S.14.
Sie wissen ja am besten, daß ich stets Ihnen gegenüber den Standpunkt vertreten habe, daß wir eine endgültige Sicherung unserer Unabhängigkeit durch eheste Einführung einer legitimen Monarchie brauchen. […] Sollten Sie einem Druck von deutscher Seite oder von betont nationaler Seite nicht mehr widerstehen zu können glauben, so bitte ich Sie, mir, wie immer die Lage auch sei, das Amt eines Kanzlers zu übergeben.
Otto von Habsburg an Kurt Schuschnigg, 17. Februar 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 213.
Die österreichischen Arbeiter sind für den Frieden, aber nicht um jeden Preis! Wir Österreicher werden unser Haus selbst bestellen, nach unserem eigenen, freien, unbeeinflußten Willen, nach unseren eigenen Grundsätzen und auf unsere Art.
Entschließung der versammelten Obmänner sämtlicher Gewerkschaften und Hauptvertrauensmänner der Wiener Großbetriebe, 17. Februar 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 188.
Die allgemeine Amnestie wird sicher manches Kopfschütteln erregt haben. Wenn sie als großzügiger Versuch, einen dicken Strich unter eine böse Vergangenheit zu ziehen, aufgefaßt wird, wird auch sie gute Früchte bringen. […]. Was von einem Großteile der Bevölkerung mit Befriedigung aufgenommen werden wird, ist die Tatsache, daß sie für alle politischen Verbrechen gilt […].
Salzburger Chronik, 74. Jg., Nr. 39, 17. Februar 1938, S. 1.
18. Februar 1938
Selten noch hat ein politisches Ereignis in den breiten Massen der Arbeitnehmerschaft eine solche Beachtung gefunden, wie die letzte Regierungsumbildung. Die politisch geschulte österreichische Arbeiterschaft ist sich der Tragweite der letzten Ereignisse voll bewußt.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 48, 18. Februar 1938, S. 2.
Es muß hervorgehoben werden, daß außer England nur noch Frankreich für die Unabhängigkeit Österreichs eintritt. Die italienische Regierung hat in einer offiziösen Erklärung ihre Zustimmung zu den Vereinbarungen von Berchtesgaden ausgesprochen.
Die Stimme. Jüdische Zeitung, 11. Jg., Nr. 734, 18. Februar 1938, S. 1.
Englische Zeitungsmeldungen besagen, daß Ministerpräsident Generalfeldmarschall Göring im März nach Wien kommen soll, um namens des Reichskanzlers die in Berchtesgaden begonnen Besprechungen mit dem österreichischen Bundeskanzler Dr. Schuschnigg fortzusetzen.
Illustrierte Kronen Zeitung, 39. Jg., Nr. 13680, 18. Februar 1938, S. 7.
19. Februar 1938
Warum spricht Schuschnigg nicht zu uns!“ beschwerten sich seine Anhänger mit Bitternis. „Er soll uns doch die Wahrheit sagen – oder glaubt er, wir können sie nicht ertragen? Wenn es wirklich keinen Widerstand mehr gibt, dann müssen viele von uns eiligst das Land verlassen; er ist es uns schuldig, und rechtzeitig.
Enttäuschte Anhänger Schuschniggs in der Woche nach Berchtesgaden, zit. nach Gedye, G(eorge) E(ric) R(owe): Als die Bastionen fielen. Die Errichtung der Dollfuß-Diktatur und Hitlers Einmarsch in Wien und den Sudeten. Eine Reportage über die Jahre 1927 bis 1938. Wien: Junius Verlag 1981, S. 231.
Das heißt also, alle Nationalsozialisten, die nicht so, wie bis jetzt, abseits stehen wollen, müssen in die Vaterländische Front gehen. Dies macht ja schließlich nichts aus, denn auf diese Weise kann die Vaterländische Front derart mit Nationalsozialisten ‚gespickt‘ werden, daß sie von selbst ihren reaktionär-klerikal-monarchistischen Charakter verliert.
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 15.
Die Begegnung Hitler-Schuschnigg am 12. Februar bedeutet einen Markstein nicht nur in der Geschichte Oesterreichs, sondern auch in der Geschichte des gesamten deutschen Volkes. Was durch Jahre hindurch undurchführbar schien ist eingetreten, ein Gedankenaustausch zwischen den verantwortlichen Leitern der Politik der beiden deutschen Staaten hat stattgefunden und zu einem positiven Ergebnis geführt.
Alpenländische Rundschau, 15. Jg., Nr. 745, 19. Februar 1938, S. 1.
Kaum ein anderer Teil unserer Bevölkerung ist am Verhältnis und an der Art des Verhältnisses zwischen den zwei deutschen Staaten Europas, Oesterreich und Deutschland, so interessiert wie die Arbeiterschaft. […] Die österreichische Arbeiterschaft ist patriotisch. Schon um ihrer Liebe zur Heimat wegen will sie Oesterreich stark sehen, immer so stark sehen, daß es Wünschen Zweiter und Dritter gewachsen ist.
Oesterreichische Arbeiter-Zeitung, 43. Jg., Nr. 8, 19. Februar 1938, S. 1.
20. Februar 1938
Noch nie horchten in Österreich so viel Menschen zuhause und in den Gaststätten dem Rundfunk, als heute anläßlich der großen Rede des Führers und Reichskanzlers im Reichstag. Fast menschenleer waren die Straßen und Plätze, alles hing voll Spannung am Radio. Nur dort, wo Lautsprecher aufgestellt waren, stauten sich die Massen.
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 15.
Nach der am 20. Februar gehaltenen Rede Hitlers stieg die Nervosität ins Grenzenlose. Die täglich um 18 Uhr einsetzenden Straßenkundgebungen nahmen an Umfang und Bedeutung zu. Unter den Staatsopern-Arkaden stand ständig Polizei in Bereitschaft. […]. Den sich zu Hitlers Politik bekennenden Demonstranten wuchs der Mut.
Breuer, Robert: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938. Wien: Löcker 1988, S. 14.
21. Februar 1938
Adolf Hitler hat gestern zur Welt in sehr ernster Weise gesprochen. Man kann seine Rede als ein Bekenntnis zur reichsdeutschen Macht auffassen, doch enthält sie auch den Wunsch nach Frieden. Das deutsche Volk sei eben soldatisch, aber nicht kriegerisch eingestellt. Die internationale Oeffentlichkeit wird noch lange unter dem Eindruck der dreistündigen Kanzlerrede stehen.
Neue Freie Presse, Morgenblatt, Nr. 26383, 21. Februar 1938, S. 1.
Gestern saß um 13 Uhr ganz Österreich beim Radioapparat, um Hitler zu hören. Die Rede war wieder ein Meisterwerk, dem Inhalt, der Form und dem Vortrag nach. An einigen Stellen hatte ich geradezu Herzklopfen, und wie ich dann aus den Erzählungen anderer hörte, ging es ihnen nicht anders. So packte er seine Zuhörer. Über Österreich sagte er nicht viel und er wird schon wissen, warum. Besser gehandelt als geredet.
Richard Ruffingshofer, Tagebuch, 21. Februar 1938, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 1904.
Bei aller Knappheit der Formulierung geht aus der Erklärung des deutschen Reichskanzlers mit aller Deutlichkeit die Anerkennung und Bekräftigung der Grundlagen des Modus vivendi Juli 1936 hervor, denn wenn auch in der Kanzlerrede diese Deklaration nicht wörtlich enthalten ist, so ist sie durch die zweimalige Erwähnung des Abkommens vom 11. Juli sinngemäß ausgeführt.
Der Morgen. Wiener Montagblatt, 29. Jg., Nr. 8, 21. Februar 1938, S. 1.
Heute ist es in ganz Österreich zu großen Freudenkundgebungen gekommen. In Wien zogen viel tausend Menschen über den Ring, riefen ‚Heil Hitler‘ und ‚Sieg Heil‘, sangen das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied.
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 20.
Am Kai fielen uns grosse Versammlungen im Sprechchor schreiender Leute und ein grosses Aufgebot bewaffneter Schutzmänner der Polizei auf, die – offenbar infolge der politischen Veränderungen im Verhältnis Oesterreichs zu Deutschland […] demonstrierten. Hoffentlich kommt es zu keinen Volkstorheiten.
Wilhelm Kienzl, Tagebuch, 21. Februar 1938, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Nachlass Wilhelm Kienzl, AN75, Box 53.
22. Februar 1938
Gestern vormittag zog eine Gruppe mehrerer hundert Studenten von der Universität in geordnetem Zuge über den Ring bis zur Oper, sang nationalsozialistische Lieder und veranstaltete Sprechchöre. Die Studenten wurden bei der Oper von der Polizei gegen den Naschmarkt abgedrängt, formierten sich abermals und marschierten über die Museumsstraße bis zum Deutschen Volkstheater.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 52, 22. Februar 1938, S. 3.
