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Jubiläen im Untergrund

Im Wiener Gemeinderat ist im Jänner 1968 der Bau der U-Bahn beschlossen worden. Fast genau zehn Jahre später, am 25. Februar 1978, ging sie mit einem Teilabschnitt der U1 offiziell in Betrieb. Seitdem hat sie die Entwicklung der Stadt und den städtischen Alltag beeinflusst wie kein anderes öffentliches Verkehrsmittel zuvor.

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Eine „Tunnelbahn“ für Wien stand erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts zur Debatte, als im Vorfeld der Demolierung der Wiener Stadtbefestigung über viele Varianten der Nutzung der frei werdenden Flächen laut nachgedacht wurde. Eine Idee war, den Stadtgraben nicht zuzuschütten, sondern den Platz für eine von Pferden gezogene Untergrundbahn zu nutzen.

Die Bahntrasse hätte rund um die heutige Wiener Innenstadt führen sollen, um auch eine Verbindung zu einem neuen Zentralbahnhof im heutigen Bereich von Wien Mitte zu schaffen. Daraus wurde ebenso wenig wie aus Otto Wagners Plänen aus den 1870er Jahren, den Verlauf des Wienflusses zu verlegen, um in dessen frei gewordenem Bett eine überwölbte Bahn zu errichten.

Kaiser Franz Josef besucht 1896 die Bauarbeiten am Wienfluss

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Kaiser Franz Josef besucht 1896 die Bauarbeiten am Wienfluss, dessen Regulierung den Weg für die Stadtbahn freimachte

Oberster Stadtplaner als U-Bahn-Gegner

Pläne hinsichtlich einer U-Bahn für Wien wurden über die Jahrzehnte in regelmäßigen Abständen gewälzt und wieder verworfen, wobei sich mit den Auswirkungen des Ersten Weltkriegs und dem in Trümmern liegenden Wien nach dem Zweiten Weltkrieg eine U-Bahn vorerst erübrigt hatte.

Bis in die 1960er Jahre hielt sich die Sympathie für eine moderne unterirdische Schnellverbindung in Politik wie in Fachkreisen in Grenzen. Architekturikone Roland Rainer, der in den frühen 1960er Jahren oberster Wiener Stadtplaner war, hat sich in dieser Funktion vehement gegen eine U-Bahn für Wien ausgesprochen.

Westautobahn bis zum Karlsplatz

Stattdessen wurden Unterpflaster-Straßenbahnen errichtet, wie am Margaretengürtel und entlang der Zweierlinie, und auf die Verdichtung des Autobusnetzes gesetzt. Wobei die Verkehrspolitik der Nachkriegsjahre davon geprägt war, dem Individualverkehr alles andere strikt unterzuordnen. Fußgänger wurden in dunkle Unterführungen verbannt. Stadtplaner Rainer wollte die Westautobahn bis zum Karlsplatz verlängern.

Bau der Unterpflaster-Straßenbahn (USTRAB) auf der Zweierlinie im Jahr 1963

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Bau der Unterpflaster-Straßenbahn (USTRAB) auf der Zweierlinie im Jahr 1963

Die Zeit der Großprojekte

Angesichts des rasant zunehmenden Individualverkehrs der 1960er Jahre wurde jedoch sichtbar, dass es großer Maßnahmen bedarf, um der wachsenden Verkehrsströme längerfristig Herr zu werden. Die Wiener Stadtregierung, der eine U-Bahn immer zu teuer gewesen war, vollzog einen Schwenk, was nicht zuletzt einer steigenden Akzeptanz der Bevölkerung hinsichtlich eines solchen Großprojekts geschuldet war. Nach den mageren Nachkriegsjahren fehlte es nun nicht mehr am Nötigsten. Es herrschte Aufbruchsstimmung, die sich etwa auch in Form der Donauinsel zeigte, über deren Bau zu jener Zeit ebenso heftig debattiert wurde.

