Themenüberblick

Aufruf zum Umbruch

Dass in Hollywood Preisverleihungen als Bühne für politische Statements gelten, ist nicht neu - auch nicht dass es dabei oft um Diskriminierung innerhalb der Branche geht. Nur: Mit so viel Dringlichkeit wie heuer - Stichworte „#MeToo“ und „Time’s Up“ - wurde im Vorfeld der Golden Globes und Oscars noch nie zum Protest aufgerufen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Wer bei den Golden Globes am Sonntag in einem farbigen Dress erscheint, kann sich der Aufmerksamkeit sicher sein: Als Zeichen gegen die sexuelle Belästigung in der US-Unterhaltungsindustrie wollen viele Stars in diesem Jahr in Schwarz zur Verleihung des Filmpreises in Beverly Hills kommen. Während ein Großteil der Schauspielerinnen und Schauspieler die Initiative begrüßt, sagen andere, dass es sich dabei um Wichtigtuerei handle - „who cares“. Und dass auch männliche Stars angekündigt haben, Schwarz zu tragen, sorgt ebenfalls für einigen Spott.

Einen der bissigsten Kommentare zu den „Men in Black“ lieferte Erin Gloria Ryan vom Onlinemagazin The Daily Beast: „Wie genial - Männer, die zu den Golden Globes Schwarz tragen, einem Ereignis, bei dem sie normalerweise schwarze Smokings tragen“, schrieb sie. „Das ist Teil der berühmten Tradition von Männern, möglichst wenig Aufwand zu betreiben und trotzdem dafür Lob zu erwarten.“

„Kein stiller Protest“

Rashida Jones, Star aus Filmen wie „The Social Network“, hält die Kritik an der Aktion für zynisch. „Das ist ja kein stiller Protest“, so Jones gegenüber dem Magazin „InStyle“: „Wichtig ist nicht so sehr die schwarze Kleidung, sondern dass wir da draußen über Fakten sprechen und diskutieren. Viele Frauen werden auf dem roten Teppich erklären, warum es ihnen so wichtig ist, gehört zu werden und als Protest Schwarz zu tragen.“

Schon Nominierungen von „#MeToo“ beeinflusst

Schon bei den Nominierungen Mitte Dezember waren Auswirkungen zu spüren: Kevin Spacey etwa musste seine Preishoffnungen für „Alles Geld der Welt“ begraben. Spacey, der in dem Entführungsdrama den Ölmilliardär Jean Paul Getty spielte, wurde von Christopher Plummer ersetzt. Regisseur Ridley Scott schnitt kurzfristig alle Szenen mit Spacey aus dem bereits fertigen Film heraus, nachdem Vorwürfe sexueller Belästigung gegen den „House of Cards“-Star bekanntgeworden waren.

Der Schauspieler nehme sich „die nötige Zeit für eine Analyse und Behandlung“, hatte sein Sprecher Anfang November übermittelt. Zuvor hatte Spacey über Soziale Medien eine recht vage Entschuldigung formuliert, in der er „unangemessenes betrunkenes Verhalten“ einräumte und sich gleichzeitig als schwul outete.

Wer Chancen auf einen Globe hat

Die Globe-Juroren würdigten „Alles Geld der Welt“ mit drei Nominierungen - für Plummer als bester Nebendarsteller, für Michelle Williams in einer Dramahauptrolle und für Regisseur Scott. Als bester Film nominiert sind diesmal „Dunkirk“, „The Post“, „The Shape of Water“, „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ und „Call me by your name“. Beste Hauptdarstellerin könnten sein: Jessica Chastain („Molly’s Game“), Sally Hawkins („Shape of Water“), Frances McDormand („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“), Meryl Streep („The Post“) und Michelle Williams („All The Money In The World“).

Als beste Hauptdarsteller sind nominiert: Timothee Chalamet („Call Me By Your Name“), Daniel Day-Lewis („Phantom Thread“), Tom Hanks („The Post“), Gary Oldman („Darkest Hour“) und Denzel Washington („Roman J. Israel, Esq.“). „#MeToo“ und „#TimesUp“ hin oder her, auch heuer sind wieder ausschließlich Männer in der Regiekategorie vertreten: Guillermo del Toro („The Shape of Water“), Martin McDonagh („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“), Christopher Nolan („Dunkirk"), Ridley Scott (All The Money In The World“) und Steven Spielberg („The Post“).

