Ein Hauch von Wien in Berlin
Angela Merkel hat es also wieder einmal geschafft. Oder, um es in den Worten eines ihrer Parteikollegen zu formulieren: „Immerhin haben wir das Kanzleramt behalten.“ Drei von vier Kabinetten von Merkel sind das, was man in Deutschland immer noch mit dem Attribut Große Koalition versieht.
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Dass die Große Koalition so groß nicht mehr ist, hindert die Medienöffentlichkeit nicht daran, den eingefahrenen Begriff weiter zu verwenden für die Koalition aus Union und SPD. Die Art, wie sich Deutschland gerade scheinbar alternativlos über die Ziellinie der Regierungsbildung schleppt, erinnert an Österreich - versetzt vielleicht um eine Legislaturperiode nach hinten.
Kommt die Veränderung?
Und was nach der Ära Merkel IV auf Deutschland zukommt, steht wahrlich in den Sternen. Die Ränder könnten weiter gestärkt werden - wenn diese Große Koalition so weitermacht wie bisher. Und nicht vieles deutet auf Veränderungen hin, etwa wenn CSU-Chef Horst Seehofer am Tag der Vertragseinigung ankündigt, die Hintergründe des Koalitionsvertrages am „politischen Aschermittwoch“ auszuleuchten.
Und wie in Österreich wird die Medienöffentlichkeit helfen, die Stimmung gegenüber der Großen Koalition nicht gerade zu verbessern. Im Gegenteil. In den Diskurs- und Nörgelbuden der TV-Sender wird man ab Mittwochabend das „Es wird nix werden, aber was hätte man sonst machen sollen“ als demokratiepolitisches Hochamt zelebrieren.
Die heimlichen Großkoalitionäre
Vielleicht bekommen ja Länder nicht die Koalitionen, die sie verdienen, wohl aber die, nach denen sie sich sehnen. Und allen eingeschworenen Beteuerungen zum Trotz, etwa über die klassische Nähe zwischen Union und FDP, sind gar nicht so wenige Großkoalitionäre auf der bundespolitischen Bühne unterwegs.
„Spiegel“-Journalist Feldenkirchen über die ungeliebte „GroKo“
„Spiegel“-Journalist Markus Feldenkirchen erläuterte in der ZIB2, wie glaubwürdig und wie stabil diese Koalition sein kann. Gute Laune beim Start der „GroKo III“ unter Merkel kann er nicht erkennen.
Allen voran Merkel: Sie konnte mit den Großkoalitionären aus SPD, einem Peer Steinbrück oder Peter Struck, mitunter deutlich leichter als mit so manchem Freidemokraten, allen voran deren neuem jungen Chef Christian Lindner, dem sie einst schon einmal zugeraunt haben soll, sich von Männern wie ihm nicht die Bude in Brand stecken lassen zu wollen.
Merkel weiter konkurrenzlos
Merkel hat die Öffnung ihrer Partei geschickt in den Koalitionszeiten mit den Sozialdemokraten betrieben. Und ihr könnte es diesmal auch am leichtesten gefallen sein, bei Ämtern nachzugeben. Nach wie vor ist sie in der Union alternativlos. Zu sehr hat sie auch über die Jahre alle innerparteilichen Rivalen kaltgestellt.
Koalitionspakt in Deutschland steht
In Deutschland haben sich Union und SPD am späten Mittwochvormittag auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Im Gespräch mit Roland Adrowitzer erläutert der Politologe Herfried Münkler die Ausgangslage für die neue Koalition.
Merkel wird jedenfalls wieder Großkoalitionäre im Lager der SPD als ihr Gegenüber finden. Martin Schulz ist einer. Und der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz als neuer Finanzminister ohnedies. „Wollen wir mit unseren leuchtenden Pamphleten brillieren oder die Lage der Menschen verbessern“, hat Schulz seinen Juso-Genossen zugerufen.
Schulz, der Europapolitiker, steht im Lager der Pragmatiker. Und auch wenn in deutschen Medien nun das Wort von der „Erpressung“ durch die SPD die Runde macht - wirklich viele Alternativen hatten die Sozialdemokraten, gerade ob ihrer personellen Aufstellung, nicht gerade. Und in Neuwahlen wäre die SPD wohl am ehesten unter die Räder gekommen.
Eine letzte Chance
Union und SPD haben als Koalitionspartner die Chance auf eine Lehre aus der jüngsten Vergangenheit. Auf die nach Präsenz im Land. Wer Deutschland wie die Kanzlerin erklärt mit „Wir schaffen das!“, muss es den Menschen immer wieder sagen. Für die Rettung Europas ist im Alltag zwischen Usedom und Lindau kein Dank zu erwarten. Und auch nach tragischen Ereignissen wird Merkel an Ort und Stelle erscheinen müssen anstatt Regierungssprecher in die Bundespressekonferenz zu schicken.
Schulz wiederum wird als Politiker in Deutschland ankommen müssen, wenn er die soziale Frage zur kardinalen Frage der kommenden Regierung erklärt - und der SPD das politische Überleben halbwegs erleichtern will.
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