„Jetzt nicht nachlassen“
Nach monatelangem Druck der deutschen Regierung hat die Türkei den „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel auf freien Fuß gesetzt. Ein Gericht in Istanbul entließ den 44-Jährigen am Freitag nach über einem Jahr aus der U-Haft, kurz darauf kehrte er nach Berlin zurück. Zugleich ließ es eine Anklage der Staatsanwaltschaft zu, die wegen angeblicher Terrorunterstützung bis zu 18 Jahre Haft fordert.
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Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßte die Freilassung und hofft, dass auch andere Deutsche mit raschen Verfahren rechnen können. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) rief dazu auf, den Moment zu nutzen, „alle Gesprächsformate“ wieder in Gang zu setzen, um bei grundsätzlichen Fragen zwischen der Türkei, Europa und Deutschland voranzukommen.
„Vertrauensgrundlage geschaffen“
„Wir haben eine Vertrauensgrundlage geschaffen, in der das möglich ist. Wir sollten jetzt nicht nachlassen“, so Gabriel. Doch während Yücels Freilassung bei vielen für Erleichterung hervorrief, ist die schiere Zahl der noch immer in der Türkei inhaftieren Medienmitarbeiter alarmierend - nach wie vor sind etwa 150 Journalisten in Haft. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 155 von 180 Staaten.

APA/AFP/Ozan Kose
Deniz Yücel bei der Rückkehr in seine Istanbuler Wohnung - zusammen mit seiner Frau Dilek Mayatürk
Sechsmal lebenslang
Und die harte Linie gegen Journalisten behielt die türkische Justiz auch am Tag von Yücels Freilassung bei: Sechs Reporter erhielten lebenslange Haft. Der frühere Chefredakteur der inzwischen geschlossenen Zeitung „Taraf“, Ahmet Altan, sowie sein Bruder, der Ökonomieprofessor und Autor Mehmet Altan, und die Journalistin Nazli Ilicak wurden gemeinsam mit drei anderen „Taraf“-Mitarbeitern schuldig gesprochen.
Die Gebrüder Altan und Ilicak waren kurz nach dem Putschversuch vom Juli 2016 festgenommen worden, für den die Regierung die islamische Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen verantwortlich macht. Ihnen wurden Zusammenarbeit mit Gülen und versuchter Umsturz vorgeworfen. Die 74-jährige Ilicak hatte für eine Gülen-nahe Zeitung geschrieben. Die Gebrüder Altan schrieben für regierungskritische Medien.
„Rechtsstaatlichkeit untergraben“
Im Jänner hatte das türkische Verfassungsgericht die Freilassung von Mehmet Altan angeordnet. Ein Gericht in Istanbul jedoch blockierte die Freilassung. Der Generalsekretär des Europarats, Thorbjörn Jagland, rief deswegen am Freitag die Türkei zur Achtung ihres eigenen Verfassungsgerichts auf. „Wenn die Entscheidungen des Verfassungsgerichts nicht umgesetzt werden, wird die Rechtsstaatlichkeit untergraben“, sagte er vor angehenden Richtern und Staatsanwälten in Ankara.
Yildirim: „Schwierigkeiten liegen hinter uns“
Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim sah indes die deutsch-türkischen Beziehungen auf dem Weg der Normalisierung. „Einzelfälle wie der von Deniz Yücel sind nicht in der Lage, unsere Beziehungen zu stören oder gänzlich zu zerstören“, sagte Yildirim am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz in einem Interview der dpa. Er appellierte an die deutsche Regierung, die Auseinandersetzungen der vergangenen Monate zu begraben. „Die Wahlen sind vorüber, das Referendum ist vorbei, und diese Schwierigkeiten liegen nun hinter uns.“
Fünf weitere Deutsche sitzen aber weiter aus politischen Gründen in Haft. Diese Fälle dürften nicht zur Belastung für die Beziehungen werden, forderte Yildirim. Er betonte, dass einige deutsche Häftlinge Kontakte zu Putschisten gehabt hätten. Diese hätten „versucht, die Demokratie in der Türkei aufzuheben, sie haben versucht, den türkischen Präsidenten zu töten“. Yildirim verwies auch darauf, dass in Deutschland 3.064 Türken inhaftiert seien. „Wenn sie im Gefängnis sind, dann ist das doch völlig egal, ob das politisch motiviert ist oder nicht“, sagte er.
Can Dündar befürchtet „negative Konsequenzen“
Unterdessen befürchtet der türkische Journalist Can Dündar negative Konsequenzen aus der Freilassung Yücels auf die Pressefreiheit in der Türkei. „Sie wird negative Folgen haben, weil (Staatspräsident Recep Tayyip, Anm.) Erdogan nun weiß, dass es möglich ist, über inhaftierte Journalisten zu verhandeln“, sagte der in Berlin im Exil lebende, ehemalige Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung „Cumhuriyet“.
„Erdogan hat etwas als Gegenleistung dafür bekommen, wir wissen nur noch nicht, was. Also warum sollte er nicht noch weitere Journalisten festnehmen lassen?“, erklärte Dündar gegenüber der dpa. Dündar lebt seit dem Sommer 2016 in Deutschland. Er hatte nach einem Bericht über eine Waffenlieferung des türkischen Geheimdienstes an islamistische Milizen in Syrien wegen Spionage drei Monate in der Türkei im Gefängnis gesessen.
„Hoffe, Deutschland macht weiter Druck“
Verantwortlich für die Freilassung Yücels ist nach Dündars Überzeugung eine Entscheidung der türkischen Regierung. Merkel habe darum gebeten, daraufhin habe der türkische Präsident entschieden, Yücel freizulassen. „So funktioniert das Rechtssystem in der Türkei.“
Deutschland hätte sich nach Dündars Ansicht besser für einen Rechtsstaat in der Türkei einsetzen sollen, statt nur einen Einzelfall zu lösen. Für die Pressefreiheit in seinem Heimatland bedeute die Entscheidung von diesem Freitag nichts - und auch nicht für die weiterhin Inhaftierten. „Ich hoffe, die deutsche Regierung und die deutsche Öffentlichkeit machen weiter Druck für sie.“
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