Zukunftsplan nie realisiert
Am Samstag jährt sich die Unabhängigkeit des Kosovo zum zehnten Mal. Am 17. Februar 2008 erklärte der heute jüngste Staat Europas nach jahrelangen internationalen Vermittlungen seine Loslösung von Serbien. Die Hoffnung der Kosovaren war groß, doch einige Erwartungen an die eigene Regierung haben sich nicht erfüllt. Auch eine Aussöhnung mit Serbien blieb bisher aus.
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Einiges wurde aufgeboten, um den jahrzehntelangen Kosovo-Konflikt zu lösen: So zwang die NATO 1999 das serbische Militär zum Rückzug aus dem Kosovo. Dort hatten die Serben zuvor 800.000 Albaner gewaltsam in die Flucht getrieben. 2007 stellte der Friedensnobelpreisträger und frühere finnische Präsident Martti Ahtisaari mit Unterstützung der UNO seinen Plan für die Zukunft des Kosovo vor - ohne Ergebnis, denn die Vorhaben wurden nie realisiert.

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Am Freitag begannen rund um das Regierungsgebäude in Prishtina die Vorbereitungen zum Unabhängigkeitstag
UNO und EU bisher gescheitert
Seit fast zwei Jahrzehnten gibt es außerdem eine Verwaltung des Kosovo durch die UNO (UNMIK), seit einem Jahrzehnt die größte ausländische EU-Rechtsstaatsmission (EULEX). Sie hilft seit 2008 beim Aufbau demokratischer Strukturen im Kosovo und umfasst rund 2.000 Polizisten, Richter sowie Staatsanwälte. Viel bewirkt hat die Rechtshilfemission allerdings nicht. Zusätzlich wurde bekannt, dass sowohl EULEX als auch UNMIK unter Korruptionsverdacht stehen.
Für Sicherheit soll zudem die von der NATO geführte Schutztruppe Kosovo Force (KFOR) sorgen. Und nicht zuletzt vermittelt auch die EU unter der Außenbeauftragten Frederica Mogherini seit vielen Jahren zwischen dem Kosovo und Serbien. Jedoch wurde ein 2013 verabschiedetes Abkommen niemals umgesetzt.
Armut zwingt Menschen zur Flucht
Die Arbeitslosigkeit im Kosovo ist hoch, sie liegt bei etwa 35 Prozent. Dem gegenüber steht ein großes Bevölkerungswachstum, wodurch immer mehr junge Leute auf den Arbeitsmarkt drängen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar bei 55 Prozent. Die Jungen sind es auch, die häufig das Land verlassen auf der Suche nach mehr Perspektiven. Laut einem Bericht der „Presse“ machten sich Anfang 2015 rund 70.000 bis 100.000 Kosovaren - fast fünf Prozent der Bevölkerung - zum „Exodus“ in Richtung Deutschland auf, um der Armutsfalle zu entfliehen.

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Luftangriffe durch die NATO (1999) sind Geschichte, doch das Kosovo bleibt das ärmste Land Europas
Nach Angaben der Weltbank aus dem Jahr 2009 leben 34 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze und zwölf Prozent sogar in extremer Armut - sie müssen mit weit weniger als einem Euro pro Tag auskommen. Die Mehrheit der 1,9 Millionen Einwohner bezieht laut Statistik einen Durchschnittslohn von 350 Euro im Monat. Und die Armut des Landes wirkt sich auch auf weitere Bereiche aus: Erziehung und Bildung sind unterfinanziert, die Gesundheitsdaten der Kosovaren gehören zu den schlechtesten in Südosteuropa. Rücküberweisungen aus dem Ausland seien, so die Weltbank, für viele Familien unerlässlich.
Unstimmigkeiten über Anerkennung
Die Entwicklung einer eigenen kosovarischen Identität gestaltet sich schwierig. Wenig unterstützend ist dabei auch, dass dem Staat in vielerlei Hinsicht eine Aufnahme in die internationale Gemeinschaft verwehrt bleibt. Obwohl 112 der 193 UNO-Mitglieder das Kosovo als unabhängig anerkennen, ist der Staat nach wie vor kein Mitglied der UNO, aufgrund eines Vetos durch Russland. Auch ein Sitz im Europarat bleibt ausständig, ebenso ein Wegfall der Visapflicht innerhalb der EU.

