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„Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit“

Am Donnerstag vor 75 Jahren sind die Widerstandskämpfer Sophie und Hans Scholl sowie Christoph Probst in München vom NS-Regime ermordet worden. Gemeinsam mit anderen hatte sich die Gruppe, die man heute als die „Weiße Rose“ kennt, mit Anti-Hitler-Botschaften und Flugblättern gegen das Regime aufgelehnt. In einem Schauprozess sollten sie dafür zum Tod verurteilt werden.

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Am 18. Februar 1943 stellte Propagandaminister Joseph Goebbels in Berlin nach der Niederlage von Stalingrad vor frenetischen Menschenmassen die rhetorische Frage nach dem „totalen Krieg“. Am selben Tag wurden in München die Geschwister Sophie und Hans Scholl, Kernmitglieder der studentischen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, in der Ludwig-Maximilians-Universität verhaftet.

Flugblätter regneten über den Lichthof

Sie hatten dort am Vormittag stapelweise ihr sechstes Flugblatt gegen das Nazi-Regime vor den Hörsälen verteilt. Darin forderte die Gruppe eindringlich erneut zum Widerstand gegen den „Dilettanten“ Hitler und seine „verabscheuungswürdigste Tyrannis“ auf. Zum Verhängnis wurde den Geschwistern, dass sie das Gebäude nicht sofort verließen. Stattdessen kehrte Sophie Scholl um und ließ die restlichen Flugblätter über den Lichthof der Universität regnen.

Die Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße. Rose", Hans Scholl, Sophie Scholl & Christoph Probst

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Hans und Sophie Scholl mit Christoph Probst

Dabei wurden die Scholls von dem Hausmeister der Universität entdeckt und festgehalten. Universitätspersonal holte die Gestapo, die bereits seit 1942 bis dahin vergeblich wegen „staatsfeindlichen Bestrebungen“ nach den Urhebern der Flugblätter gesucht hatte.

„Hitler Massenmörder“

Die treibende Kraft hinter der Gruppe waren Hans Scholl und sein Freund und Kommilitone Alexander Schmorell. Sie verfassten ab 1942 die ersten vier Flugblätter „gegen die braune Horden“, vervielfältigen sie in nächtelanger Arbeit. Diese verschickten sie an ausgewählte Intellektuelle oder verteilten sie in München. Dort hinterließen sie auch in einer nächtlichen Aktion auf Gebäuden Parolen wie „Nieder mit Hitler“ oder „Hitler Massenmörder“.

Lichthof der Münchner Universität

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Der Lichthof in einer Aufnahme von 2002

In den Flugblättern riefen Scholl und Schmorell mit Vehemenz zu Widerstand gegen die NS-Diktatur auf und machten die Ermordung Hunderttausender Juden und Polen publik. Es waren lebensgefährliche Unterfangen. Doch formierte sich um Scholl und Schmorell ein Freundeskreis bürgerlich-christlich geprägter Studenten. Dieser wurde einerseits durch die gemeinsame Erfahrung als Sanitäter an der Front, andererseits durch Interesse an Literatur, Musik und gesellschaftlichen Fragen geprägt. Es entstand eine „existenzielle“ Diskussion zu dem Verhältnis zum Nationalsozialismus, wie die Zeitzeugin Hildegard Hamm-Brücher später sagte.

Buchhinweise

  • Robert M. Zoske: Flamme sein! Hans Scholl und die Weiße Rose. C. H. Beck, 26,96 Euro.
  • Inge Scholl: Die Weiße Rose (Die Zeit des Nationalsozialismus). Fischer, 7,95 Euro.
  • Ulrich Chaussy: „Es lebe die Freiheit!“ Die Geschichte der Weißen Rose und ihrer Mitglieder in Dokumenten und Berichten. Fischer, 10,99 Euro.