Gestern verkündeten junge Männer in allen öffentlichen Lokalen, daß abends um 9 Uhr ein Fackelzug zu Ehren Seyß-Inquarts durchgeführt werde. Obwohl die Nachricht erst in den späten Nachmittagsstunden, um etwa 6 Uhr ausgetragen wurde, versammelte sich schon um ½ 9 Uhr am Innrain eine Unmenge von Teilnehmern.
Vorarlberger Tagblatt, 21. Jg., Nr. 43, 22. Februar 1938, S. 1.
Um dem österreichischen Bundeskanzler Dr. Schuschnigg einen Beweis zu geben, wie sehr die vaterländische Bevölkerung mit seiner Führung einverstanden und wie sehr der Wille für die staatliche Unabhängigkeit des Vaterlandes in den Herzen der Bevölkerung verwurzelt ist, veranstaltet die VF in Graz einen würdigen Aufmarsch ihrer Mitglieder.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 52, 22. Februar 1938, S. 2.
Auch in Linz sammelten sich gestern etwa 500 nationalsozialistische Parteigänger an, die vor das Redaktionsgebäude des ‚Linzer Tagblattes‘ zogen und dort auf der Spittelwiese Aufstellung nahmen.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 52, 22. Februar 1938, S. 3.
23. Februar 1938
Entsprechend dem Beschluß der Vertrauensmännerkonferenz wurde gestern in allen österreichischen Betrieben eine Resolution zur Unterschrift ausgelegt, in der sich die Arbeiter zur Unabhängigkeit und Freiheit Österreichs bekennen. Nach den vorliegenden Meldungen hat die Zahl der Unterschriften bereits eine Million überschritten.
Das kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 54, 23. Februar 1938, S. 1.
Österreichs Schicksal ist auch eine europäische Frage. Es ist das Zentralproblem des gesamten europäischen Gleichgewichtes.
Das kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 54, 23. Februar 1938, S. 2.
Donnerstag, 24. Februar wird Bundeskanzler Schuschnigg in der Sitzung des Bundestages Erklärungen über die Vereinbarungen von Berchtesgaden abgeben. Um der großen Bedeutung des Ereignisses gerecht zu werden, wird in ganz Oesterreich am Donnerstag früh bis Freitag früh beflaggt.
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 44, 23. Februar 1938, S. 1.
In ganz Wien werden auf zahlreichen Plätzen Lautsprecheranlagen aufgestellt. Auf allen diesen Plätzen werden vor und nach der Rede des Kanzlers Musikkapellen Platzkonzerte veranstalten.
Salzburger Chronik, 74. Jg., Nr. 44, 23. Februar 1938, S. 1.
24. Februar 1938
9 Uhr abends: Eben ist die Rede Dr. Schuschniggs im Bundestag gehalten und im Rundfunk verbreitet worden. Sie hat in uns keine Freude erweckt, aber viel Enttäuschung gebracht. Die paar warmen Sätze, die in ihr enthalten sind, verblassen gegenüber dem höhnischen Spott, den er stellenweise anwendet. Nicht zu vergleichen ist diese Rede mit der des Führers und Reichskanzlers am letzten Sonntag!
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 23.
Auf dem Graben stieß ich mit einem alten Freund zusammen, der die Rede Schuschniggs in einem kleinen Kaffeehaus nächst dem Kohlmarkt gehört hatte. Siegesbewußt fragte er: ‚Na, was sagen Sie jetzt? Zufrieden? Allen Menschen ist jetzt ein Stein vom Herzen gefallen. Die Leute im Café haben geweint und nach Schluß einander umarmt.‘ ‚So‘, sagte ich, ‚haben sie das getan? Na mir scheint die Rede der Schwanengesang unseres Kanzlers gewesen zu sein.‘
Breuer, Robert: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938. Wien: Löcker 1988, S. 16-17.
Die Kärntnerstraße bot ein unbeschreiblich konfuses Bild. Ihre rechte Seite hatten tausende Schuschnigg-treue Menschen eingenommen, die im Sprechchor ‚Hoch Schuschnigg!‘, ‚Wir bleiben ein freies Österreich!‘, ‚Nieder mit der braunen Pest‘, ‚Rot-weiß-rot-Hitlers Tod!‘ riefen. Auf der linken Seite hatten sich Hitlers ‚Mannen und Frauen‘ formiert, die ihrerseits die Kehlen mit den Slogans ‚Ein Volk, ein Reich, ein Führer!‘, ‚Adolf Hitler – unser Führer!‘ usw. strapazierten.
Breuer, Robert: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938. Wien: Löcker 1988, S. 17.
25. Februar 1938
Lange Kolonnen mit Fahnen und Musikkapellen zogen durch die Straßen der Stadt. Überall ertönten die Sprechchöre, die immer wieder in Hoch- und Heilrufe auf Bundeskanzler Schuschnigg ausbrachen. Gegen 19 Uhr trat erwartungsvolle Stille ein. […]. Wie tief der Eindruck war, zeigten die großen vaterländischen Kundgebungen im Anschlusse an die Rede.
Salzburger Chronik, 74. Jg., Nr. 46, 25. Februar 1938, S. 5.
Über die Vorkommnisse bei den Fackelzügen schweigen sich die vaterländischen Zeitungen ziemlich aus, man spürt es, die mindere Teilnahme auf der einen und die geradezu überwältigend große Beteiligung auf der anderen Seite geht den Vaterländischen stark auf die Nerven. Sie trösten sich mit den zustimmenden Stimmen des Auslandes zur Schuschnigg-Rede und bringen die verschiedensten Danktelegramme der Systemträger an Dr. Schuschnigg.
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 30.
Immer wieder klang das freudige Bekenntnis zum Vaterland, der Glaube an seine Sendung und der unbeugsame Wille durch, die Selbständigkeit Oesterreichs unangetastet und unangefochten zu erhalten, um dem Land seine historische deutsche Mission zu sichern und dem europäischen Frieden einen unschätzbaren Dienst zu erweisen.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 55, 25. Februar 1938, S. 2.
Die Nacht schenkte guten Schlaf, trotz des Hustens. Viel zu tun. Der Schuschnigg hat bei Fahnenbeleuchtung […] Schwanengesangsrede vom Stapel gelassen. Alles hört auf Erden einmal auf. Das Wetter ist rauh und kalt, aber herrliche Sonne.
Bernhardine A., Tagebuch, 25. Februar 1938, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien, NL 9 I.
26. Februar 1938
Der Führer erklärte, daß er in der Österreich-Frage der Partei einen anderen Weg weisen müsse, denn die Österreich-Frage könne nie durch eine Revolution gelöst werden. […]. Eine gewaltmäßige Lösung sei ihm, wenn es irgendwie vermieden werden könne, jetzt nicht erwünscht, da für uns die außenpolitische Gefährdung von Jahr zu Jahr geringer werde und die militärische Macht von Jahr zu Jahr größer.
Aktenvermerk von Wilhelm Keppler über einen Empfang bei Hitler, 26. Februar 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 173-174.
Immer wieder wird man im Laufe der nächsten Wochen und Monate auf die Formulierungen zurückkommen müssen, mit denen die Staatsrede des Bundeskanzlers die Lage und die Aufgabe Oesterreichs umrissen hat. Die wichtige Erkenntnis und Klarheit, die sie enthält ist: wir haben nicht irgendeinen neuen Weg zu beginnen, sondern wir haben auf der guten bewährten Dollfuß-Straße weiterzumarschieren!
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 47, 26. Februar 1938, S. 1.
Die Rede des Bundeskanzlers Schuschnigg wird in Berliner politischen Kreisen sorgfältig studiert. Dabei gibt man seiner Befriedigung darüber Ausdruck, daß Dr. Schuschnigg, ebenso wie er die Unabhängigkeit Oesterreichs herausstellte, ein Bekenntnis zum Deutschtum abgelegt habe.
Vorarlberger Tagblatt, 21. Jg., Nr. 47, 26. Februar 1938, S. 1.
In Paris und London weckte vor allem die mutige Offenheit des Kanzlers Bewunderung. Ueberall wird sein Bekenntnis zur Unabhängigkeit Oesterreichs unterstrichen, wobei es jedoch keineswegs an Verständnis für den natürlichen Wunsch Oesterreichs fehlt, mit dem zweiten deutschen Staat in Frieden zu leben.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 56, 26. Februar 1938, S. 2.
27. Februar 1938
Das Wort vom deutschen Frieden wird gewiß jedem aus der Seele gesprochen sein, der in dem nunmehr hoffentlich endgültig beendeten Bruderkampf ein aufgezwungenes, hartes Muß erblickte, das niemand wollte.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 57, 27. Februar 1938, S. 2.
Gestern gegen 6 Uhr abends zogen Gruppen des Katholischen Jungvolks in der V.F. durch die Rotenturm- und die Kärntnerstraße und riefen in Sprechchören: Heil dem Kanzler Kurt v. Schuschnigg!“ und „Rotweißrot!“ Die Demonstration erregte beim Publikum ziemliches Aufsehen.
