Leitstern des Wiener Fin de Siecle
Am 6. Februar 1918 ist Gustav Klimt im Alter von 56 Jahren verstorben. Eine neue Biografie widerspricht seinem Ruf als Casanova und sieht in dem Maler einen Befreier weiblicher Lust. Andere Debatten gelten der Frage, wie fortschrittlich Klimt vor dem Hintergrund der modernen Abstraktion wirklich war. Die Ausstellungsgeschichte zeigt: Jede Epoche hatte ihren eigenen Klimt.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Ein einfaches Gartenhaus, darin moderne Möbel in Schwarz, asiatische Kunst an der Wand und afrikanische Skulpturen im Regal. Das letzte Atelier von Klimt war schön, aber kaum repräsentativ. Trotz seiner illustren Klientel empfing der Maler ungern Besucher; er wollte an seiner Staffelei in Ruhe gelassen werden. Anstatt Gästen seine Bilder zu erklären, spazierte der oft als „wortkarg“ beschriebene Maler lieber im langen Kittel im Freien herum und betrachtete die Blumen.
Der Krieg war kein Thema
Bereits 2012 fanden anlässlich von Klimts 150. Geburtstag etliche Ausstellungen statt. Heuer wird des 100. Todestags des Malers gedacht, der im selben Jahr wie seine Freunde Kolo Moser und Egon Schiele nach einem Schlaganfall starb. Klimt hat bis zuletzt gemalt: Bei dem unvollendeten Tableau „Die Braut“, das ab Juni in der Klimt-Schau des Leopold Museums zu sehen sein wird, nahm ihm der Tod den Pinsel aus der Hand.
ÖNB/Wien
Klimt im Jahr 1908
Der Erste Weltkrieg hatte auf das Werk des Jugendstilkünstlers wenig Einfluss. Während die Frontberichte von Tausenden toten Soldaten kündeten, widmete er sich in der Zurückgezogenheit seines Hietzinger Hortus conclusus sinnlichen Bildern wie „Frau mit Fächer“, „Adam und Eva“ und „Baby“, für die er mehr bunte Ölfarbe denn je auf seine Palette drückte. Auch ökonomisch ging es ihm gut: Wie die neue Biografie von Mona Horncastle und Alfred Weidinger anhand einer Notizbuchrechnung zeigt, wurden selbst im Krieg beste Preise für einen echten Klimt bezahlt.
„Das Weib ist mein Hauptwerk“
Bekannterweise malte Klimt nichts lieber als Frauen. „Das Weib ist mein Hauptwerk“, verkündete der notorische Junggeselle, der zeitlebens bei seiner Mutter lebte. Im Belvedere wird im März das Theaterstück „Emilie Flöge. Geliebte Muse“ aufgeführt, das Klimts Langzeitfreundin ins Zentrum stellt. Der Kurator Tobias Natter hat im Belvedere und in der New Yorker Neuen Galerie Ausstellungen zu „Klimt & die Frauen“ gestaltet. Während die neue Klimt-Biografie den „Weiberhelden“ zum Klischee und die Forschung für erschöpft erklärt, kann Natter dem nicht zustimmen.
Leopold Museum, Wien; Belvedere, Wien
„Sitzendes junges Mädchen“, um 1894 (l.) und „Johanna Staude“ (1918, unvollendet)
„Über Klimts Modelle ist immer noch viel zu wenig bekannt“, betonte der Kunsthistoriker und nannte Consuela Huber als Beispiel, die Klimt 1912 14-jährig traf und im Jahr darauf ihren ersten „Gustav“ gebar. 1899 waren bereits zwei ledige, auf den Namen Gustav getaufte Söhne auf die Welt gekommen - von seiner Haushälterin Maria Ucicka und dem Modell Mizzi Zimmermann. Anhand seiner Forschungen konnte Natter Klimts Modell Consuela in einer der beiden Frauenfiguren des verschollenen Gemäldes „Die Freundinnen“ identifizieren.
