Gegner orten Diskriminierung
Der Plan der Regierung, die Familienbeihilfe an den Lebenshaltungskosten im Aufenthaltsland der Kinder auszurichten, schlägt in Brüssel hohe Wellen. Ausgerechnet eine EU-Parlamentarierin aus den Reihen der Europäischen Volkspartei (EVP), also der Parteifamilie von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), brachte eine Anfrage zur Rechtsmäßigkeit bei der EU-Kommission ein. Doch sie ist nicht die einzige EVP-Widerständlerin.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Neben der Initiatorin, der slowenischen Europaabgeordneten Romana Tomc, die den Vorschlag „inakzeptabel“ nannte, spricht der kroatische EVP-Parlamentarier Ivica Tolic im ORF-Interview von drohender Benachteiligung durch Österreich. Die Pläne seien „diskriminierend gegenüber kroatischen Staatsbürgern, die in Österreich leben und arbeiten“.
„Bürger erster und Bürger zweiter Klasse“
Es gehe um Menschen, die Teil der österreichischen Gesellschaft seien und Beiträge in österreichische Versorgungs- und Sozialfonds einzahlten, so Tolic. „Deshalb ist so eine Diskriminierung nicht nötig.“ Das Ergebnis seien „Bürger erster und Bürger zweiter Klasse“, das gehöre nicht zu europäischen Werten.

ORF
Der kroatische EU-Abgeordnete Tolic stellt sich gegen die Pläne seiner Parteifreunde aus Österreich
„Populistischer Vorstoß“
Die Initiatorin Tomc erklärte, dass dieser „populistische Vorstoß“ kein geeigneter Weg sei, um Sozialtourismus zu bekämpfen. Jeder trage gleichermaßen zum österreichischen Sozialsystem bei, einschließlich der in Österreich beschäftigten Slowenen. „Warum also nicht auch gleich behandelt werden, wenn es um die Leistungen geht?“
Von der Kürzung wären nach Tomcs Angaben 10.600 Kinder in Slowenien betroffen. Die Bundesregierung geht insgesamt von 132.000 Kindern - vor allem in Ungarn, der Slowakei, Polen, Rumänien und Slowenien - aus. Auch der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, Othmar Karas, hält es für möglich, dass die geplanten Maßnahmen rechtswidrig sind.
Gegenwind aus mehreren Fraktionen
Insgesamt stellen sich Vertreter aus fünf Fraktionen gegen die Pläne: Die am Freitag eingebrachte Anfrage wurde von EU-Abgeordneten aus neun Ländern unterzeichnet. Neben den Widerständlern aus der EVP reicht das Spektrum von den Grünen über die Sozialdemokraten und die Liberalen (ALDE) bis zur Fraktion Europäische Konservative und Reformer (ECR). Unterstützung für die Anfrage kommt von EU-Mandataren aus Rumänien, Ungarn, der Slowakei, Polen, Tschechien, Deutschland und Belgien.
Auch die österreichischen EU-Abgeordneten Angelika Mlinar (NEOS/Liberale) und Monika Vana (Grüne) unterstützten den Vorstoß. „Kurz hat für sein Vorhaben jetzt nicht einmal Rückhalt in der eigenen Parteienfamilie. Mit seinem Vorgehen beweist er, dass die ÖVP ihre europafreundliche Linie längst verlassen hat“, erklärte Vana. Mlinar meinte, der Vorgang zeige die „Bestürzung über die eingeschlagene Richtung und das prinzipielle Problem auch unter Parteifreunden“.
„Thema der Gerechtigkeit“
Doch es gibt auch Rückhalt für Österreichs Pläne aus der EVP: Der deutsche Parlamentarier Sven Schulze hält den Vorstoß Österreichs im Interview mit dem ORF für gut, der Zusatzaufwand für Kinder in Europa sei unterschiedlich. Es handle sich um ein „Thema der Gerechtigkeit“, so Schulze. Das Argument, dass es damit Kinder zweiter Klasse gäbe, lässt er nicht gelten: Ungerecht sei vielmehr, wenn eine Familie im Vergleich zu einer anderen in Rumänien mehr bekomme, weil der Vater etwa in Wien arbeitet.
Anpassung für Vilimsky „rechtskonform“
Auch der Delegationsleiter der FPÖ im Europäischen Parlament, Harald Vilimsky, sprach in einer Aussendung von „nicht berechtigter Kritik“. „Meines Erachtens ist dieses Vorhaben in jedweder Hinsicht rechtskonform“, meint Vilimsky, der unter anderem auf den Berichtigung- oder Korrekturkoeffizienten verweist.
Dieser regelt die Gehälter und Zulagen von Beamten der Kommission im EU-Ausland und passt diese an das jeweilige Preisniveau in den EU-Mitgliedsstaaten an. „Wenn die EU selbst mit ihren Beamten so verfährt, dann kann man der österreichischen Regierung keinerlei Diskriminierung vorwerfen“, betonte der FPÖ-Generalsekretär. Für Vilimsky geht es „um Fairness gegenüber österreichischen Familien“, man dürfe diese nicht benachteiligen.
EuGH-Präsident verweist auf gleiche Rechte
Europarechtlich dürfte das Vorhaben der Regierung aber schwierig zu argumentieren sein. Wie der Präsident des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Koen Lenaerts, in der „Wiener Zeitung“ betont, gelte der Gleichheitsgrundsatz für Arbeitnehmer aus anderen EU-Ländern uneingeschränkt.
Konkret verweist er auf eine Rechtsauslegung des EuGH aus dem Jahr 1986, wonach sich das Sozialversicherungssystem eines Staats nicht durch den Umstand bereichern darf, dass die Kinder des Arbeitnehmers in einem anderen Mitgliedsstaat mit niedrigeren Kosten leben. Ausjudiziert wurde damals die Causa eines Italieners, der in Frankreich arbeitete, dessen Familie aber im Heimatstaat lebte, wo sowohl Lebenshaltungskosten als auch Familienhilfe niedriger waren.
Die Richter stellten damals klar, dass dieser Mann nicht weniger Familiengeld bekommen darf. Denn sonst hätte er zusätzlich zur Trennung von der Familie auch noch einen finanziellen Verlust erlitten. Daher habe nach Entscheidung der Richter die Leistung nicht nach dem Aufenthaltsort der Kinder berechnet werden dürfen.
Links:
sime, ORF.at, aus Brüssel