Kleine Volkszeitung, 84. Jg., Nr. 57, 27. Februar 1938, S. 4.
Vor dem Gebäude der Arbeiterkammer versammelten sich heute mittag eine Menge Nationalsozialisten, die gegen den Oberösterreichischen Gewerkschaftsbund, der angeblich vier Arbeiter wegen Teilnahme am Fackelzug der Nationalsozialisten kündigen wollte, demonstrierten.
Kleine Volkszeitung, 84. Jg., Nr. 57, 27. Februar 1938, S. 4.
28. Februar 1938
In Kärnten fanden in den letzten Tagen in allen größeren Orten Kundgebungen der vaterländischen Bevölkerung statt. Viele Tausende von treuen Oesterreichern marschierten […] auf, um ihrem unerschütterlichen Willen zur Aufrechterhaltung der Selbständigkeit des Vaterlandes […] Ausdruck zu geben.
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 48, 28. Februar 1938, S. 1.
(Der Grazer) Bürgermeister Schmidt hat einen Krankheitsurlaub angetreten, von dem er nicht mehr auf seinen Posten zurückkehren dürfte. Der Bürgermeister hatte am Donnerstag abends einer nationalsozialistischen Demonstration zugesagt, die Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus zu hissen.
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 48, 28. Februar 1938, S. 2.
Die ‚Germania‘ wendet sich gegen abwegige Kombinationen ausländischer Blätter über die Zusammenkunft von Berchtesgaden und schreibt: Wenn man gewissen Blättermeldungen glauben soll, so hatte sich auf dem Obersalzberg der Schwächere dem Ultimatum des Stärkeren gebeugt und Europa stand wieder einmal am Vorabend einer Katastrophe.
Linzer Volksblatt, 70. Jg., Nr. 48, 28. Februar 1938, S. 2.
1.März 1938
Die Optimisten glauben, dass wir ein Jahr Ruhe haben werden, […] die Pessimisten zählen die neue Atempause (oder Galgenfrist) nach Wochen. Wahrscheinlich haben diejenigen Recht, die behaupten, Österreich sei mehr denn je ein Spielball von Faktoren, die außerhalb des Landes liegen.
Denkschrift von Ernst Karl Winter für BK Schuschnigg, 1. März 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 214-215.
Der Ernst, den die Wiener Regierung diesmal zum Durchgreifen entschlossen zeigt, geht auch daraus hervor, daß die Landesführung der Vaterländischen Front Steiermark von Minister Zernatto persönlich übernommen wurde, […]. Polizeiliche Verstärkungen sind bereits Samstag von Wien nach Graz abgegangen.
Westböhmische Tageszeitung. Pilsner Tagblatt, 39. Jg., Nr. 49, 1. März 1938, S. 1.
Infolge der Ereignisse der letzten Woche begegnete das vor drei Monaten im Thomas Verlag Jakob Hegner, Wien, erschienene Werk des Bundeskanzlers ‚Dreimal Oesterreich‘ sowohl im Inland als auch im Ausland, besonders auch in Deutschland, so lebhaft gesteigertem Interesse, daß die dritte Auflage sich erschöpfte und die vierte Auflage nun zur Auslieferung gelangt ist.
Kleine Volkszeitung, 84. Jg., Nr. 59, Wien, 1. März 1938, S. 4.
2. März 1938
Bundeskanzler Dr. Schuschnigg besuchte gestern abends die Volksoper, wo „Gruß und Kuß aus der Wachau“ gegeben wurde. Der Kanzler war Gegenstand mächtiger und herzlicher Ovationen, die lange Zeit hindurch andauerten und als feierliches Bekenntnis der Theaterbesucher für das Programm des Regierungschefs zu betrachten sind.
Wiener Zeitung, 235. Jg., Nr. 60, 2. März 1938, S. 3.
Bundesminister Doktor Seyß-Inquart traf gestern gegen 18.30 Uhr in Graz ein. […]. Gestern abends waren die Plätze und Straßen der inneren Stadt von einer großen Menschenmenge erfüllt, die Dr. Seyß-Inquart Sympathiekundgebungen darbrachten. An eine Kundgebung auf dem Hauptplatz schloß sich ein Fackelzug.
Tagespost, 74. Jg., Nr. 50, 2. März 1938, S. 1.
‚Mit Schuschnigg für Oesterreich‘ wird die Vaterländische Front in den kommenden drei Wochen eine Versammlungskampagne von bisher noch nie dagewesenen Ausmaßen im ganzen Bundesgebiet durchführen. In diesen drei Wochen werden in allen Gemeinden Oesterreichs Versammlungen stattfinden, und zwar sind insgesamt rund 3000 Kundgebungen vorgesehen.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 60, 2. März 1938, S. 2.
3. März 1938
Das österreichische Volk hat seinem Willen in den Tagen vor und nach Berchtesgaden Ausdruck gegeben. Zahllose Kundgebungen, Versammlungen, ja sogar Streiks sind hierfür ein beredtes Zeugnis. Die Eisenbahner und die Fabrikarbeiter in Wien, die Linzer, Grazer, die Kärntner Arbeiter hat ein Wille geeint: Für die Unabhängigkeit Österreichs.
Flugblatt des Kommunistischen Jugendverbandes (o.D.), zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 163.
Mit Rücksicht auf die Gerüchte, daß die Nationalsozialisten in Linz trotz des Verbotes die Abhaltung des ‚Deutschen Tages‘ in Linz erzwingen wollen, ließ gestern die Gauführung der VF. Stadt Linz Flugblätter verteilen, in denen sie die Bevölkerung noch einmal eindringlichst an die bekannten Weisungen erinnert.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 61, Wien, 3. März 1938, S. 3.
Bundesminister Dr. Seyß-Inquart erklärte u.a., daß er als Chef des Sicherheitsministeriums unbedingt daran festhalte, daß Politik zu machen niemals Sache der Polizei, sondern nur der Regierung sei. Treu den altbewährten Traditionen habe die Polizei auch fernerhin nur Recht und Gesetz zu schützen […].
Westböhmische Tageszeitung. Pilsner Tagblatt, 39. Jg., Nr. 51, 3. März 1938, S. 1.
4. März 1938
Von den österreichischen Nationalsozialisten sind wir es gewohnt, daß sie in Fristen denken. Von Zeit zu Zeit tauchen immer wieder in der Bevölkerung ihre Schlagworte auf, die den genauen Zeitpunkt der Machtergreifung angeben. […]. Der nächste fällige Kalendertag ist der 22. März, der Tag, an dem das Versammlungs- und Aufmarschverbot abläuft.
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 52, 4. März 1938, S. 1.
Der Tiroler Landtag versammelte sich gestern in einer außerordentlichen Sitzung zu einer Kundgebung für die Unabhängigkeit Oesterreichs und die Bundesregierung. Die Landesführung der VF und ihrer Werke und sämtliche Bezirksführer der VF des Landes wohnten ebenso wie zahlreiche Beamte dem feierlichen Akte bei.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 62, 4. März 1938, S. 2.
5. März 1938
(Schuschnigg) ist über Obersalzberg noch recht verärgert; es seien Drohungen gebraucht worden. Falls man Kampf wolle, so ist er auch dazu bereit, obgleich er wisse, daß Deutschland die Macht habe, Österreich zu überrennen.
Aufzeichnungen des Staatssekretärs Wilhelm Keppler über seine Besprechung mit Bundesminister Guido Schmidt und Bundeskanzler Schuschnigg am 5. März 1938 (o.D.), zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 219.
Im Museum für Kunst und Industrie wurde gestern durch einen Festakt, der sich zu einem bedeutsamen politischen und kulturellen Ereignis gestaltete, die Presseausstellung ‚Die Zeitung und ihre Welt‘ eröffnet.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 63, 5. März 1938, S. 2.
Nach der festlichen Eröffnung erfolgte ein Rundgang durch die Ausstellung. Der Bundeskanzler widmete diesem Rundgang mehr als eine Stunde Zeit. Unter anderem besichtigte er eingehend die Koje der ‚Illustrierten Kronen-Zeitung‘ […].
Illustrierte Kronen Zeitung, 39. Jg., Nr. 13695, 5. März 1938, S. 8.
Donnerstag, 3. März, empfing Bundeskanzler Doktor Schuschnigg in Gegenwart des Bundesministers Rott und des Staatssekretärs Matzek führende Vertrauensmänner der Wiener Großbetriebe. Die einzelnen Mitglieder der Abordnung trugen dem Kanzler die verschiedenen aktuellen Probleme der Arbeiter- und Angestelltenschaft vor.
Linzer Volksblatt, 70. Jg., Nr. 53, 5. März 1938, S. 2.
