„Life Guidance“ zeigt ein Wien nach der Gleichschaltung: Eine Armee an Leistungsträgern steht dem mit Schlagermusik sedierten Volk gegenüber. Der Film sticht aus der aktuellen Schwemme an dystopischen Science-Fiction-Filmen wohltuend hervor.
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„Life Guidance“ erzählt eine sehr einfache Geschichte, die sich zu einem kleinen Meisterwerk entwickelt - durch die atmosphärische Dichte, die Glanzleistung des hervorragend gecasteten Schauspielteams rund um Fritz Karl, durch die ruhige Bildsprache, den monotonen und treibenden Rhythmus und ein hohes Gespür aller Beteiligten für Timing.
Regie führt die in der Vergangenheit bereits zu Cannes- und Venedig-Ehren gekommene Regisseurin Ruth Mader („Struggle“, „What is Love“), die gemeinsam mit dem Journalisten und Autor Martin Leidenfrost („Die Tote im Fluss“), einem der klügsten Köpfe des Landes mit einem untrüglichen Gespür für gute Geschichten, das Drehbuch geschrieben hat.
Glück als Pflicht
Das Szenario: Es herrscht ein strenges Regime, das von einer „Oberklasse“ an Leistungsträgern gestützt wird. Sie haben die guten Jobs und sehen alle gleich aus: Frauen im Kostümchen, Männer im Anzug und mit gegelten Haaren, Typ: Bankerin und Banker. Es gibt feine Freizeitangebote, die Wohnhäuser sind kleine Villen. Es wird alles getan, damit die Leistungsträger glücklich sind. Und sie müssen auch glücklich sein - verpflichtend, um möglichst gut zu funktionieren.
Alexander (Karl), stets gestriegelt, lebt mit einem Sohn, ebenfalls gestriegelt, und seiner Frau, perfekt durchgestylt, in einer kleinen, eckigen Betonvilla mit viel Glas. In einem Moment der Schwäche lässt er ein paar Tränen auf die Designercouch tröpfeln und hinterfragt den Sinn des ganzen Optimierungszinnobers. Als Sohnemann ihn verpfeift, kommt die Schlechte-Laune-Stasi des Regimes, genannt „Life Guidance“.
„Erhebliche Anpassungsschwierigkeit“
Life Guidance lässt Alexander von einem Gutachter überprüfen. Auf die Frage, wie viel wichtiger ihm Freiheit sei als Transparenz in der Gesellschaft, antwortet er, dass man diese beiden Werte nicht gegeneinander aufwiegen sollte. Im Gutachten steht dann: „Bei Alexander Dworsky liegt eine erhebliche Anpassungsschwierigkeit vor. Ein Weiterleben ist nur mit der Unterstützung von Life Guidance möglich.“ Nun folgt ihm sein Coach, stets grinsend, auf Schritt und Tritt. Doch statt guter Laune stellt sich bei Alexander ein Gefühl der immer drückender werdenden Enge ein.
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Die Armee der Leistungsträger: Alexander (Fritz Karl) ist Zweiter von rechts
Sprich: Er wird zusehends unglücklich und beginnt, das System zu erforschen und zu hinterfragen. Alexander trifft sich mit einer depressiven Frau und er begibt sich zur „Müllhalde“ des Regimes, wo die „Unterschicht“ residiert, also der große Rest der Bevölkerung, der mit Schlagermusik und Drogen sediert wird; die Menschen laufen wie Zombies in Gemeindebauten herum. Alexanders Hinwendung zur schnöden Realität der nicht ganz so glücklichen Gesellschaft gefällt seinem Coach gar nicht: „Eine lasche Einstellung kann fatal sein.“ Das ist durchaus als Morddrohung zu verstehen.
Mensdorff-Pouilly spielt sich selbst
Von da an entwickelt sich eine Thrillerhandlung mit überraschendem Ende. Popkulturelle Assoziationen zum Verlauf des Films: Terry Gilliams’ „Brazil“ (1985) und Pink Floyds Song „Welcome to the Machine“. Einer der absurden Höhepunkte ist übrigens ein gemeinsamer Auftritt von Udo Samel und Alfons Mensdorff-Pouilly, der mit einer gehörigen Portion Ironie sich selbst spielt - selbstredend in Jägermontur.
Und Alexander? Der ist irgendwann drin, im Auge des Bösen, dem ORF-Zentrum auf dem Wiener Küniglberg, das hier aber nicht sich selbst spielt, sondern als finsteres Herz des Überwachungsstaates inszeniert wird, wo alle Informationen über alle Bürger des Landes zusammenlaufen. Die ewig langen weißen Gänge mit einer Tür nach der anderen sind im Film noch gespenstischer. Und aus einem Regieplatz mit seinen vielen kleinen Bildschirmen wird ein Orwell’sches Observationskammerl.
Dystopie als Konsens
Life Guidance residiert wiederum im futuristischen Gebäude der WU Wien. Doch trotz aller liebevoller kleinen Einfälle: Der Film ist visuell und inszenatorisch so ruhig, wie man es sich nur wünschen kann. Die Reaktion der Journalisten nach der Pressevorführung war dennoch denkbar divers, sie reichte von Begeisterung bis hin zu „fad, platt und schon hundertmal gesehen“.
Auch wenn man das so noch nicht gesehen hat: Auffällig ist die aktuelle Schwemme an dystopischen Science-Fiction-Filmen tatsächlich. Man kann diese Häufung als indirekte Folge der Medienberichterstattung sehen, die, im Sinne von „Only bad news are good news“, in ihren Headlines als Folge wirtschaftlicher Bedrängnis immer schriller wird, um im beinharten Verdrängungswettbewerb noch Aufmerksamkeit zu erhaschen. Die Welt geht unter, wird mit einer gehörigen Portion Angstlust suggeriert. Aber wenn sie so schön und fesch und glücklich untergeht, die Welt, dann ist das doch großartig; schöne Grüße vom Küniglberg!