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Unstimmigkeiten zur Unabhängigkeit von Serbien kamen zuletzt auch aus Österreich - wobei Österreich unter den ersten Staaten war, welche die Souveränität des Kosovo anerkannten. FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache sagte in einem Interview mit der serbischen Tageszeitung „Politika“ wörtlich: „Kosovo ist zweifellos ein Teil Serbiens.“ Später rechtfertigte er sich damit, dass diese Aussage die serbische Sicht widerspiegle.
Vucic als Schlüsselperson?
Als Schlüsselfigur für die Lösung des Konflikts gilt der serbische Präsident Aleksandar Vucic. Er kündigte Vorschläge zur dauerhaften Lösung an. Der wichtigste Grund dafür dürfte wohl sein, dass Serbien der EU beitreten will. 2025 wurde zuletzt als mögliches Beitrittsdatum Serbiens genannt. Die Bedingung der EU an Serbien: Eine Konfliktlösung mit Prishtina und die Anerkennung des Kosovo als unabhängiger Staat. Spätestens bis zum kommenden Jahr soll das Thema vom Tisch sein, hieß es zuletzt aus der EU.

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Vucic gilt als große Hoffnung in der Beilegung des Kosovo-Konflikts
Details zu Vucics Plänen zur Beilegung des Streits mit dem Kosovo sind noch nicht bekannt, bei vielen Landsleuten schrillen aber schon jetzt die Alarmglocken - allen voran bei der Kirche. Bischof Amfilohije Radovic, Nummer zwei in der serbisch-orthodoxen Kirche, beschuldigte Vucic, „das Kosovo zu verraten“. Nationaldichter Matija Beckovic verglich das Vorgehen des Präsidenten in der Zeitung „Danas“ mit Prostitution: Vucic wolle das Kosovo gegen die EU-Mitgliedschaft verkaufen.
Spekulation um Serbiens Pläne
Darüber, was Vucic konkret vorhaben könnte, gibt es wilde Spekulationen. Eine davon sei ein Gebietstausch, wie die dpa berichtete. So könne die Region Nordkosovo mit ihrer lokalen serbischen Mehrheit Serbien zugeschlagen werden. Im Gegenzug könnte das Presevo-Tal in Südserbien mit seinen rund 100.000 Albanern zum Kosovo kommen. Zudem muss eine Lösung zum Schutz der serbischen Klöster im Kosovo gefunden werden. Dabei könne das Konzept des Vatikans als Vorbild dienen, so die Vermutungen.
Als Reaktion auf die Spekulationen unterschrieben die meisten nationalistischen Politiker Serbiens im Jänner 2018 unter dem Einfluss der orthodoxen Kirche einen „Appell zur Verteidigung des Kosovo“. Die Hauptforderungen: ein Ende der Einmischung der EU, der Stopp von EULEX und KFOR und ein Einfrieren des Konflikts nach dem Vorbild Zyperns.
Doch proeuropäische Diplomaten setzen auf den Einfluss Vucics: Wenn jemand dieses europäische Dauerproblem lösen könne, dann er, so der Tenor. Das Kosovo hat auf der anderen Seite bis dato noch keinen EU-Beitrittsantrag gestellt, zu groß sind die eigenen sozioökonomischen Probleme, die es zu lösen gilt. Ob also ein EU-Beitritt Serbiens de facto auch dem Kosovo einen Aufschwung verschaffen wird oder ob eine Konfliktlösung lediglich als Druckmittel der EU eingesetzt wird, gilt es abzuwarten.
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