6. März 1938
Herrlicher Tag. Vormittag ging ich […] zum Musikverein. […] Dem Konzert wohnte in der Regierungsloge Dr. von Schuschnigg bei. Als ihn das Publikum bemerkte, wurde ihm eine spontane begeisterte Ovation dargebracht, die er dankend quittierte, auf die Philharmoniker ablenkte, worauf er die Loge verliess. Beim Fortgehen nach dem Konzert trafen wir zusammen; er reichte mir die Hand und ich versicherte ihm meiner begeisterungsvollen Ergebenheit.
Wilhelm Kienzl, Tagebuch, 6. März 1938, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Nachlass Wilhelm Kienzl, AN75, Box 53.
Das Abkommen vom 12. Februar brachte dem einzelnen Nationalsozialisten die volle politische und weltanschauliche Freiheit und den Nationalsozialisten die Gleichberechtigung mit allen andern Gruppen im Rahmen der sonst gültigen Gesetze, wobei festgehalten werden soll, daß die Vaterländische Front die Organisation der politischen Willensbildung in Oesterreich ist.
Kleine Volkszeitung, 84. Jg., Nr. 64, 6. März 1938, S. 4.
Im Rathaus fand gestern abend eine große Kundgebung der vaterländisch gesinnten Frauen statt. Zehntausende Frauen hatten sich mit rot-weiß-roten Abzeichen eingefunden. Der riesige Rathausplatz war voll von Menschen, da nur ein Teil Einlaß gefunden hatte. Als Bundeskanzler Schuschnigg mit dem Wiener Bürgermeister Schmitz eintraf, wurden sie jubelnd empfangen.
Westböhmische Tageszeitung. Pilsner Tagblatt, 39. Jg., Nr. 54, 6. März 1938, S. 2.
An der Wiener Universität kam es nach 12 Uhr mittags zu großen Krawallen. Die katholischen Farbenstudenten, die zum Bummel ausgezogen waren, wurden von nationalsozialistischen Studenten angegriffen. Es entspann sich eine furchtbare Schlägerei.
Westböhmische Tageszeitung. Pilsner Tagblatt, 39. Jg., Nr. 54, 6. März 1938, S. 3.
7. März 1938
Der Besuch des Bundesministers Doktor Seyß-Inquart, der vor wenigen Tagen in Graz ein Ereignis gewesen, wurde es nicht minder für Linz. Um die Mittagsstunden zeigten sich die Häuserfronten der Straßen, die der Minister vom Bahnhof weg durchfahren mußte, in reichem Fahnenschmuck in österreichischen, aber auch in reichsdeutschen Farben.
Salzburger Volksblatt, 68. Jg., Nr. 54, 7. März 1938, S. 3.
Samstag den 5. März wurde nicht nur für Linz, sondern für ganz Oesterreich und vor allem für die österreichischen Nationalsozialisten ein bedeutungsvoller Tag. Er brachte die bereits mit größter Spannung erwartete Rede des Innenministers Doktor Seyß-Inquart, die Klarheit schuf über Weg und Ziel der nationalsozialistischen Mitarbeit am Staate.
Tagespost, 74. Jg., Nr. 54, 7. März 1938, S. 1.
Guido Zernatto hielt Sonntag abend […] eine große programmatische Ansprache, in der er […] zu den politischen Ereignissen und den Reden der letzten Zeit Stellung nahm. […]. Die Vereinbarungen von Berchtesgaden haben den Zweck, die beiden deutschen Staaten endgültig auszusöhnen, nach den Worten des deutschen Reichskanzlers, […] die innere Versöhnung in diesem Lande herzustellen.
Neues Wiener Journal, 46. Jg., Nr. 15912, 7. März 1938, S. 1.
Fassen wir zusammen: Die Redner, die in der letzten Zeit gesprochen haben, bekannten sich einmütig, mag auch der eine oder der andere Punkt des Programms stärker betont worden sein, zum freien, unabhängigen, christlichen, deutschen, ständisch gegliederten und autoritär geführten Oesterreich.
Neues Wiener Journal, 46. Jg., Nr. 15912, 7. März 1938, S. 1.
8. März 1938
Die neue Zeit erfordert von uns Katholiken noch größeres Zusammenstehen, noch engeres Aneinanderrücken, noch mehr Beweglichkeit, mehr Mut und Verantwortungsfreude, noch stärkeren Glauben und vereinigte Kraft. […]. Das katholische Volk […] wird zeigen müssen, daß in ihm ebenso viele Kräfte einsatzbereit, eben solcher Schwung und solche Haltung vorhanden sind, wie die Nationalsozialisten es von sich behaupten.
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 55, 8. März 1938, S. 1.
Sonntag fand in den Gschwandner-Sälen in Hernals ein vom Deutschen Volksbund veranstalteter, von mehr als tausend Personen besuchter Gesellschaftsabend mit Tanz statt. […]. Die Versammelten sangen hierauf, vom Orchester begleitet, die Strophe der Kernstock-Hymne und des Deutschlandliedes. Der Absingung folgten langanhaltende Beifallskundgebungen.
Kleine Volkszeitung, 84. Jg., Nr. 66, 8. März 1938, S. 4.
In Jennersdorf waren die Amtswalter von 33 Gemeinden versammelt. An Bundeskanzler und Frontführer Dr. Schuschnigg wurde unter brausenden Zustimmungsrufen ein Treuetelegramm gesendet. Für die Amtswalter des Bezirkes Güssing fand gleichfalls ein Appell statt.
Neue Freie Presse. Morgenblatt, Nr. 26398, 8. März 1938, S. 4.
In der alten Herzogstadt St. Veit a. d. Glan fand am Sonntag ein Bezirksgewerbetag statt, der sich zu einem machtvollen Bekenntnis der Handels und Gewerbetreibenden des politischen Bezirkes St. Veit a. d. Glan zum unabhängigen und ständisch gegliederten Österreich gestaltete.
Wiener Zeitung, 235. Jg., Nr. 66, 8. März 1938, S. 3.
9. März 1938
Die Nachrichten aus der Provinz übertreffen alle Erwartungen! Aber auch in Wien geht es vorwärts. Das Hakenkreuz wird allgemein getragen und in dem kleinen Kiosk am Votivplatz musste ich mich drängen, um eines zu erstehen. Ich liebte nie die Knopflochgesinnung, aber in dieser Kampfzeit das Hakenkreuz zu tragen, hat mich mit unbändigem Stolz erfüllt. Wie nur alle Mienen leuchten und die Hände zum Hitlergruß emporfliegen!
Richard Ruffingshofer, Tagebuch, 9. März 1938, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 1904.
In Wien herrscht natürlich über diese zeitgeschichtliche Rede Schuschniggs grosse Aufregung, denn es gibt viele Partei-Nationalsozialisten, die sich mit dem in unser Oesterreich eingegliederten legalen Nationalsozialismus nicht zufrieden geben wollen, wobei auch der Antisemitismus eine grosse Rolle spielen mag, der die zahlreichen oesterreichischen Juden begreiflicherweise in grösste Aufregung versetzt. Gott erleuchte die Geister zum Heile unseres geliebten Vaterlandes Oesterreich!
Wilhelm Kienzl, Tagebuch, 9. März 1938, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Nachlass Wilhelm Kienzl, AN75, Box 53.
Dann aber kam eine gänzlich unerwartete Sensation: der Kanzler schrieb für den 13. März eine Volksabstimmung aus – Österreich sollte selbst seine Zukunft entscheiden. […]. Ich sah das Ende gekommen. Ich vermutete, daß die österreichischen Provinzen dem Nationalsozialismus bereits verfallen waren, und hielt es für undenkbar, daß die ‚städtischen Wahlstimmen‘ für einen Sieg Schuschniggs ausreichen würden.
Breuer, Robert: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938. Wien: Löcker 1988, S. 25.
Die entscheidende Entwicklung, in die Österreichs Politik in den letzten Wochen getreten ist, hat auch die Arbeiterschaft auf den Plan gerufen und sie zu einem herrlichen Bekenntnis zur Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs veranlaßt. Die Kundgebungen […] schufen Klarheit darüber, wo die Arbeiterschaft steht.
Linzer Volksblatt, 70. Jg., Nr. 56, 9. März 1938, S. 1.
10. März 1938
Amtlich wird folgender Aufruf des Bundeskanzlers und Frontführers verlautbart: Volk von Oesterreich! Zum erstenmal in der Geschichte unseres Vaterlandes verlangt die Führung des Staates ein offenes Bekenntnis zur Heimat. Sonntag, der 13. März 1938, ist der Tag der Volksbefragung.
Tiroler Anzeiger, 31. Jg., Nr. 57, 10. März 1938, S. 4.
In breiten Reihen und ineinander eingehängt durchliefen Jungvolkangehörige die Wiener Innenstadt, das Wort „Österreich“ auf den Lippen. In nächtlichen Großaktionen wurden Straßen und Plätze mit Krukenkreuzen und Abstimmungsparolen bemalt. Flugzettel wurden von Lastwagen unter die Menschen gestreut.
Erinnerung Franz Gall, zit. nach Schmidl, Erwin: März 1938. Der deutsche Einmarsch in Österreich. Wien: ÖBV 1987, S. 131.