Auch Oscar-Vorwehen in Sachen „#MeToo“

Bis zur Oscar-Vergabe sind es noch etwa zwei Monate, der Skandal um den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein wird bis dahin kaum vom Tisch sein. Er werde das auf der Oscar-Bühne wohl ansprechen, sagte Showmoderator Jimmy Kimmel unlängst dem Entertainmentportal Vulture.com. „Es ist wirklich nichts zum Lachen“, sagte der Komiker.

Längst zerbricht sich die Oscar-Akademie über einen Anstandskodex für ihre mehr als 8.000 Mitglieder den Kopf. Weinstein war im Oktober von dem ehrwürdigen Verband gefeuert worden, er wird nicht mehr über künftige Oscar-Gewinner abstimmen. Anfang Dezember gab die Academy eine „Verhaltens“-Erklärung heraus. In dem Verband gebe es keinen Platz für Menschen, „die ihren Status, ihre Macht oder ihren Einfluss“ dazu missbrauchten, die Regeln des Anstands zu verletzen, hieß es unter anderem.

Weibliche Stars richten Kriegskasse ein

Zudem startete gerade vor wenigen Tagen eine Initiative von mehr als 300 Hollywood-Künstlerinnen, die der Belästigung von Frauen in der Filmindustrie und im amerikanischen Berufsalltag insgesamt ein Ende bereiten wollen. Reese Witherspoon (siehe das „Time“-Cover, zweite von oben), Alyssa Milano, Maggie Gyllenhaal und viele weitere riefen am Montag dazu auf, sich der Initiative „Time’s Up“ (Die Zeit ist um) anzuschließen. Sie versprachen, künftig auch weniger privilegierten Frauen wie Arbeiterinnen, Kellnerinnen und Zimmermädchen Schutz vor und Rechtshilfe nach sexuellen Angriffen zu bieten.

Der Initiative gehören auch Filmstars wie Meryl Streep, Emma Stone, Cate Blanchett, Goldie Hawn und Gwyneth Paltrow sowie Regisseurinnen, Produzentinnen und Drehbuchautorinnen an. Spenden unter anderen von Witherspoon, Streep, Steven Spielberg und Kate Capshaw hätten einen Fonds für Rechtsbeihilfe ermöglicht, der bereits über 13 Millionen Dollar (knapp elf Mio. Euro) verfüge, berichtete die „New York Times“ am Montag. Weitere Ziele der Initiative sind laut Programm, für mehr Geschlechtergleichheit in Filmstudios und Talentagenturen zu sorgen und Gesetze durchzusetzen, die Firmen für sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz bestrafen.

Weinstein war schon früher Thema

Ob nach dem Rauswurf Weinsteins vor der Oscar-Verleihung noch andere Köpfe rollen werden, bleibt abzuwarten. Bestimmt würde die Akademie nun schneller handeln. Weinsteins Ruf war in der Branche über Jahre Gesprächsstoff, auch Anlass für Witze. So flachste etwa der Schauspieler Seth MacFarlane („Family Guy“) 2013 bei der Verkündung der Oscar-Nominierungen für die besten Nebendarstellerinnen: „Herzlichen Glückwunsch. Diese fünf Damen müssen nun nicht mehr so tun, als ob sie Harvey Weinstein attraktiv finden.“

Als Kate Winslet 2009 den Oscar für ihre Hauptrolle in der Weinstein-Produktion „Der Vorleser“ entgegennahm, dankte sie zig Kollegen und Hollywood-Größen - nur der Name Harvey Weinstein kam der Schauspielerin nicht über die Lippen. „Das war völlig absichtlich“, sagte Winslet kürzlich der „Los Angeles Times“.

Der Weinstein des Anstoßes

Er habe sie persönlich zwar nicht sexuell belästigt, aber er sei stets tyrannisch, grob und ekelhaft gewesen, sagte die Schauspielerin über den Produzenten. „Die Tatsache, dass ich in meinem Leben nie wieder etwas mit Harvey Weinstein zu tun haben muss, ist eines der besten Dinge überhaupt, und so denkt wohl die ganze Welt.“

Weinstein ist der neue Gottseibeiuns Hollywoods. Enorm war die Aufregung, als wenige Tage vor der Golden-Globes-Verleihung das Gerücht aufkam, er halte sich in just jenem Hotel auf, in dem auch Journalisten untergebracht seien. Das hieße, er könne bei Interviews lauschen, in denen es um ihn selbst geht. Das Gerücht wurde jedoch widerlegt, aktuelle Zeitungsfotos zeigen den in Ungnade gefallenen Produzenten in Arizona.

Links: