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Eine „vergessene“ Katastrophe

Es ist eine humanitäre Katastrophe, die sich weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit abspielt. Im Tschadsee-Gebiet schaukeln sich seit Jahren ökologische und politische Krisen gegenseitig auf. Mittlerweile wurden 2,4 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, sieben Millionen sind unterernährt, davon 500.000 Kinder.

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Der See am Südrand der Sahara war noch in den 60er Jahren mit 25.000 Quadratkilometern etwa so groß wie Niederösterreich und Burgenland zusammen. Zwar schrumpfte der Tschadsee im Laufe der Jahrhunderte immer wieder und wuchs wieder - anhaltende Dürreperioden hatten zur Folge, dass er Ende der 80er Jahre auf 300 Quadratkilometer - nicht einmal die Größe Wiens - austrocknete.

See bietet keine Lebensgrundlage mehr

Hatten früher noch vier Länder - Nigeria, Niger, Kamerun und Tschad - Zugang zum See, so sind es jetzt nur noch der Tschad und Kamerun. Zwar hat sich der Wasserstand seit 2000 wieder verbessert und in den vergangenen Jahren einigermaßen stabilisiert - doch der See kann nicht mehr die Lebensgrundlage für Millionen Menschen liefern. Die Fischerei ernährt zu wenige, auch die Bewässerung von Agrarflächen ist nur noch eingeschränkt möglich.

Tschadsee

Reuters/Emmanuel Braun

Der See als Lebensgrundlage für die Anrainer

Pläne für die Rettung des Sees gibt es: So könnte aus dem Kongo und seinen Nebenflüssen Wasser in den Tschadsee geleitet werden, doch es ist unklar, wer das Projekt finanzieren soll. Im Februar wollen die Anrainerstaaten bei einer Konferenz darüber beraten.

Kriegswirren durch Boko Haram

Zu ökologischen Krisen kam vor einigen Jahren eine politische: Die dschihadistische Terrorgruppe Boko Haram wütet seit 2009 in der Region - und die Folgen sind verheerend. Die Zahl der Vertriebenen und Geflüchteten in der Region verdreifachte sich binnen zwei Jahren auf 2,4 Millionen, nach UNO-Schätzungen brauchen rund 10,7 Millionen Menschen dringend Hilfe.

Tschadsee

Reuters/TPX IMAGES

Eine von Boko Haram zerstörte Siedlung

Durch den gewaltsamen Konflikt sind in den Staaten vielerorts die Bildungs- und Gesundheitssysteme zusammengebrochen. Außerdem funktioniert die Landwirtschaft nicht mehr, weshalb es schwere Lebensmittelengpässe gibt. Aufgrund der Gefechte waren Teile der Region immer wieder von der Außenwelt abgeschnitten, Warenlieferungen in die Gegend waren zu gefährlich.

Frauen und Kinder der Gewalt ausgeliefert

Die Hilfsorganisation CARE zählt das Gebiet um den Tschadsee zu den von der Öffentlichkeit vergessenen Krisenregionen der Welt. Die ohnehin bestehenden Probleme wie Armut, rasantes Bevölkerungswachstum, wirtschaftliche Instabilität und vollkommen fehlende soziale Infrastruktur hätten sich mehr und mehr verstärkt, beklagt die NGO. Besonders Frauen und Kinder seien ungeschützt Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgeliefert - mit Entführungen würden sie zudem zum Spielball im dem Konflikt. Junge Burschen wiederum würden gegen ihren Willen als Kämpfer rekrutiert.

Soldat am Tschadsee

Reuters/Emmanuel Braun

Schwer bewaffnet gegen Dschihadisten - hier ein Soldat aus dem Tschad

Die internationale Weltgemeinschaft sammelte auf einer Geberkonferenz im Februar 2017 in Oslo zwar Hilfszusagen von 630 Millionen Euro - doch das war viel weniger als gebraucht. Eigentlich war das Ziel, bei der Konferenz 1,4 Milliarden Euro an Hilfsgeldern zu sammeln. Das Gebiet zählt zu den Schwerpunktregionen, die vom österreichischen Auslandskatastrophenfonds unterstützt werden.

Zehn vergessene Krisenregionen

CARE präsentierte am Montag den Bericht „Suffering in Silence“, in dem jene zehn humanitären Krisen aufgelistet sind, die es im vergangenen Jahr kaum in die internationalen Schlagzeilen geschafft haben - gleich sieben davon sind in Afrika. Neben dem Tschadsee-Gebiet sind das Eritrea, Burundi, der Sudan, die Demokratische Republik Kongo, Mali und die Zentralafrikanische Republik.

Am wenigsten wurde laut CARE allerdings über die Hungersnot in Nordkorea berichtet. Ebenfalls in der Liste befindet sich Vietnam, wo der Taifun „Doksuri“ im September verheerende Schäden anrichtete. Auf Platz zehn landete Peru, wo Überschwemmungen als Folge des Wetterphänomens „El Nino“ Hunderttausende obdachlos machten.

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