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Experten zurückhaltend

Russische Medien haben im Herbst zumeist freundlich über den Wahlsieg der ÖVP bei den Nationalratswahlen berichtet. Sie porträtierten Sebastian Kurz, der nun erstmals als Bundeskanzler nach Russland reiste, als Freund ihres Landes. Experten in Moskau glauben indes nicht, dass Kurz auf der entscheidenden europäische Ebene für bessere Beziehungen zwischen EU und Russland sorgen kann.

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Kurz werde entweder ironisch oder ehrfürchtig als „Wunderkind“ bezeichnet, schrieb im Oktober etwa die liberale Moskauer Boulevardzeitung „Moskowski Komsomolez“ und verbreitete den österreichischen Begriff „Wunderwuzzi“. Ihm sei das Amt des Außenministers zu eng geworden, und er habe daher auf das Amt des Kanzlers abgezielt.

Deshalb habe „Sebastian“ auch eine Perestrojka (Umbau) seiner Partei mit ihm als führender Person angezettelt. „Wie die Wahlen gezeigt haben, ist es ihm gelungen, die ‚gealterte‘ Partei wieder jung und aktuell zu machen“, resümierte die Zeitung. Wegen seines Alters und seiner Rolle beim ÖVP-Umbau werde er deshalb auch schon als in Anlehnung an den französischen Präsidenten als „österreichischer Macron“ bezeichnet.

Boulevard jubelt

„Er wird jüngster Regierungschef der Welt sein! Dabei hat der erfolgreiche Politiker nicht einmal einen Hochschulabschluss“, erklärte damals auch die kremlnahe Boulevardzeitung „Komsomolskaja Prawda“, die ihren Betrag zu den Nationalratswahlen so betitelte: „Österreich hat die Zusammenarbeit mit Russland gewählt und sich von Migranten abgewandt“.

Kurz drücke sich vorsichtiger als Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ aus, aber über die Abschaffung der Russland-Sanktionen spreche auch er. Wenn es zu einer Koalition zwischen ÖVP und FPÖ komme, sei daher mit noch engeren Beziehungen zwischen Russland und Österreich zu rechnen, prognostizierte die Zeitung im Herbst 2017.

„Wahre Pro-Kreml-Lobbyisten verschlafen“

Abgelenkt durch die Provokationen der FPÖ, die Beobachter auf die Krim geschickt und ein Abkommen über eine Zusammenarbeit mit der Kreml-Partei Geeintes Russland unterzeichnet habe, hätte die öffentliche Meinung die Machtergreifung von wahrhaften Pro-Kreml-Lobbyisten verschlafen, schrieb der unabhängige Politologe Wsewolod Tschernosub indes Ende Jänner in einem Gastkommentar für die kremlkritische „Nowaja Gaseta“.

„Während über rechts- und linksextreme Pro-Kreml-Parteien diskutiert worden sei, sind salonfähige und tatsächlich einflussreiche Kreise an die Macht gekommen, die durch geschäftliche Interessen mit den russischen Eliten verbunden sind“, schrieb er.

„Auf europäischer Ebene kann er so nicht spielen“

Der Doyen der russischen Österreich-Forschung Wladimir Schwejzer ist in seinen Bewertungen des neuen Bundeskanzlers indes vorsichtiger. „Es ist nicht möglich, ihn nach so kurzer Zeit zu beurteilen“, erklärte der am Europa-Institut der Russischen Akademie tätige Politikwissenschaftler vergangene Woche gegenüber der APA.

Dass Kurz innerhalb nur weniger Jahre zum Bundeskanzler avancieren konnte, während für eine derartige Karriere üblicherweise Jahrzehnte nötig seien, sieht Schwejzer als mögliches Indiz für künftige scharfe Wendungen in seiner Politik. Die EU-Sanktionen gegen Russland könne der neue österreichische Bundeskanzler trotz mancher medialer Erwartungshaltungen in Russland freilich nicht abschaffen, so der Experte. „Im besten Fall kann er jene Kontakte (zwischen Österreich und Russland, Anm.) verbessern, die ohnehin gut sind. Aber auf europäischer Ebene kann er so nicht spielen. Dazu fehlt ihm die Kraft“, sagte Schwejzer.

Österreich kaum Möglichkeiten

Ähnlich sah das bereits Ende 2017 Fjodor Lukjanow vom Rat für Außen- und Verteidigungspolitik, einer russischen Nichtregierungsorganisation mit Kreml-Affinität. Kurz nähme zwar eine klare Position für eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland ein, erklärte Lukjanow gegenüber der APA, Österreich habe jedoch als Staat kaum Möglichkeiten, die Atmosphäre innerhalb der EU in diese Richtung zu verändern, meinte der renommierte Experte für Außenpolitik.

„Kurz ist eine Person, die Wladimir Putin allein durch sein Alter imponieren muss“, ergänzte Lukjanow damals. Er sei Altersgenosse jener neuen Generation von Gouverneuren, die Putin zuletzt ernannt habe, referierte er und erwähnte dabei Anton Alichanow. Der im Herbst 2016 zum Gouverneur von Kaliningrad ernannte „junge Technokrat“ kam am 17. September 1986 zur Welt und ist genau drei Wochen jünger als der österreichische Bundeskanzler.

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