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Eine nicht zu unterschätzende Frau

Meryl Streep spielt nicht nur in etlichen Filmen eine Kämpferin. Auch im richtigen Leben sollte man sie nicht unterschätzen. Das musste kürzlich auch Harvey Weinstein erkennen. Anfang Jänner berief sich der Hollywood-Mogul, der wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe auf Schauspielerinnen unter Beschuss steht, ausgerechnet auf Streep, um sich selbst zu entlasten. Ein Fehler, den er bald bereute.

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Irgendwann, während der erhitzten „#MeToo“-Debatte hatte Streep gesagt, Weinstein habe sich zumindest ihr gegenüber immer respektvoll verhalten. Aber wie kann die positive Erfahrung einer einzelnen Frau die negativen Erlebnisse vieler anderer entkräften?

Als Streep merkte, dass Weinstein versuchte, sie zu instrumentalisieren, schoss sie in einem Interview mit dem „Hollywood Reporter“ prompt zurück: „Erbärmlich und ausbeuterisch“ sei Weinsteins Versuch, sich aus der Affäre zu ziehen, und wenn es irgendeine Gerechtigkeit auf der Welt gäbe, dann werde er für sein Verhalten bezahlen. Der Schlag saß. Weinstein entschuldigte sich.

Schon früh Haltung gezeigt

Und wieder einmal war Streep ihrer Rolle gerecht geworden. In Hollywood gilt sie schon lange als Kämpferin für die gerechte Sache. Kaum eine andere Schauspielerin ist auch im Alltag so sehr eins mit den Rollen, die sie verkörpert.

Schauspieler Tom Hanks, Schauspielerin Meryl Streep und Regisseur Steven Spielberg

UIP Media

V.l.n.r.: Hanks, Streep und Spielberg bei der Washington-Premiere von „The Post“

Privat zeigte Streep schon in jungen Jahren Haltung, als sie mit Ende Zwanzig ihren Verlobten, den Schauspieler John Cazale (bekannt als Corleone-Sohn Fredo in „Der Pate“) aufopfernd bis zu dessen frühen Tod pflegte. Cazale starb im März 1978 mit gerade einmal 42 Jahren an Krebs. Streep soll auch die Zeremonie ihrer ersten Oscar-Nominierung versäumt haben, um an Cazales Sterbebett zu sitzen. So wie sie späteren Verleihungen fernblieb, weil eines ihrer vier Kinder (aus der Ehe mit dem Bildhauer Don Gummer) fieberte.

Streep gegen die Pestizid-Bauern

In den 80er Jahren entdeckte Streep dann die politische Bühne für sich. Für das „Natural Resources Defence Council“ prangerte sie medienwirksam die Gifte in Äpfeln an und gründete gemeinsam mit Wendy Rockefeller die Bewegung „Mothers and Others for Pesticide Limits“ („Mütter und andere für Pestizid-Obergrenzen“). Sie legte sich mit der mächtigen US-Farmerlobby an – und soll haufenweise Drohbriefe erhalten haben, die sie zwangen, ihr Privatleben zukünftig noch stärker unter Verschluss zu halten.

Ebenfalls in den 80er Jahren wurde sie zur Vorkämpferin gegen den Gender-Pay-Gap, also die ungleichen Gagen von Männern und Frauen - ein Thema, das in Hollywood auch heute noch nicht vom Tisch ist. Streep schien immer irgendwie alles „richtig“ zu machen, auf der „richtigen“ Seite zu stehen. Zumindest aus Sicht der Demokraten. Anderen war sie weniger genehm. Im Jänner 2017 nannte US-Präsident Donald Trump sie in einem Tweet eine der meist überschätzten Schauspielerinnen Hollywoods.

Streep disst Trump bei den Golden Globes

Anlass war Streeps Preisrede bei der Golden-Globe-Verleihung gewesen. Darin hatte sie mit tränengeröteten Augen beschrieben, wie Trump bei einer Pressekonferenz einen gehandycapten Reporter nachgeäfft habe. Ausgerechnet der Mann, so Streep, „der den ehrenvollsten Platz in unserer Gesellschaft einnimmt, hat einen anderen lächerlich gemacht, dem er in jeder Hinsicht überlegen war - was Privilegien, Macht und Wehrhaftigkeit betraf“. Mit brüchiger Stimme fügte sie an: „Dieser Moment brach mir das Herz.“

Während die Anwesenden im Saal vor laufender Kamera schluchzten, sagte Streep mit heiserer Stimme: „Wenn die Mächtigen ihre Macht missbrauchen, um Schwache zu mobben, dann sind wir alle die Verlierer." Dann rief sie die Presse auf, stark zu bleiben, denn gerade in Zeiten wie diesen brauche man Journalisten, um die „Wahrheit zu schützen“.

Wie passend, dass Streep gerade mit Steven Spielberg „The Post“ („Die Verlegerin“) drehte. Streep spielt darin Kay Graham, jene Verlegerin der „Washington Post“, die in den 70er Jahren alles riskierte, um die brisanten Pentagon-Papers zu veröffentlichen.