Und nun die größte Gemeinheit: für Mitglieder der Vaterländischen Front gibt es kein Mindestalter, alle anderen aber müssen 24 Jahre alt sein! Bürschlein, die noch nicht trocken sind hinter den Ohren, aber Mitglied der Vaterländischen Front sind, werden ihren ‚Ja‘-Zettel abgeben dürfen, solchen Männern aber, die schon lange militärreif, aber nicht im Besitz einer Mitgliedskarte der Vaterländischen Front sind, ist die Abgabe ihres Bekenntnisses verwehrt!
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 57.
Innsbruck, 10. März: Während der Rede des Kanzlers kam es zu Zusammenstößen zwischen Vaterländischen und Nationalsozialisten vor dem Redaktionsgebäude der „Innsbrucker Nachrichten“ und dem Café Central. […]. Die Nationalsozialisten nahmen gegen die Vaterländischen Stellung und es kam zu einem Handgemenge. Polizei schritt mit gezogenem Säbel ein und trennte die Streitenden.
Westböhmische Tageszeitung. Pilsner Tagblatt, 39. Jg., Nr. 58, 11. März 1938, S. 1.
So wie in den letzten Tagen kam es auch gestern in der Innern Stadt zu Kundgebungen, die aber diesmal größeren Umfang annahmen. Neben nationalsozialistischen Parolen hörte man von anderen Gruppen „Heil Schuschnigg“-Rufe und die anderen Parolen der Vaterländischen Front. […]. Zu ernsteren Zwischenfällen ist es nirgends gekommen.
Illustrierte Kronen Zeitung, 39. Jg., Nr. 13701, 11. März 1938, S. 7.
11. März 1938
Es ist alles aus. Österreich ist zu Ende. Hitler erobert alles. Ein grauenhafter Tag. […] Es ist unausdenkbar. In Wien trinken deutsche Flieger auf ihren Sieg. Es ist grässlich und unerträglich. Die Eltern sitzen im Feuer. Der Teufel regiert.
Hilde Spiel, zit. nach Weinzierl, Ulrich (Hg.): Österreichs Fall. Schriftsteller berichten vom „Anschluss“. Wien-München: Jugend und Volk, 1987, S. 20.
In der Rotenturmstraße sahen wir große Menschenansammlungen, […], die ununterbrochen „Heil Hitler!“ riefen, sonst aber Ruhe bewahrten. Viele, auch die Wachleute, hatten rote Binden mit dem Hakenkreuz am Arme. Was bedeutete das? Als wir nach Hause kamen, hörten wir im Radio die Haydn´schen Kaiserlied-Variationen und erfuhren zugleich, dass Bundeskanzler Dr. Schuschnigg, dem Drucke der oesterreichischen Nationalsozialisten und des den Deutschen in Oesterreich helfen wollenden Hitler Folge leistend, abgedankt habe – ein ebenso tragisches Schicksal wie geschichtlich wichtiges Ereignis! […] Es sollen Begeisterungsstürme auf der Straße wüten. Oesterreich ist also vorläufig ein nationalsozialistischer (bisher noch selbständiger) Staat. Ob es zum völligen Anschluss an das Deutsche Reich kommen wird, muss abgewartet werden. […] Es ist jedenfalls ein ernster geschichtlicher Einschnitt, den dieser Tag bedeutet! […] Gott schütze uns!
Wilhelm Kienzl, Tagebuch, 11. März 1938, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Nachlass Wilhelm Kienzl, AN75, Box 53.
Die Menge war wie berauscht und behext. Alle Vaterländische-Front-Abzeichen waren gegen das Hakenkreuz umgetauscht worden. Die Polizei, die gestern noch versucht hatte, die Nazis abzudrängen, erschien mit Hakenkreuzschleifen als Armbinden und wurde mit erhobener Rechter und lauten Rufen ‚Heil Polizei!‘ begrüßt. Durch die schreiende, kreischende, tobende Menge bahnten sich mühsam Automobile den Weg, in denen Unterführer und Unterunterführer standen, welche die Menge mit dem Hitler-Gruß grüßten.
Breuer, Robert: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938. Wien: Löcker 1988, S. 31-33.
An diesem Nachmittag vollzog sich das Furchtbarste, was seit der Kreuzigung Christi auf Erden geschah. Um die Abstimmung, die dem Schuschnigg die Mehrheit von sicher 80 % gebracht hätte, zu hindern, haben die National-Sozialisten in lange geplantem Verrat, der arme Schuschnigg war rings von Verrätern umgeben, ganz Österreich durchseucht und zersetzt, mit Hilfe der deutschen Soldateska Österreich besetzt.
Bernhardine A., Tagebuch, 15. März 1938, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien, NL 9 I.
An jenem Tag hielten mich Polizeisperren auf, weil junge Nationalsozialisten vor der Oper aufzogen. „Heil Hitler“ brüllten sie. Fragend wandte ich mich an einen der Polizisten. Der zuckte die Achseln, aber ein zweiter […] sah mich plötzlich scharf an. […] Als ich im (Café) Herrenhof auftauchte, fand ich die Freunde besorgt. Die „Heil Hitler“-Rufe drangen wie ununterbrochenes Hundegekläff zu uns herein. „Auch die Polizisten sind Nazis“, flüsterte ich atemlos und verstummte, weil der Ober zu uns trat. „Was darf´s sein?“ fragte er wie immer. Ich bestellte eine Schale Gold – nur Kaffee, denn der Appetit war mir vergangen.
Hertha Pauli, zit. nach Weinzierl, Ulrich (Hg.): Österreichs Fall. Schriftsteller berichten vom „Anschluss“. Wien-München: Jugend und Volk, 1987, S. 51-52.
Ich spürte mich mit all den vielen Leuten, ‚Volksgenossen‘, die hier standen, ganz eng verbunden. Ich fühlte mich genauso bedeutsam wie die älteren, die hier standen. Ich, der Hilfsarbeiterbub, fühlte mich in diesem Augenblick genauso wichtig wie die Professoren- oder Ärztebuben aus unserer Klasse, die vielleicht auch irgendwo am Hauptplatz standen. […] Ich lief heim. Ich wollte jetzt nicht Auto fahren. Ich wollte mich ausrennen. Ich hatte so viel Schwung in mir […] Am liebsten hätte ich vor Freude die Fensterscheiben an den Häusern eingeschlagen oder irgendetwas angezündet, ein Freudenfeuer! […] Daheim waren sie alle – bis auf Großmutter – sehr begeistert. „Jetzt wird alles anders“, sagte Vater.
Otto Kampmüller, zit. nach Angerer, Christian – Ecker, Maria: Nationalsozialismus in Oberösterreich. Opfer. Täter. Gegner (= Nationalsozialismus in den Bundesländern, Bd. 6, hg.v. Horst Schreiber im Auftrag von erinnern.at), Innsbruck-Wien-Bozen: Studienverlag, 2014, 58.
Wenn einige kleine Gruppen sich trauten, auf „Heil Hitler“ mit „Heil Schuschnigg“ zu antworten, gab es immer scharfe Wortwechsel mit beleidigenden Bemerkungen über die Juden, am Ende gegenseitige Schläge. […] Eine Gruppe von Nazis blieb dann vor einem jüdischen Geschäft stehen und schrie sich die Seele aus dem Leib, während die armen, verängstigten Besitzer hilflos von den oberen Fenstern aus zuschauten. Es war schrecklich.
Brief von Helen Baker, 11. März 1938, United States Holocaust Memorial Museum.
Als um halb sechs Uhr abends die Parteigenossen von Payerbach und Reichenau sich im Gasthaus […] eingefunden hatten, erfolgte ein riesiger Zustrom von Volksgenossen aus der Umgebung. […] Gegen 500 Hakenkreuzbinden wurden ausgeteilt, und jeder wollte eine haben. […] Bei diesem Demonstrationszug, an dem […] einige Tausend Volksgenossen teilnahmen, sah man viele Frauen, alte und junge. Es war das Bild einer wahrhaften Volkserhebung.
Bericht von Kreisleiter Hans Braun über die nationalsozialistische Machtübernahme in Neunkirchen. In: Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 12. März 1939, Sonderbeilage, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1988, 285-286.
Jetzt spielt man im Radio die „Unvollendete“ von Franz Schubert. Diese Symphonie habe ich schon in anderen weit schöneren Situationen gehört. Wir sind so verzweifelt! Die Nazis werden kommen! Dann wird es auch für uns nur mehr Erdäpfel und Heringe geben. – Und Krieg, wie mein Vater sagt.
Stephanie Bamer, Tagebuch, 11. März 1938, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 1919.
