Angriffe im Norden Syriens
Türkische Truppen haben die syrische Stadt Afrin Donnerstagnacht mit Artillerie beschossen und dabei nach kurdischen Angaben auch auf einen Menschenkonvoi gezielt. Dutzende Granaten seien in Afrin gelandet, sagte Suleiman Dschaafar von der örtlichen Verwaltung. Ersten Berichten zufolge sei mindestens ein Mensch getötet worden. Acht weitere wurden verletzt.
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Bei dem Konvoi habe es sich um Menschen aus verschiedenen Teilen Nordsyriens gehandelt, die zur Unterstützung der Bevölkerung in die Stadt gekommen seien. Die Türkei hatte am 20. Jänner eine Offensive gegen die kurdische YPG in der nordsyrischen Region Afrin gestartet.

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/BBC/Institute for the Study of War/liveuamap.com
Ein Sprecher der YPG in der syrischen Stadt Aleppo teilte mit, dass Kämpfer seiner Gruppe ihre Posten verlassen hätten, um die Miliz in Afrin bei der Abwehr des türkischen Angriffs zu unterstützen. „Weil alle Weltmächte zu den barbarischen Angriffen schweigen, sind alle YPG-Truppen aus Aleppo nach Afrin gezogen, um die Region zu verteidigen. Deshalb sind die Bezirke östlich von Aleppo unter die Kontrolle der (syrischen) Regimetruppen gekommen“, sagte Furat Chalil in einer Stellungnahme.
Türkei widerspricht Angaben zu getöteten Zivilisten
Die türkische Regierung hatte zuvor Angaben zu getöteten Zivilisten bei der Offensive in Nordsyrien widersprochen. „Bei den Operationen der türkischen Streitkräfte gab es bis heute keinen einzigen Zivilisten in der Region, dem auch nur die Nase geblutet hat, geschweige denn, der ums Leben gekommen ist“, sagte Vizeministerpräsident Bekir Bozdag der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Die Türkei werde die Offensive in Afrin fortsetzen, bis sie die Region von „den Terrororganisationen und ihren Terroristen gesäubert hat“.
Nach Angaben der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien sind bei der türkischen Offensive gegen die YPG in der Region Afrin bisher 112 Zivilisten getötet worden, darunter 23 Kinder. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sagte am Donnerstag in Ankara: „Gott sei Dank, nach dem Stand von heute Früh haben unsere Soldaten im Afrin-Krieg 1.829 Terroristen neutralisiert.“
Türkei sieht Operation in Afrin nicht als „Krieg“
Generell vermeidet die Regierung die Bezeichnung „Krieg“ für die Operation in Afrin, bei der es sich aus ihrer Sicht um Anti-Terror-Kampf handelt. Mit „neutralisiert“ meinen die türkischen Behörden „kampfunfähig machen“, was meist töten bedeutet, aber auch verletzen oder gefangen nehmen heißen kann. Bozdag sagte am Donnerstag, sollten regierungstreue syrische Milizen in der Region die YPG unterstützen, „dann werden auch sie nicht verschont. Wer auch immer versucht, neben diesen Terrororganisationen gegen die türkischen Streitkräfte zu kämpfen, wird für uns zur Zielscheibe.“
Die Kovorsitzende der prokurdischen türkischen Oppositionspartei HDP, Pervin Buldan, bezeichnete die Darstellung, dass aus Regierungssicht nur „Terroristen“ getötet würden, als „Lüge“. „Die Regierung verbreitet Fehlinformationen, wenn sie sagt, dass es keine zivilen Toten gebe“, sagte sie am Donnerstag vor Auslandskorrespondenten in Istanbul. Ihre Partei fordere ein sofortiges Ende des Militäreinsatzes in Afrin.
Ex-UNO-Chefanklägerin kritisiert Türkei
Die ehemalige UNO-Chefanklägerin Carla del Ponte kritisierte unterdessen den Militäreinsatz der Türkei in Syrien. „Mich überrascht, dass die Türkei in Syrien Krieg führt und niemand etwas dagegen unternimmt“, sagte sie bei ihrer Auszeichnung mit dem Hessischen Friedenspreis am Freitag im Landtag im westdeutschen Wiesbaden. „Das ist skandalös“, sagte Del Ponte. Außer Worten geschehe wenig.
Die Schweizerin Del Ponte war Chefanklägerin der Internationalen Strafgerichtshöfe für Jugoslawien und Ruanda. Ihre Rolle als Sonderermittlerin in einer Untersuchungskommission zu Kriegsverbrechen in Syrien hatte sie im August 2017 vorzeitig aufgegeben. „Wir haben überhaupt nichts, nichts erreicht“, sagte sie am Freitag. Sie sei wegen der fehlenden politischen Unterstützung enttäuscht gewesen.
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