Feministischer Drehbuch-Twist in den 70ern

In Streep-Biografien heißt es, die Schauspielerin habe immer wieder auf die Drehbücher Einfluss genommen und ihre eigenen Figuren verändert - beispielsweise Joanna Kramer, Dustin Hoffmanns Kontrahentin in Robert Bentons Scheidungsdrama „Kramer gegen Kramer“ (1979). Streep habe sich hier gegen das männliche Drehbuchteam durchgesetzt, das die Ehefrau als Rabenmutter und neurotische Versagerin darstellen wollte, und ein differenziertes Bild dieser Frau in Ehenot entworfen, schreibt Biografin Sonja Kochius.

Dustin Hoffman und Meryl Streep im Film Kramer vs. Kramer im Jahr 1979

picturedesk.com/Everett Collection/Columbia Pictures

Meryl Streep, 1979, mit Dustin Hofmann in „Kramer gegen Kramer“

Auf der Leinwand gibt sie gerne auch die historische Heldin. In den USA wurde Streep mit ihrer Rolle in der rührseligen TV-Serie „Holocaust“ (1978) berühmt. Sie spielt darin eine deutsche Katholikin, die in Nazi-Deutschland einen Juden (James Woods) heiratet – dem sie in ihrer grenzenlosen Liebe von einem Konzentrationslager ins nächste folgt. Gedreht wurde übrigens in Österreich.

Reue über „Holocaust“-TV-Kitsch

Streep selbst tat die Serie später als „Müll“ ab, den sie nur gedreht habe, um die Krankenhausrechnungen ihres sterbenden Verlobten bezahlen zu können. Wie dem auch sei: „Holocaust“ wurde mit acht Emmys ausgezeichnet und legte den Grundstein zu Streeps Berühmtheit.

In Karel Reisz’ Historiendrama „Die Geliebte des französischen Leutnants“ („The French Lieutenant’s Woman“, 1981) spielt Streep eine Frau, die sich in den Netzen der viktorianisch-prüden Gesellschaft verfängt, als sie eine Affäre mit einem französischen Seemann (Jeremy Irons) beginnt: „Es gibt Dinge, für die es keinen Trost gibt“, kommentierte Streep diese melodramatische Rolle, die ihr eine Oscar-Nominierung, aber keinen Preis eintrug.

Für Alan Pakulas Holocaust-Drama „Sophies Entscheidung“ („Sophie’s Choice“, 1982) hungerte sich Streep bis auf die Knochen herunter und ließ sich eine Glatze scheren. Ihre Rolle als KZ-Überlebende Sophie schrie geradezu nach einem Oscar, den sie 1982 auch bekam.

Whistleblowerin Streep

Im Jahr darauf kehrte Streep als Whistleblowerin Karen Silkwood auf die Leinwand zurück („Silkwood“, 1983). Silkwood war ein Fall, der in den USA die Gemüter erhitzte: Die Mitarbeiterin einer atomaren Aufbereitungsanlage war ums Leben gekommen, kurz bevor sie einem Reporter brisante Dokumente übergeben konnte. Ein Mord im Auftrag der Atomlobby wurde vermutet, und der Dreh war überschattet von einem Gerichtsstreit – die Regierung untersagte Regisseur Mike Nichols, die Akten für das Drehbuch zu verwenden. Und Streep wurde zum fünften Mal für den Oscar nominiert.

In Fred Schepisis „Die emanzipierte Frau“ („Plenty“, 1985) spielte Streep kurz danach eine britische Freiheitskämpferin, die ihrer Haltung über eine Zeitspanne von 15 Jahren treu bleibt. Und 1985 an der Seite von Klaus Maria Brandauer spielte sie die dänische Baronin Karen Blixen in „Out of Africa“ („Jenseits von Afrika“, Regie: Sydney Pollack), eine verlassene Ehefrau, die auf einer kenianischen Kaffeeplantage ihren Mann steht. „Take your broken heart, make it into art“ („Mach dein gebrochenes Herz zu Kunst“) - dieses Zitat der verstorbenen „Star Wars“-Darstellerin Carrie Fisher nannte Streep kürzlich als ihr Arbeitsmotto.

21 Oscar-Nominierungen

Mit „The Post“ wurde Streep schon ganze 21-mal für den Oscar nominiert, das ist ein einsamer Rekord. Dreimal gewann sie ihn: als beste Nebendarstellerin in „Kramer gegen Kramer“ (1979) und als beste Hauptdarstellerin in „Sophies Entscheidung“ (1983) und in „Die Eiserne Lady“ (2012).

Doch nicht alle können sich mit der Schauspielerin und ihrer speziellen Art anfreunden. Die New Yorker Filmkritikerin Pauline Kael nannte Streep einmal „blass und eisig wie einen Mondmenschen“. Diese Einschätzung gilt aber ganz sicher nicht für Streeps politische Reden.

Denn wenn sie öffentlich ihre Meinung sagt, röten sich ihre Wangen. Vielleicht nur ein Method-Acting-Trick, aber wenn, dann ein guter. Sollte sie den Oscar für „The Post“ gewinnen und eine Dankesrede halten, dann werden ihre Worte - soviel ist sicher - Trump nicht gefallen.

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