Dabei bleiben die Fragen, wann sich konkret die Hinwendung zum Widerstand ergab, und was die Gruppe von anderen unterschied - gerade angesichts des Hintergrunds der Studenten. Sowohl Sophie als auch Hans Scholl betätigten sich mit Begeisterung in der Hitlerjugend, beide auch in leitenden Positionen - gegen den Willen der Eltern. Doch später kommt der Schnitt. „In einem Staat rücksichtsloser Knebelung jeder freien Meinungsäußerung sind wir aufgewachsen. HJ, SA und SS haben uns in den fruchtbarsten Bildungsjahren unseres Lebens zu uniformieren, zu revolutionieren, zu narkotisieren versucht“, heißt es im sechsten Flugblatt.

Schauverfahren durch NS-„Blutrichter“

Nach ihrer Festnahme wurden Sophie und Hans Scholl in der Zentrale der Gestapo getrennt tagelang vernommen. In Hans Scholls Tasche wurde dabei der Entwurf für das siebente Flugblatt gefunden - verfasst von dem Medizinstudenten und dreifachen Vater Probst. „Hitler und das Regime müssen fallen, damit Deutschland lebt“ stand unter anderem darauf. Er wurde am 20. Februar auf der Flucht in Innsbruck verhaftet.

Den drei Widerstandskämpfern wurde am 22. Februar 1943 im Schnellverfahren ein Schauprozess gemacht. Nach kurzem Leugnen gestehen die Geschwister: „Wenn die Frage an mich gerichtet wird, ob ich auch jetzt noch der Meinung sei, richtig gehandelt zu haben, so muss ich hierauf mit ja antworten“, so Sophie Scholl. Der NS-„Blutrichter“ Roland Freisler verurteilte die drei Studenten in einem von Geschrei durchsetzten Prozess unter anderem wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tod durch die Guillotine.

21, 23 und 24 Jahre alt

Das Urteil wurde noch am selben Tag vollstreckt, womit die NS-Justiz zweifelsfrei auch ein Exempel statuierte. Sophie Scholl wurde 21, Hans Scholl 23 und Probst 24 Jahre alt. Kurz vor ihrem Tod schreibt sie das Wort „Freiheit“ auf ihre Anklageschrift. „Es lebe die Freiheit“ sollen auch die letzten Worte ihres Bruders gewesen sein. Sie werden gemeinsam mit Probst bestattet.

Die Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße. Rose", Hans Scholl & Christoph Probst

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Von Hans Scholl und Alexander Schmorell ging die Initiative zum Widerstand aus

Mit dem Tod der drei beginnt die Verfolgung weiterer tatsächlicher und vermeintlicher Mitglieder der Gruppe. Mit Schmorrel, Willi Graf und dem Professor Kurt Huber - Letzterer war Autor des sechsten Flugblatts - werden auch die übrigen Mitglieder der Kerngruppe von der NS-Justiz ermordet. Zahlreiche Helfer werden verfolgt und verhaftet. Die politischen Morde vor 75 Jahren bedeuten das Ende der heute wohl bekanntesten Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus.

„Entscheidet Euch, bevor es zu spät ist“

„Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen; die Weiße Rose läßt euch keine Ruhe!“, schrieb die Gruppe in einem Flugblatt. Doch bis 1945 blieb ihr Widerstand im nationalsozialistischen Deutschland ohne echte Folgen. Das von der „Weißen Rose“ erhoffte Strohfeuer griff nicht auf die Studentenschaft über, Ehrungen gab es erst nach Kriegsende. Ihre humanistische Botschaft verbreitete sich nach dem Tod der Widerstandskämpfer trotzdem weiter: Noch im Juli 1943 warf die Royal Air Force mehrere Millionen Exemplare des sechsten Flugblatts über Deutschland ab.

Heute ist die Leuchtkraft der „Weißen Rose“ ungebrochen. Nach wie vor gilt die Gruppe als Blaupause für Zivilcourage, für mutigen, stoischen und humanistischen Widerstand mit „Stift und Papier“, für „Selbstdenken und Selbstwerten“ im Angesicht einer Übermacht. Dafür verantwortlich ist mit Sicherheit auch, dass viele der Aufforderungen der Gruppe zeitlos und universell auch heute noch nachwirken. Darunter: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt! Entscheidet Euch, bevor es zu spät ist.“

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