„Was Brüssel nicht mehr sein muss“
Pläne für eine Umgestaltung hat es immer wieder gegeben – laut „Brussels Times“ ist das Europaviertel von Brüssel bisher aber vor allem eines: streng und grau. Der Arbeitsplatz Zehntausender EU-Mitarbeiter habe es allein seinem politischen Stellenwert und den durchaus imposanten EU-Vorzeigebauten zu verdanken, eine der größten Sehenswürdigkeiten der Stadt zu sein – buntes Alltagseben findet man in Brüssel bisher anderswo.
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So füllt neben dem EU-Parlament, dem dort 2011 eröffneten Besucherzentrum und dem als Berlaymont bekannten Sitz der EU-Kommission mittlerweile auch das erst im Vorjahr seiner Bestimmung übergebene und auf den Namen Europa getaufte neue Ratsgebäude die Reiseführer. Allein die zwischen den beiden letztgenannten Gebäuden führende Hauptverkehrsader Rue de la Loi lädt gleichzeitig wenig zum Verweilen ein.

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Rushhour auf der Rue de la Loi
Tägliche Staus prägen - neben den auf den Gehsteigen zu ihren Büros eilenden EU-Mitarbeitern - das werktägliche Bild rund um den wohl berühmtesten Kreisverkehr der Stadt. Abends und an den Wochenenden ist es am Schumanplatz dann meist gähnend leer.
Spiegelnder Blickfang
Dennoch als Herz des Europaviertels bzw. sogar als Tür zur EU bezeichnet, soll sich Europas Machtzentrale nun auch vom Schumanplatz aus in einen Stadtteil verwandeln, in dem nicht nur große Politik gemacht, sondern auch gerne gelebt wird. Erreicht werden soll dieses Ziel durch die Umsetzung des heuer von der Brüsseler Regionalregierung präsentierten Siegerprojektes eines vor zwei Jahren ausgerufenen Architekturwettbewerbs.

COBE and BRUT
Der Gemeinschaftsentwurf von COBE und BRUT hat die zuständige Jury am meisten überzeugt
Ganz nach dessen Vorgaben plant das dänische Architekturbüro COBE zusammen mit dem belgischen Projektpartner BRUT eine tiefgreifende Umgestaltung des Platzes in einen „Ort der Begegnung“. Abseits einer kreisförmigen, sich spiegelnden Dachkonstruktion als nächster architektonischer Blickfang des Europaquartiers umfasst das Projekt auch tiefgreifende Einschnitte für den Straßenverkehr. Es gelte, das Europaviertel vom Schumanplatz aus von einer Stadt für Autos in eine Stadt für Menschen umzugestalten, lautet dazu die von COBE ausgerufene Vision.
Zehntausende Arbeitsplätze
Allein bei der EU-Kommission sind um die 33.000 Menschen beschäftigt, weitere 6.000 beim EU-Parlament und 3.500 beim Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union. Die Machtzentrale der EU ist auch ein Magnet der Lobbyisten: Deren Zahl wird allein in Brüssel auf 15.000 bis 20.000 geschätzt.
Kritische Reaktionen aus Nachbarschaft
„Brüssel für Menschen“ propagiert auf seiner Website auch der Verkehrsminister der Region Brüssel, Pascal Smet, demzufolge der „ikonische“ Platz nun endlich das bekomme, „was er verdient“. Doch die Entschärfung des Schuman-Kreisverkehrs und die partielle Umwandlung der zum Jubelplatz führenden Straße in eine Fußgängerzone haben nicht nur Fürsprecher. So fühlen sich neben den direkten Anrainerinnen und Anrainern auch die benachbarten Stadtgemeinden von der Regionalregierung übergangen. Vermisst wird ein größer angelegtes Verkehrskonzept, befürchtet wird eine Verlagerung des Verkehrsproblems auf die eigenen Straßen.
Wiertz-Museum als neues „Bollwerk“
Smet hält dem in lokalen Medienberichten entgegen, dass der Schumanplatz bisher ein Beispiel dafür sei, „was Brüssel nicht mehr sein muss“, und spricht damit grundsätzlich auch Anrainern der EU-Behörden aus der Seele. So erhebt etwa die Association du Quartier Leopold et Europeen de Bruxelles (AQL) seit 30 Jahren ihre Stimme für die Bewohnerinnen und Bewohner des Europaviertels und fordert eine Stadtplanung, die auch deren Bedürfnissen entspricht.