12. März 1938
Die Vorgänge, die sich laut Radiobericht in der letzten Nacht abspielten, bilden das einzige Gespräch. Die Leute können´s nicht fassen, wollen´s nicht glauben, regen sich in Furcht und Angst auf. […] Jetzt ist´s aus und geschehen, wilde Gerüchte schwirrten herum. […] Die Dollfuß-Bilder in Schule, Kloster, Gasthäusern wurden weggenommen, die Symbole der Vaterländischen Front, Kruckenkreuze, die rot-weiß-roten Abzeichen mußten die Leute herunternehmen. […] Die Leute gingen gedrückt, niedergeschlagen heim, wie ein unerklärlicher Alpdruck lag es auf allen Gemütern: „Jetzt haben wir kein Vaterland mehr“, sagten sich die Leute mit Tränen in den Augen.
Chronik von Maria Luggau, zit. nach Wadl, Wilhelm – Ogris, Alfred (Hg.): Das Jahr 1938 in Kärnten und seine Vorgeschichte (Klagenfurt 1997), S. 355.
Die Straßen waren überfüllt und laut, Nazis begrüßten einander mit Begeisterung, die Heimwehr war verschwunden, und von der Arbeiterschaft war niemand zu sehen. Dutzende von Flugzeugen kreisten über der Stadt, so tief, als wollten sie die Dächer abreißen. Streifenwagen fuhren vorbei, die jungen Leute darauf grölten im Sprechchor: „Der Kurt ist fuat / Jetzt geht´s uns guat.“
Gina Kaus, zit. nach Weinzierl, Ulrich (Hg.): Österreichs Fall. Schriftsteller berichten vom „Anschluss“. Wien-München: Jugend und Volk, 1987, S. 93-94.
Hörte man gestern noch das freudige ‚rot-weiß-rot‘-Rufen, so schrie die ganze Stadt heute ‚Heil Hitler!‘ Auf allen Gebäuden wurden Hakenkreuzfahnen aufgezogen; vielfach schnitten die Hausbesorger aus der alten österreichischen Fahne den weißen Mittelstreifen heraus und nähten die zwei roten Streifen zusammen, auf die dann das Hakenkreuz ‚gepickt‘ wurde. […] Die Stimmung in Wien war völlig uneinheitlich; die Menschen hatten noch nicht erfaßt, was eigentlich geschehen war; Arbeiter und Angestellte gingen ruhig in ihre Betriebe; die Zeitungen brachten – mit Ausnahme der nationalsozialistischen Wiener Neueste Nachrichten – nur spärliche Mitteilungen über die überraschenden Vorgänge; man war auf Rundfunk Meldungen angewiesen und erfuhr auch bald, daß Hitler bereits auf dem Wege nach Österreich sei.
Breuer, Robert: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938. Wien: Löcker 1988, S. 40.
Nach 14 Uhr Nachmittag: Plötzlich geht, von Mund zu Mund und unglaublich schnell, das Gerücht durch die Stadt, daß der Führer und Reichskanzler in den nächsten Stunden nach Linz kommen wird. Im Nu ist die ganze Stadt auf den Füßen. Ein wahrer Freudentaumel hat alle erfaßt. Ein Gewirre von Menschen ergießt sich auf die Landstraße und auf den Hauptplatz. Alles will sich zeitgerecht einen guten Platz sichern, um den Führer möglichst nahe sehen zu können. Lautsprecher werden überall aufgestellt, um die Meldungen von der Fahrt des Führers nach Linz der Menge zu künden.
Itzinger, Karl: Tagebuch vom 10. Februar bis 13. März 1938. Ein Überblick über die letzten Tage des Kampfes und die ersten Tage des Sieges. Linz a. d. Donau: Zeitgeschichte-Verlag Ernst Seidl 1938, S. 72.
Wie ich am Samstag einkaufen gehe und sehe, ob denn noch nicht bekanntgemacht ist, wo man wählen kann, sehe ich so viele Hakenkreuze – und sehe in der Zeitung die widerlichen Aufschriften. Kaufe mir eine, kann und kann´s nicht glauben. […] Österreich verkauft und verraten, Österreich dem Antichrist ausgeliefert. Gewiß, die Februartage 34 waren schrecklich, aber da war einem doch die Heimat geblieben.
Bernhardine A., Tagebuch, 15. März 1938, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien, NL 9 I.
In den Straßen heute Gruppen von Juden, die, auf Händen und Knien rutschend, Schuschnigg-Parolen von den Bürgersteigen entfernen musste, unter dem Zwang johlender SA-Leute und verhöhnt von der Menge ringsum. Zahlreiche Juden begehen Selbstmord. Viele Berichte über den Sadismus der Nazis; was die Österreicher betrifft, überrascht mich das. Jüdische Männer und Frauen müssen Latrinen reinigen. Hunderte von ihnen werden wahllos auf der Straße aufgegriffen, um die Toiletten der Nazikerle zu säubern. Die Glücklicheren kommen mit dem Reinigen von Autos davon – den Tausenden von Wagen, die man den Juden und „Feinden“ des Regimes gestohlen hat.
Shirer, William L.: Berliner Tagebuch. Aufzeichnungen 1934-41 (Leipzig 1991), S. 98-99.
Für uns ein schwerer Tag. In der Früh teilte uns Martha mit, daß Schuschnigg nicht mehr Kanzler ist, daß die Nationalsozialisten regieren. Furchtbare Aufregung. Großer Jubel. Zusammengeräumt, und weil es so frisch war, gingen Lina und ich Kleinigkeiten kaufen. Lina machte Hitler-Fähnchen und ich bügelte etc. Abends war Hitler in Linz und wurde stürmisch begrüßt.
Elsa L., Tagebuch, 12. März 1938, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien, NL 241.
Nie werde ich die jubelnden Volksmassen vergessen, die die Straßen säumten, durch die die Deutschen kamen […]. Die Stadt war in ein Meer von Hakenkreuzfahnen getaucht. Plötzlich tauchten Tausende von Innsbruckern und andere Tiroler in SA und SS Uniformen auf […]. Vom Fenster sahen wir, wie Männer, die der Tiroler Volkspartei angehörten, unter Schlägen von SA-Männern […] aus ihren Wohnungen gezerrt, in Autos verfrachtet und weggebracht wurden. […] Grölende Menschenmengen wälzten sich durch die Stadt, Männer und Frauen, viele, von ihnen angetrunken, torkelten und marschierten. Ein widerlicher Anblick. […] Es gab aber auch eine Menge Leute, die anständig geblieben waren und diesen Volksbelustigungen aller Art fernblieben.
Erinnerung Gad Hugo Sella, zit. nach Schreiber, Horst (Hg.): Nationalsozialismus und Faschismus in Tirol und Südtirol. Opfer. Täter. Gegner. Innsbruck-Wien-Bozen: Studienverlag, 2008, S. 65.
Es war der 12. März 1938. […] Ich stand auch vor dem Gemeindeamt und war neugierig, was da eigentlich los war. Nun gingen einige SA-Männer die aufgestellten Reihen entlang und sagten: „Jetzt müsst ihr alle gleich ‚Pfui‘ schreien und spucken.“ Dann erst sah man, wem dies galt. Die Gemeindefunktionäre wurden von zwei SA-Männern und einem Gendarmen verhaftet und in das Gemeindeamt gebracht, […]. Und tatsächlich begann die versammelte Menge ‚Pfui‘ zu rufen und zu toben.
Hans Brettl, zit. nach Brettl, Herbert: Nationalsozialismus im Burgenland. Opfer. Täter. Gegner (= Nationalsozialismus in den Bundesländern, Bd. 2, hg. v. Horst Schreiber im Auftrag von erinnern.at), Innsbruck-Wien-Bozen: Studienverlag, 2012, S. 84.
In den gestrigen Abendstunden wurden auf dem Ostbahnhof sowie in Stadlau und auf offener Strecke in Kagran die mit Juden überfüllten, in die Oststaaten abgehenden Züge sowohl von Polizeibeamten als auch von SA-Abteilung angehalten und durchsucht. Bei den durchwegs jüdischen Passagieren wurden erhebliche Mengen an Devisen und Valuten beschlagnahmt.
Wiener Neueste Nachrichten, Abendausgabe, 14. Jg., Nr. 5475, 12. März 1938, S. 3.
Gott erbarme sich über Österreich! Heilige Maria, hilf uns! […] Das Kainszeichen, das zugleich das Zeichen des Tieres aus der Geh. Offenbarung sein könnte, überflutet Wien. Statt der Abstimmung national-Sozialismus. Der Schuschnigg usw. ohne Dank, ohne was davon gejagt. Noch vor ein paar Tagen umjubelt - jetzt ist Führer-Getue mit Sieg-Heil usw. Die Menschen sind so falsch und minderwertig, sind solche Verräter, daß man weinen und weinen könnte. Aber das gilt auch für Hitler mit Anhang: nach dem Palmsonntag kommt der Karfreitag! Ich war nie eine Stände-Staat-Anhängerin - aber so die Heimat preis geben, das Vaterland. Herr Gott im Himmel, vernichte deine Feinde, hl. Maria schütze Österreich.
Bernhardine A., Tagebuch, 12. März 1938, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien, NL 9 I.