Ein Grundnetz mit drei Linien

Letztlich wurde die Errichtung der Wiener U-Bahn im Jänner vor 50 Jahren im Gemeinderat beschlossen. Zunächst einigte man sich auf ein Grundnetz mit den Linien U1, U2 und U4. Lediglich die U1 stellte einen gänzlichen Neubau dar, mit dem bereits anno 1969 begonnen wurde. Für die U2 wurde die Unterpflaster-Straßenbahn entlang der Zweierlinie zur U-Bahn ausgebaut. Die Errichtung der U4 erfolgte auf einer Trasse von Otto Wagners Stadtbahn, die zur Jahrhundertwende die Mobilität in Wien revolutioniert hatte und damit weite Teile des Verlaufs der späteren Wiener U-Bahn definierte.

Alte rote Stadtbahnzüge auf der Baustelle der künftigen U4-Station Karlsplatz im Jahr 1972

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Die Stadtbahn am Karlsplatz während der Bauarbeiten für die künftige U4 im Jahr 1972

Erste Züge vor 40 Jahren

Die ersten mit Passagieren besetzten Garnituren rollten Ende Februar 1978 durch die Stollen der neuen U1, die damals in Form von fünf Stationen vom Reumannplatz in Favoriten bis zum Karlsplatz im Zentrum führte. Dieser erste unterirdisch gegrabene U-Bahn-Abschnitt verdeutlichte bereits eindrücklich, welche tiefgreifenden Veränderungen die neue Infrastruktur auch an der Oberfläche mit sich zieht: Der Umbau der Kärntner Straße zur Fußgängerzone im Jahr 1974 steht im direkten Zusammenhang mit dem U-Bahn-Bau. Auch die Favoritenstraße wurde damals zur Fußgängerzone.

U1-Eröffnung von Reumannplatz bis Karlsplatz am 25.Febraur 1978 am Karlsplatz

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Eröffnung der U1 von Reumannplatz bis Karlsplatz am 25. Februar 1978

Neue Form der Orientierung

Das über die Jahrzehnte immer engmaschiger gewordene U-Bahn-Netz hat nicht nur die Gestaltung und Widmung des urbanen Raums mitunter radikal verwandelt. Die U-Bahn hat Wien eine neue Struktur verliehen, an die auch die Wahrnehmung der Stadt in den Köpfen der Menschen eng geknüpft ist: die Haltestellen der Bahn als die maßgeblichsten Orientierungspunkte im städtischen Raum.

Und galt es in den ersten Ausbaustufen, die inneren Bezirke zu erschließen, so wurde die U-Bahn im Lauf der Jahrzehnte zusehends zum Instrument der Stadtentwicklung, dessen deutlichstes Beispiel die Verlängerung der U2 über die Donau bis raus in die Seestadt Aspern ist, die ohne U-Bahn-Anbindung in dieser Form nicht denkbar wäre. Und nicht zuletzt diktiert der Verlauf der U-Bahn auch die Immobilienpreise.

Entlastung dank Linienkreuz

Nach 40 Jahren U-Bahn zeigt sich aber auch, dass die Kapazitäten nach oben hin nicht unbeschränkt sind. Das anhaltende Wachstum Wiens ist seit einigen Jahren nirgendwo so deutlich ablesbar wie im Netz der Wiener Linien, worauf mit dem heuer beginnenden Bau des Linienkreuzes U2/U5 reagiert wird, dessen Fertigstellung Ende 2023 erfolgt und tiefgreifende Veränderungen in vielen Bereichen des U-Bahn-Netzes mit sich zieht.

Visualisierung des künftigen U2/U5-Linienkreuzes Station Rathaus

Wiener Linien/Arch Mossburger; Datenquelle: Stadt Wien (data.wien.gv.at)

Visualisierung des künftigen U2/U5-Linienkreuzes in der Station Rathaus

Die U2 wird dann ab der Station Rathaus in Richtung Süden auf einer neuen Trasse über die Neubaugasse und Pilgramgasse, wo neue U-Bahn-Knoten entstehen, zum Matzleinsdorfer Platz geführt, wo sie auf die Schnellbahn trifft und somit insbesondere die U6, aber auch in der Folge die U3 und etwa die Buslinie 13A entlastet. Aus dem frei gewordenen U2-Ast zum Karlsplatz wird die Linie U5, die bis Mitte der 2020er bis Hernals fahren wird und in Hinsicht des Fahrpersonals große Neuerungen bringen wird. Die U5 wird Wiens erste fahrerlose U-Bahn sein – für die Sicherheit sorgen an der Bahnsteigkante verbaute Schiebetüren.

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