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Mit dem Haus der europäischen Geschichte gibt es im Leopold-Park einen im Vorjahr eröffneten Standort der EU
Abseits vom Verkehrsproblem, das auch aus AQL-Sicht durch den Umbau des Schumanplatzes noch lange nicht gelöst ist, geht es hier auch um den anhaltenden Platzbedarf eines „unstillbaren Nachbarn“, der neben Neubauten wie dem Ratsgebäude auch auf die Übernahme und Umwidmung historischer Brüsseler Gebäude setzt. Jüngster Stein des Anstoßes ist ein unscheinbares, unmittelbar neben dem Brüsseler EU-Parlament gelegenes Museum bzw. das dort ungenutzte ehemalige Wohnhaus des Künstlers und Namensgebers Antoine Wiertz (1806 - 1865).
Seit bekanntwurde, dass Belgien erwägt, das Gebäude für einen symbolischen Euro dem EU-Parlament zu überlassen, wurde dieses per Petition zum „Bollwerk gegen den enormen vom Europäischen Parlament ausgeübten Druck auf das ganze Viertel“ erklärt. Der Hintergrund des bereits von über 15.000 Unterstützern geteilten Unmutes: In seinem Testament hat Wiertz zwar das Haus und seine Bilder dem Staat überlassen. Voraussetzung dafür war aber, dass dieses so wie seine Ateliers auch weiterhin öffentlich zugänglich bleiben.

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Wiertz vermachte seine Ateliers dem Staat Belgien - in einem Teil davon sind heute seine Werke ausgestellt
Kleines Projekt, großer Symbolgehalt
Nun wird für das Wiertz Museum und den dazugehörigen Park genau das Gegenteil befürchtet. Allein mit Bick auf die Sicherheitsmaßnahmen, „an denen die europäischen Institutionen immer mehr Gefallen finden“, drohen dem Petitionstext zufolge „verhängnisvolle Auswirkungen auf den öffentlichen Raum und die urbane Vielfalt, die in diesem Viertel bewahrt werden konnten“.
Für das EU-Parlament sei das derzeit auf Eis liegende Wiertz-Projekt zwar nur ein kleines Vorhaben, sagte AQL-Mitglied Marco Schmitt dazu gegenüber ORF.at, der Symbolgehalt sei aber immens. Es wäre der erste Dominostein, und wenn dieser fällt, sei Schmitt zufolge das ganze Viertel in Gefahr.
Besorgte Blicke zum Leopold-Park
Am Beispiel des erst im Sommer des Vorjahres im Leopold-Park eröffneten Hauses der europäischen Geschichte warnte Schmitt zudem vor einer Rückkehr des „Fassadismus“. So wie beim ehemaligen Gebäude des Eastman-Instituts könnte - so die Befürchtung - auch vom denkmalgeschützten Wiertz-Wohnhaus nur die Fassade übrig bleiben. Abseits davon tragen schließlich auch Spekulationen, wonach das EU-Parlament nach dem Eastman-Institut nun auch nach der ebenfalls im Leopold-Park gelegenen Solvay-Bibliothek greift, wohl kaum zur Anrainerberuhigung bei.

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Der Leopold-Park mit der Solvay-Bibliothek: In Sichtweite des EU-Parlaments gelegener Ruhepol
Ob es zu der kolportierten Verlagerung der Bibliothek des Europaparlamentes kommt, ist derzeit allerdings noch genau so offen wie das Schicksal des zum EU-Parlamentskomplex zählenden Paul-Henri-Spaak-Gebäudes. Doch allein die immer wieder laut werdenden Spekulationen über einen umfassenden Um- bzw. sogar Neubau verheißen AQL zufolge wenig Gutes.
Trotz Kritik „überzeugte Europäer“
„Es fühlt sich an, als ob ich seit 50 Jahren auf einer Baustelle wohne“, sagte dazu AQL-Gründungsmitglied Paul Jaumoulle Anfang des Jahres bei einer Pressekonferenz. Bei dieser Gelegenheit wurde von AQL auch daran erinnert, dass bereits seit 2004 an sich auch eine Einbeziehung der Nachbarschaft in die Gebäudeplanungen der EU vorgesehen sei. In der Praxis gebe es „bisher jedoch bestenfalls vereinzelte Informationsveranstaltungen“, bemängelt AQL nach Angaben des Nachrichtenportals Belgieninfo.

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Trotz Unmut über die Umsetzung: AQL betrachtet die Verankerung der EU in Brüssel grundsätzlich positiv
Gefordert wird somit nicht nur eine verstärkte Rücksichtnahme auf die örtliche Bevölkerung, sondern auch eine wirkliche Beteiligung an den Planungen. Wert legt man bei AQL schließlich aber auf die Feststellung, dass man als überzeugte Europäer die Verankerung in Brüssel grundsätzlich begrüße - der Widerstand richte sich gegen die Schattenseiten einer damit einhergehenden städtebaulichen Veränderung.
Links:
Peter Prantner, ORF.at, aus Brüssel