Klimts „Emanzipationsleistung“
In Zeiten der Genderdebatten stellen Klimts Zeichnungen masturbierender Frauen ein heißes Eisen dar. „Wenn ihm eine junge Frau gefällt, so betrachtet er sie intensiv und hält die Momente der Selbstbefriedigung bis hin zur Ermattung in bis zu 15 Zeichnungen fest“, beschreibt die neue Biografie jene Serien, die Klimt nie öffentlich ausstellte. Schließlich wurden schon seine vergleichsweise harmlosen Akte auf dem Beethovenfries als „obszön“ diffamiert.
Leopold Museum, Wien
„Sitzender weiblicher Halbakt“ (1904)
Die Akte mit den Händen zwischen den Beinen, die von den expliziten japanischen Shunga-Drucken beeinflusst waren, deuten die Biografen Horncastle/Weidinger gar als „Emanzipationsleistung“. Klimt setze „der weiblichen Lust ein Denkmal“ - seine Akte seien eine revolutionäre Leistung angesichts der patriarchalischen Sexualmoral um 1900. Dem widerspricht freilich, dass solche Bilder seit jeher Teil der Pornografie waren. Als von Natur aus wollüstig und niedrig beschrieb der misogyne Autor Otto Weininger in seinem Buch „Geschlecht und Charakter“ 1903 das „Weib“.
Brandstätter Verlag
Buchhinweis
Mona Horncastle, Alfred Weidinger: Gustav Klimt. Die Biografie. Brandstätter, 325 Seiten, 29,90 Euro.
Wiener Moderne und Avantgarde
Nicht nur in gesellschaftlicher Hinsicht stellt sich die Frage, wie modern Klimt und Co. wirklich waren. Seine eigene Entwicklung vom historistischen Dekorationsmaler und Porträtisten zum Schöpfer flächiger Landschaftsbilder ist enorm. Im Vergleich zu den Avantgarden der Abstraktion in Paris, Berlin und Moskau wirkt Klimt aber schnell alt. Er schlug den Weg in Richtung nicht gegenständlicher Kunst über das Ornament ein - was kunsthistorisch mittlerweile als Alternative zur „reinen“ Abstraktion anerkannt ist.
„Im Belvedere haben wir immer gestritten, ob Klimt in die Abteilung 19. Jahrhundert oder 20. Jahrhundert gehört“, sagte Natter, der in Klimt einen wichtigen Erneuerer sieht und gerade im Fine Arts Museum San Francisco die Schau „Klimt & Rodin“ kuratiert hat. Mit seinen Fakultätsbildern, die von der Universität Wien abgelehnt wurden und einen Skandal auslösten, war er ebenso fortschrittlich wie mit seiner Betonung des Gesamtkunstwerks und der internationalen Ausrichtung, die die Secession unter seiner Leitung vorantrieb.
Ausstellungshinweise
- „Klimt ist nicht das Ende“, Belvedere, ab 23. März.
- „Gustav Klimt“, Leopold Museum, ab 22. Juni.
Liebkind des Gauleiters
Jede Ära hatte ihren eigenen Klimt. So konnte etwa die hervorragende Schau „Körper, Psyche und Tabu“ im mumok 2016 zeigen, wie viel sich die Wiener Aktionisten in den 1960er Jahren von den Fin-de-Siecle-Künstlern abgeschaut haben. Übrigens benutzte der konservative Ständestaat Klimt ebenso als Aushängeschild wie die Nationalsozialisten. „So eine schöne Ausstellung wie unter Gauleiter Baldur von Schirach 1943 wird es nie wieder geben“, sagte Klimt-Spezialist Natter; schon allein deshalb, weil danach wichtige Bilder zerstört worden sind.
Leopold Museum, Wien; Belvedere, Wien
Landschaftsbild „Am Attersee“ (1900) und das 1909 vollendete „Der Kuss“, eines der bekanntesten Werke Klimts
Die Wiener hätten im Februar 1943 in Berlin ein zusätzliches Papierkontingent für ihre Klimt-Schau angefordert, erzählte Natter. In Berlin hatte das Verstimmung ausgelöst; schließlich hatte Propagandaminister Joseph Goebbels kurz zuvor in seiner Sportpalastrede zum „totalen Krieg“ aufgerufen. In der „Ostmark“ war man unterdessen damit beschäftigt, geraubte Gemälde jüdischer Provenienz wie „Adele Bloch-Bauer“ in Titel wie „Dame in Gold“ umzutaufen.
Links
Nicole Scheyerer, für ORF.at