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Gesamte Generation in Gefahr?

In der Europäischen Union geht die Einkommensschere zwischen Jung und Alt nach einer Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) immer weiter auf. „Besonders junge Menschen im Arbeitsalter geraten in Rückstand“, warnte die IWF-Chefin, Christine Lagarde, am Mittwoch anlässlich der Veröffentlichung der Studie. Es bestehe die Gefahr, dass sich eine gesamte Generation niemals erholen werde.

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Die EU habe, so das Fazit der neun beteiligten IWF-Forscher, ein schwerwiegendes Gerechtigkeitsproblem. Denn jene Sparmaßnahmen, die infolge der Finanzkrise in Europa eingeführt wurden, hätten ein enormes Auseinanderklaffen des Wohlstands zwischen Jung und Alt zur Folge gehabt.

IWF-Chefin Christine Lagarde

APA/AP/Markus Schreiber

Lagarde äußerte sich am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos zur Einkommensungleichheit zwischen Jung und Alt

„Während die globale Ungleichheit in den vergangenen drei Jahrzehnten deutlich zurückgegangen ist, ist die Entwicklung der Ungleichheit innerhalb von Ländern gemischt“, schreiben die IWF-Forscher in ihrem 51 Seiten langen Papier mit dem Titel „Inequality and Poverty across Generations in the European Union“ (Ungleichheit und Armut zwischen Generationen in der Europäischen Union). In Europa sei „die Einkommensungleichheit in der zurückliegenden Dekade stabil geblieben“, heißt es weiter.

„Jeder Fünfte auf Arbeitssuche“

Der Studie zufolge stagnieren die Einkommen der 18- bis 24-Jährigen, nachdem die Arbeitslosigkeit in der Altersgruppe infolge der Weltwirtschaftskrise 2007 stark angestiegen sei. Noch immer sei jeder Fünfte auf Arbeitssuche, schrieb Lagarde in einem Blogbeitrag des IWF. EU-Bürger und -Bürgerinnen ab 65 Jahren hätten dagegen einen Einkommensanstieg von zehn Prozent verzeichnen können, da die Pensionen erhalten worden seien.

Grafik zur Armutsgefährdung in der EU

Grafik: ORF.at; Quelle: Eurostat

Eine solche Einkommensschere könne zu langfristigen Verlusten oder „Narbenbildung“ führen, warnte Lagarde, die von 2007 bis 2011 auch französische Wirtschafts- und Finanzministerin im Kabinett Francois Fillons war. Denn jemand mit weniger Erfahrung auf dem Arbeitsmarkt habe weniger Chancen, einen Job zu finden. Es könne „extrem schwierig, wenn nicht unmöglich sein, sich davon später in der Karriere zu erholen“.

Lagarde: Arbeitsplätze und Anreize schaffen

Als Lösungsvorschläge fasste Lagarde in ihrem Blogeintrag drei Schritte zusammen, um Armut - insbesondere unter jungen Leuten - vorzubeugen und die Einkommensschere zu schließen. Einerseits müssten mehr Arbeitsplätze und Anreize auf dem Arbeitsmarkt geschaffen werden, so die IWF-Chefin, und Regierungen sollen in Bildung und Ausbildung investieren. So könnten junge Menschen selbst die entstandene Lücke schließen.

Für mögliche Lösungsansätze verwies Lagarde unter anderem auf Deutschland: Durch die Struktur der Berufsausbildungen würden junge Menschen dauerhaft auf dem Arbeitsmarkt gehalten. Zum Zweiten sollen europäische Staaten in Sozialschutzsysteme investieren - etwa in Arbeitslosengeld -, sodass junge Menschen im Falle der Arbeitslosigkeit besser geschützt seien.

Vermögens- und Erbschaftssteuern als Maßnahme

Als dritten Punkt führt Lagarde Steuermaßnahmen an - konkreter: das flächendeckende Besteuern von Vermögen. So könnten Programme für junge Menschen finanziert werden. Aktuell sei die Steuer, inklusive der Erbschaftssteuer, niedriger als im Jahr 1970. Bei einem Gespräch am Rande des Weltwirtschaftsforums sprach Lagarde davon, dass Politiker dazu tendieren würden, älteren Bürgern und Bürgerinnen finanziell eher unter die Arme greifen zu wollen als jüngeren.

Als Grund dafür gab sie an, dass jüngere Menschen nicht als vielversprechende Wählergruppe gesehen werden - sie würden eher dazu neigen, nicht zur Wahl zu gehen. Dennoch zeigte sich die IWF-Chefin bemüht, keine Schuldigen zu suchen: „Hier geht es nicht darum, eine Altersgruppe gegen eine andere aufzuwiegen“, betonte Lagarde. „Der Aufbau einer Wirtschaft, von der junge Menschen profitieren, schafft eine solidere Grundlage für alle.“

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