EU-Rechtsexperte sieht Vor- und Nachteile
Die Umsetzung so mancher EU-Richtlinie ist in Österreich in der Vergangenheit mit Ärger und Kopfschütteln quittiert worden. Jetzt sagt die Regierung der Übererfüllung von EU-Richtlinien den Kampf an. Dabei ist Kritik an Brüssel, die in Österreich oft mitschwingt, nicht angebracht: Schließlich ist die Art und Weise der Umsetzung stets Sache der EU-Staaten selbst.
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Beispiele, die das belegen, gibt es zur Genüge, darunter ein sehr anschauliches und lange sehr emotional diskutiertes: Dabei geht es um die vorübergehende Verpflichtung für Gastronomen, bei ihren Speisen 14 verschiedene allergene Zutaten schriftlich auszuweisen. Heftig wurde die Verordnung von Wirten und Vereinen kritisiert. Bürokratische Hürden wurden beklagt. Wieder einmal mache Brüssel mit Vorschriften allen das Leben schwer, so der Tenor.
Nicht der richtige Adressat
Doch spätestens seit vergangenem Sommer musste klar werden, dass die EU-Institutionen nicht die richtigen Adressaten für all den Ärger sein können. Denn Ministerium und Sozialpartner entschärften Österreichs Umsetzung, man verständigte sich auf eine Art „Mischform“ aus mündlicher und schriftlicher Information. Fortan war es nicht mehr nötig, alle Speisekarten mit den Buchstabencodes auszuweisen - die Aushändigung einer Allergikerspeisekarte auf Anfrage reichte.
Österreich stellte damit auf eine Durchführung um, die in anderen Ländern schon seit Inkrafttreten der EU-Verordnung praktiziert wurde. Ohnehin hatte die EU wie bei Verordnungen üblich von vornherein nur einen recht allgemeinen Rahmen mit Spielraum für die Mitgliedsstaaten vorgegeben, wie zum Höhepunkt der Aufregung über das angebliche Diktat aus Brüssel auch die österreichische Vertretung der EU-Kommission betonte.
„Nicht effizient gearbeitet“
„Es ist ein Beispiel, dass bei der Umsetzung bzw. der Durchführung einer EU-Vorgabe nicht sehr effizient und gut gearbeitet wurde“, erklärte EU-Rechtsexperte Walter Obwexer von der Universität Innsbruck im Interview mit ORF.at. Die konkrete Durchführung sei dadurch „sehr exzessiv und umständlich“ geworden, obwohl die Union das gar nicht vorgeschrieben habe, führte Obwexer aus. Doch eine unnötig schwerfällige Umsetzung habe mit Übererfüllung nichts zu tun, so Obwexer.
Mit der Übererfüllung von EU-Vorgaben, auch als „Gold-Plating“ bezeichnet, ist gemeint, dass Österreich höhere Standards als von der EU gefordert umsetzt. Das hat gute Gründe, denn die Kriterien folgen in der Regel diversen Schutzmotiven. Das seien etwa „Umweltschutz, Verbraucherschutz, Berufsschutz oder Gründe, die den Gesetzgeber veranlassen, ein höheres Schutzniveau vorzuschreiben, als die Union es verlangt“, sagte Obwexer. Es handle sich fast ausnahmslos um „wichtige Gründe“.
„Zu Lasten von Unternehmen“
Die ÖVP-FPÖ-Regierung will Vorschriften und Regulierungen jedoch auf EU-Mindeststandards zurückschrauben, die Regierung spricht hier von der „Rücknahme von ‚Gold-Plating‘ zu Lasten von Unternehmen“. Dass dabei unter dem Deckmantel der Beseitigung von „Überregulierung“ der Schutz von Umwelt, Konsumenten und Arbeitnehmern unter die Räder kommen könnte, wies ÖVP-Justizminister Josef Moser zuletzt zurück. Er versicherte, dass vor der Rücknahme einzelner Vorschriften auch auf Sozialstandards geachtet werden soll.
Abschaffung „kann auch von Nachteil sein“
Der Minister versicherte zuletzt, dass vor der Rücknahme einzelner Vorschriften nicht nur die Auswirkungen auf Volkswirtschaft und Beschäftigung geprüft werden sollen, sondern auch auf die Sozialstandards. Welche Interessenvertreter in welchen Bereichen auf EU-Mindeststandards zurückgehen wollen, will Moser aber nicht veröffentlichen - man wolle nicht „Good Cop, Bad Cop spielen“, sagte der Minister.
EU-Rechtsexperte Obwexer hält im Vorfeld der geplanten Maßnahme positive sowie negative Folgen für möglich: Einerseits könne die Abschaffung von „Gold-Plating“ zwar Unternehmen entlasten und den Wirtschaftsstandort stärken. Doch könne es auch „von Nachteil sein“, wenn Standards zu Umweltschutz, Sozialem und Gesundheit „nur mehr auf dem vorgegebenen EU-Mindestschutzniveau eingehalten werden und nicht mehr darüber hinausgegangen wird“, erklärt Obwexer gegenüber ORF.at.
„Ausrede für Lockerung von Vorschriften“
Der ehemalige EU-Kommissar und nunmehrige Präsident des Forum Alpbach, Franz Fischler, erklärte zuletzt gegenüber der „Wiener Zeitung“, dass die Regierung dazu tendiere, „Gold-Plating“ aus Ausrede dafür zu nutzen, Vorschriften zu lockern. Im Blick stünde die Entlastung von Unternehmen, Banken und Versicherungen, wie es heißt. Laut Fischler sei die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, „dass hier die Industriellenvereinigung (IV) Feder geführt hat“.
Doch geht es nach Moser, soll alles ganz schnell gehen: Beschließen will der Justizminister den Rückbau auf EU-Mindestnormen noch heuer. Zuletzt wurden bereits Interessenvertretungen und Ministerien aufgefordert, bis Mai zu melden, wo EU-Vorgaben übererfüllt werden. Obwexer stellte gegenüber ORF.at klar: „Wenn ein Mitgliedsstaat ganz von ‚Gold-Plating‘ absieht, nimmt er sich selbst einen Handlungsspielraum“, EU-Richtlinien würden so „automatisch zu Verordnungen werden“.
Links:
Valentin Simettinger, ORF.at, aus Brüssel