13. März 1938
Was soll aus uns werden? […] Bei uns dröhnt es von Fliegern in der Luft und schweren Militärautomobilen deutscher Art auf den Straßen. Wie hat sich alles binnen kürzester Zeit verändert! Zu Tee kam Emilie und ihr brachten wir gleich unser Leid dar. Sie ist natürlich ganz selig, dass Österreich verschwunden ist. Nach dem Tee gingen wir mit ihr spazieren und nachher rauchte sie eine Zigarette und trank ein Glaserl Schnaps.
Elsa L., Tagebuch, 13. März 1938, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien, NL 241.
Hunderttausende von Menschen standen und gingen (am Ring), um die aus Deutschland ankommenden Soldaten und Offiziere in ihren Riesenautos zu sehen und zu begrüßen. […] Züge von halbwüchsigen Jungen mit Hakenkreuzfahnen und altdeutschen Trommeln sah man aufziehen. Alles ist in Aufregung, freudiger und – ängstlicher (die Juden!, die man übrigens gar nicht auf der Strasse sieht).
Wilhelm Kienzl, Tagebuch, 13. März 1938, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Nachlass Wilhelm Kienzl, AN75, Box 53.
Hakenkreuze in allen Ausführungen wurden feilgeboten, tausende Armbinden verkauft, aber was noch mehr Staunen erregte – alle Formationen der SA, der SS, der Hitler-Jugend und des BDM zogen bereits wohl ausgerüstet und adjustiert in den frühesten Morgenstunden durch die Stadt. Kaum glaubhaft, mit welcher Promptheit und mit welch bewundernswerter Organisation dieser ‚spontane Umschwung‘ geklappt hatte!
Breuer, Robert: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März 1938. Wien: Löcker 1988, S. 42.
Heute war ich bei den Kramers. Lilly und ihre Eltern sind ganz erregt. Frau Kramer war über meine Treue so gerührt, dass sie mir sogar einen Kuss gab und weinte. Das tat mir sehr weh. Sämtliche Juden, die Österreich verlassen wollten mußten zurück.
Stephanie Bamer, Tagebuch, 13. März 1938, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 1919.
14. März 1938
Hitler kehrte gestern als Held und Eroberer in das Land zurück, das er vor fünfundzwanzig Jahren als verbitterter Jüngling verlassen hatte, von der leidenschaftlichen Überzeugung beseelt, die einzige Hilfe für Oesterreich liege in der Vereinigung mit Deutschland. […]. Selbst während der kaiserlichen Zeit hat Oesterreich nie solche Szenen der Begeisterung erlebt.
Sonderberichterstatter der ‚Times‘. Zitiert nach: Neues Wiener Journal, 46. Jg., Nr. 15919, 14. März 1938, S. 1.
Das deutsche Heer hat Wien erreicht. Die Stadt ist […] würdig geschmückt. Für die öffentlichen Gebäude ist das Dekorationsmaterial aus dem Reich gekommen. Für die Privathäuser hat man meist den weißen Streifen aus der österreichischen Fahne entfernt und auf die rote Fahne das Hakenkreuz gesetzt. Man sieht aber auch österreichische Fahnen mit Hakenkreuz – eine Hoffnung ausdrückend, die sich kaum verwirklichen wird.
Theodor F. Meysels, zit. nach Weinzierl, Ulrich (Hg.): Österreichs Fall. Schriftsteller berichten vom „Anschluss“. Wien-München: Jugend und Volk, 1987, S. 98-99.
Heute ist der Führer nach Wien gekommen. Aus diesem Anlass hatten wir schon um 12 Uhr frei. Im Lesezimmer wurde an der Stelle, wo früher die Dollfußbüste stand, ein Bild Hitlers aufgehängt. Was für eine Wandlung! Die Betriebszelle gab bekannt, dass ein gemeinsamer Zug auf die Ringstraße stattfinde. Obwohl ausdrücklich erklärt wurde, dass die Beteiligung frei sei (nicht so wie bei den vaterländischen, wo wir mit allen Terrormitteln zu solchen Veranstaltungen hingetrieben wurden), war der Zug über alle Massen stattlich. […] Alle Feinde gingen mit und trugen sogar das Hakenkreuz. Wie furchtbar hat doch die Herrschaft der Schwarzen die Charaktere verdorben! […] Zwang hatten sie ausgeübt und so erwarteten sie mit fatalistischer Selbstverständlichkeit, dass wir das gleiche tun würden. Pfui, wie niedrig!
Richard Ruffingshofer, Tagebuch, 14. März 1938, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 1904.
Wir gingen dann zum menschenüberfüllten Ring (ich wollte im Hotel Imperial meine Karte für Hitler abgeben), wir konnten aber nicht hindurchdringen. Alles erwartete mit ungeheurer Spannung die Ankunft des Führers, der nun auch der unsere sein soll. […] Wir gingen langsam nach Hause und hörten im Radio das kolossale Empfangsgebrüll bei Hitlers Ankunft am Ring und bei seinem Erscheinen auf dem Balkon des Hotel Imperial. Geruht und gelesen. Geschrieben.
Wilhelm Kienzl, Tagebuch, 14. März 1938, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Nachlass Wilhelm Kienzl, AN75, Box 53.
Es ist knapp vor 17:30 Uhr in der Mariahilferstraße. Dicht gedrängt stauen sich die Menschenmauern. Wer zu weit in den Hintergrund geraten war, behilft sich anders. Die Buben erklettern kühn die Lichtmaste und Dächer der Telephonzellen, auch Menschen würdigeren Alters scheuen sich nicht, die Höhe eines Denkmals zu ersteigen oder das Gerüst eines Neubaues zu erklimmen.
Das kleine Volksblatt, 12. Jg., Nr. 73, 15. März 1938, S. 3.
Furchtbar unglücklich und beängstigt. […] Nachher im Hotel Journalistenkonferenz. Viel über Österreich. Die Nachrichten der N. Y. Times relativ tröstlich. Empörung in England. Mussolini rasend. Halifax ‚enttäuscht‘. Chamberlain willens zu Neuwahlen, weil er nicht sicher sei, das Land hinter sich zu haben. Die kleinen Länder schwer beunruhigt. – Das Scheusal spricht heute in Wien, wird es nicht ohne ‚Geschicklichkeit‘ tun und zu beruhigen suchen. Das Plebiscit wird folgen. […] Die Folgen des ekelhaften Streiches sind unabsehbar, der Choc stark, die Belehrung wirksam.
Mann, Thomas: Tagebücher 1937-1939. Herausgegeben von Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main: S. Fischer 1980, S. 188.
15. März 1938
Warmer, strahlender Sonnenschein – richtiges Hitler-Wetter – liegt über diesem wunderbaren Bild. Es geht auf 11 Uhr. Und jetzt kommt Bewegung in die unübersehbaren Massen. Von fernher brandet eine stürmisch aufschwellende Welle von Heilrufen heran. Und schon nähert sich die Kraftwagenkolonne des Führers.
Das Kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 74, 16. März 1938, S. 5.
„Lieber Führer, bleib doch stehen, wir wollen dich so gerne sehen.“ Solche und ähnliche Sprechchöre, die die herzliche und innige Verbundenheit des Volkes mit seinem Führer dartun, hatten sich im Nu gebildet. Die Massen werden nicht müde, zu grüßen, zu jubeln und zu winken. Und der Führer lächelt.
Das Kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 74, 16. März 1938, S. 5.
Mein Führer! Wir können nur eines: Wir danken dem Führer! Wir sagen Dank, der restlose Liebe und bedingungslose Treue ist. Mein Führer! Wo immer der Weg hinführt: wir folgen nach!
Ansprache von Arthur Seyß-Inquart auf dem Heldenplatz in Wien, 15. März 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 338.
Heute wieder früher Schluss um den Leuten die Teilnahme an der Parade zu ermöglichen, die Hitler vor dem Burgtor abhielt. Die neu auf Hitler vereidigte Wehrmacht Österreichs zog gemeinsam mit der übrigen Armee an ihm vorüber. Leider hatte ich einen recht schlechten Platz und sah sehr wenig.
Richard Ruffingshofer, Tagebuch, 15. März 1938, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 1904.
16. März 1938
Wien, die Hauptstadt der Südostmark, erlebte gestern Weltgeschichte. Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler hat gestern auf dem Heldenplatz die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Mutterland verkündet. Österreich ist heimgekehrt! Der bisherige Bundeskanzler Dr. Seyß-Inquart wurde zum Landesstatthalter ernannt.
Das Kleine Blatt, 12. Jg., Nr. 74, 16. März 1938, S. 4.
Übrigens Herr T. (Legitimist) und Herr G. (Gewerkschafter) sind verhaftet worden. Das sind eben die negativen Seiten des Umbruches. Einen Schatten werfen die eigenmächtigen Requirierungen auf die Ereignisse der jüngsten Tage. Das ist oder wird bald eingestellt. Natürlich, die Lösung der Judenfrage auf diese Art, wie sie jetzt geschieht, hätte im kleinen Österreich niemals durchgeführt werden können.
Franz Mixner, Tagebuch, 16. März 1938, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 1912.
Gleichzeitig habe ich einen eingeschriebenen Brief an die Bezirksführung der NSDAP abgeschickt. Kurz und bündig – der neuen Zeit entsprechend – habe ich um eine Aufnahme angesucht. Ich weiß aber gegenwärtig noch gar nicht, ob überhaupt eine solche jetzt möglich ist. […] Als der R. – geschmückt mit Hakenkreuzen auf Mantel und Rock – kam, war ich neugierig, ob er schon bei der Partei sei. Aber er ist diesbezüglich äußerst unselbständig. Charakteristisch: Er sei dort, wo das Militär (d.h. die Macht) ist. Das ist aber doch keine letzte Haltung. Man muss doch aus seiner eigenen innersten Überzeugung zu einer Sache stehen!
Franz Mixner, Tagebuch, 16. März 1938, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 1912.
17. März 1938
Reizvoll ist das Begrüßen auf der Straße: die einen können ihren Arm nicht weit genug ausstrecken und nicht laut genug „Heil Hitler“ rufen, die andern tun es, indem sie sich selbst vergewaltigen, andere wieder deuten es nur an und ich vergesse in der Regel und grüße wie gewöhnlich mit dem Hute.
Anton Just, Tagebuch, 17. März 1938, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 1873.
Ross und ich gehen in die Innere Stadt. Sehen die Judengasse mit allen Geschäften fest verschlossen. Jüdische Geschäfte am Ring sind verpflichtet, Schilder anzubringen: „Das ist kein arisches Geschäfte“.
Tagebuch von Helen Baker, 17. März 1938, United States Holocaust Memorial Museum.
Leider haben Angehörige der Partei in den letzten Tagen in großem Umfange in völlig undisziplinierter Weise sich Übergriffe erlaubt. Ich habe heute in der Presse veröffentlicht, daß kommunistische Parteigänger unter Mißbrauch der parteiamtlichen Uniformen versuche, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden, in dem sie widerrechtliche Beschlagnahmen, Hausdurchsuchungen und Festnahmen durchführen. […] Es wäre bedauerlich, wenn die Staatspolizei gezwungen wäre, in größerem Umfange auch weiterhin gegen Parteigenossen vorzugehen.
Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei Reinhard Heydrich an Gauleiter Josef Bürckel, 17. März 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1988, S. 440.
In ganzen Straßen der Leopoldstadt wurden die jüdischen Geschäfte von Plünderern vollständig geleert. Diese behaupten, daß die Waren von der NSDAP gebraucht werden. Widerstand bedeutet sofortige Verhaftung. Mehrere tausend prominente Juden sind verschwunden, und ihre Familien können nicht sagen ob sie im Ausland, im Gefängnis oder sonstwo sind.
News Chronicle (Zürich), 17. März 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1988, S. 423.
18. März 1938
Ich wende mich an Sie mit der Bitte, die Vorgänge in dieser Stadt Wien und im Lande Österreich mit Objektivität der Weltöffentlichkeit zu vermitteln. Es ist ja nicht zuletzt Ihre höchste journalistische Pflicht, die Sie ja selbst kennen. Wir verlangen nur Objektivität, denn darüber gibt es keinen Zweifel, daß sich noch niemals in der Geschichte ein so radikaler, blitzartiger, hundertprozentiger Umsturz in so humanen Formen vollzogen hat. […] So wird es bleiben, denn wir verfügen über ein Gut in unserer Bewegung, das uns über jede ähnliche Bewegung hinweghebt, wir verfügen über eine absolut eiserne Disziplin.
Ansprache des Wiener Bürgermeisters Hermann Neubacher vor Pressevertretern, 18. März 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1988, S. 444.
Wird der Hans in der Sparkasse bleiben können, wird der Peter die Trafik behalten? Was wird aus dem Mann der Inge? Das sind lauter schwerwiegende Fragen. Auch diese Dinge machen es mir schwer, in die neue Bewegung hineinzuwachsen. Doch ich muß hindurch!!!
Franz Mixner, Tagebuch, 17. März 1938, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 1912.
Wir erkennen freudig an, daß die nationalsozialistische Bewegung auf dem Gebiet des völkischen und wirtschaftlichen Aufbaues sowie der Sozialpolitik für das Deutsche Reich und Volk und namentlich für die ärmsten Schichten des Volkes Hervorragendes geleistet hat und leistet. Wir sind auch der Überzeugung, daß durch dieses Wirken der nationalsozialistischen Bewegung die Gefahr des alles zerstörenden Bolschewismus abgewehrt wurde. Die Bischöfe begleiten dieses Wirken für die Zukunft mit ihren besten Segenswünschen und werden auch die Gläubigen in diesem Sinne ermahnen.
Feierliche Erklärung der österreichischen Bischöfe, 18. März 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1988, S. 449.
19. März 1938
Sämtlichen in den Tagen des Umbruchs von Stellen und Formationen der Partei beschlagnahmten Vermögenswerte, Aufzeichnungen und Belege sind unverzüglich an die örtlich zuständigen Sicherheitsbehörden unter Anschluß einer Darstellung über den Anlaß und die Durchführung des Einschreitens abzuführen.
Anordnung der Staatspolizeileitstelle Wien, 19. März 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1988, S. 441-442.
Das politische Ende Österreichs in der bekannten Form und unter den bekannten Umständen bedeutet einen schweren Anschlag auf den Pakt des Völkerbundes und auf die geheiligten Prinzipien des Internationalen Rechts.
In Folge eines gewaltsamen Aktes hat Österreich aufgehört, als unabhängige Nation zu existieren. Diese Intervention ist eine offenkundige Verletzung unseres Paktes wie auch der Verträge von Versailles und St. Germain, welche die unveräußerliche Unabhängigkeit Österreichs erklären.
Schreiben des Leiters der mexikanischen Delegation beim Völkerbund, Isidor Fabela, an den Generalsekretär des Völkerbundes, Joseph A. Avenol, 19. März 1938, vgl. DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 379 (Übersetzung Kurt Schmutzer/ORF).
20. März 1938
Heute habe ich mir vom Dachboden, wo ich sie versteckt gehalten habe, einige Seiten aus meinem Tagebuch der Verbotszeit hervorgeholt und wieder eingeklebt. Wäre man mir bei einer Hausdurchsuchung daraufgekommen, hätte ich zumindest meine Stellung verloren. Solche Notizen sind schon vielen verderblich geworden!
Richard Ruffingshofer, Tagebuch, 20. März 1938, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 1904.
21. März 1938
In allen dem Wiener Stadtschulrat unterstellten Lehranstalten wurde heute ein Festakt abgehalten, der um 8 oder 9 Uhr seinen Anfang nahm. Die arische Schülerschaft hatte sich in den schön ausgeschmückten Fest- oder Turnhallen der Anstalten eingefunden, wobei starke Abteilungen der Hitler-Jugend in ihrer einheitlichen Kleidung auffielen. Das Programm der Feiern enthielt Vorträge durch Lehrpersonen und Schüler, die auf die großen Ereignisse der letzten Tage Bezug hatten. Im mehreren Anstalten wurden auch Abschnitte aus dem Buche des Führers „Mein Kampf“ verlesen. Den Höhepunkt bildete die Festrede, die von Lehrpersonen gehalten wurde, die schon lange Angehörige des NS-Lehrerbundes sind.
Neue Freie Presse, Nr. 26411, 21. März 1938, S. 4.
Der Landeshautpmann […] gab seiner Überzeugung Ausdruck, daß das große nationalsozialistische Reich niemals die Absicht habe, (gegen) irgendeine Minderheit mit Gewalt vorzugehen, solange diese Minderheit dem Reiche gegenüber eine loyale Einstellung bewahrt. […] Jeder Slowene darf gerade wegen der Neuordnung der Dinge glücklich und froh sein, dem mächtigen Staate anzugehören und dessen wirtschaftliche Vorteile zu genießen.
Meldung des Kärntner Landespressedienstes, o.D. (März 1938), zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, s. 477-478.
Auch sonst finden wilde Arisierungen von Firmen […] statt. Der Herr Reichswirtschaftsminister hat mich daher gebeten, Sie zu ersuchen, gegen dieses unbefugte Vorgehen einzuschreiten und dafür Sorge zu tragen, daß derartige Arisierungsmaßnahmen unterbleiben. Die erforderlichen Maßnahmen gegen die Überfremdung des Wirtschaftslebens werden nach der Volksabstimmung durch den Herrn Reichswirtschaftsminister auf gesetzlicher Grundlage getroffen werden.
Telegramm des Reichsministeriums des Inneren an den Reichsbeauftragten für Österreich, Wilhelm Keppler, 21. März 1938, zit. nach DÖW (Hg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung: Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, 424.