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Pauschalangebot in die Todeszone

Das Zeitfenster, in dem ein Anstieg auf den 8.848 hohen Mount Everest möglich ist, öffnet sich jedes Frühjahr nur für wenige Wochen. Davor und danach machen Stürme und Schnee Expeditionen für Touristen unmöglich. Und von diesen gibt es immer mehr. Die Sucht nach Superlativen und das Bedürfnis, die eigenen Grenzen auszuloten, treiben jährlich Hunderte in die Todeszone. Damit lässt sich viel Geld machen.

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Nepal stellte für diese Saison die Rekordzahl von 375 Lizenzen an ausländische Touristen für die Besteigung aus, dazu kommen rund 400 einheimische Bergsteiger, Bergführer und Gepäckträger. Auf tibetischer Seite wurde 136-mal eine Erlaubnis erteilt, den Berg von der Nordflanke her zu erklimmen.

Der Ansturm erklärt sich teils auch dadurch, dass in den vergangenen Jahren zwei Saisonen zur Gänze ausfielen. 2014 kamen 16 Sherpas bei einem Lawinenunglück ums Leben – danach sagten die Träger alle Touren ab und kämpften für bessere Arbeitsbedingungen. Die Saison 2015 fand ein jähes Ende, als eine durch das Erdbeben ausgelöste Lawine das Basislager zerstörte und dabei 18 Menschen ums Leben kamen.

Mount Everest

APA/AP/Tashi Sherpa

Jedes Jahr im Mai zieht es Hunderte zum Mount Everest - in diesem Monat ist eine Besteigung noch am ungefährlichsten

„Schwarzklettern“ kommt teuer

Für eine Genehmigung müssen Ausländer 11.000 US-Dollar (9.830 Euro) zahlen – beim „Schwarzklettern“ erwischt zu werden, kostet das Doppelte. Dazu kommen noch Kosten für Anreise, Visum, Unterkunft, Verpflegung, Sauerstoffflaschen, Träger – die billigsten Kompaktangebote gibt es um 30.000 bis 40.000 Dollar. Der Anstieg über die Nordroute ist etwas günstiger als jener über Süden, der zwar konditionell noch herausfordernder, dafür technisch etwas einfacher ist. Diese beiden Routen zum Gipfel sind längst zum Ziel von Pauschaltouristen geworden - ausreichend Geld und Zeit vorausgesetzt.

Zwei Monate sind im Schnitt für eine Everest-Expedition einzuplanen. Die Bezwingung erfolgt durch mehrmaliges Auf- und Absteigen zwischen dem Basislager und den verschiedenen Hochlagern. Ohne eine wochenlange Anpassung an die extreme Höhe wäre die dünne Luft für den Körper nicht zu verkraften. Bei fehlender Akklimatisation sind ab 4.500 bis 5.500 Meter Höhe die meisten Menschen von Höhenkrankheit betroffen.

Vier Wochen, 95.000 Dollar

„Mount Everest in weniger als vier Wochen“ klingt für viele erfahrene Bergsteiger wie Scharlatanerie – und doch bieten mehrere Unternehmen genau das an. So auch die österreichische Firma Furtenbach Adventure. Die Akklimatisation soll schon von zu Hause erfolgen: Die Tourteilnehmer verbringen sechs bis acht Wochen vor Reiseantritt die Nächte in sauerstoffarmen Hypoxiezelten, um die dünne Luft in extremer Höhe zu simulieren.

Alpinisten stehen den Blitztouren großteils ablehnend gegenüber: Nur einige wenige sehen sie als willkommene Innovation, die meisten lehnen sie jedoch als gefährliche Geschäftemacherei ab. Ohne Vorbereitungszeit vor Ort könnten die Teilnehmer die extremen Bedingungen und Risiken noch schlechter einschätzen, sagt etwa Simon Lowe, Chef des britischen Expeditionsveranstalters Jagged Globe. Ohnehin würden sich dort schon viel zu viele Menschen tummeln, die unerfahren seien und ungeeignet für eine Expedition auf den höchsten Berg der Welt.

Bei Furtenbach Adventures sieht man ausschließlich Vorteile in dieser Methode: „Die mehrfachen Auf- und Abstiege und die Gefahr von Infektionen im Basislager, wo sich viele Menschen auf engem Raum aufhalten, rauben vielen Bergsteigern die Kraft, bevor der eigentliche Aufstieg überhaupt begonnen hat“, heißt es auf der Website des Unternehmens. Argumente, die auch andere Anbieter der Schnellvariante ins Treffen führen, etwa Alpenglow Expeditions mit Sitz in den USA. Die Zeitersparnis hat allerdings einen stolzen Preis: 85.000 bis 95.000 Dollar kosten die Expeditionen.

Mount Everest

APA/AP/Tashi Sherpa

Das Bezwingen des Mount Everest ohne Sauerstoffmaske gelang bisher etwa hundert Menschen

Bewusstsein schwindet binnen Minuten

Erhöhte Sauerstoffzufuhr ist ein weiteres Hilfsmittel, auf das Veranstalter der Kurztouren setzen. Bei zweimonatigen Expeditionen stehen den Teilnehmern ab etwa 7.000 Höhenmetern im Schnitt sechs oder sieben Flaschen zu je vier Liter zur Verfügung. Anders bei Furtenbach Adventures: Everest-Aspiranten erhalten hier unlimitiert Sauerstoff – verabreicht mittels spezieller Regulatoren, die erhöhte Flussraten ermöglichen. In der Todeszone oberhalb von 7.500 Metern ist ein Überleben ohne Sauerstoffzufuhr nur maximal 48 Stunden lang möglich, das Bewusstsein ist binnen Minuten gestört oder ganz verloren.

Zwar gibt es Puristen unter den Alpinisten - etwa Hans Kammerlander und Reinhold Messner –, die es strikt ablehnen, Sauerstoffmasken zu verwenden. Die physische Befähigung, einen 8.000er ohne zusätzlichen Sauerstoff zu bezwingen, ist aber kaum jemandem gegeben. Und Puristen sind auf dem Mount Everest selten zu finden, vor allem zur Rushhour im Mai, wenn der Berg in der Hand von kommerziellen Anbietern ist.

Sauerstoff als Diebesgut

Sauerstoff ist in diesen Höhenlagen folglich das wertvollste Gut, umso alarmierter zeigen sich Expeditionsteilnehmer und Bergführer über ein grassierendes Phänomen: den Diebstahl von Sauerstoffflaschen. „Es ist zu einem ernsten Problem geworden“, sagte der Sherpa Nima Tenji gegenüber der BBC. Die Bergführer vermuten, dass es sich bei den Dieben zumeist um schlecht ausgerüstete Gruppen handelt, die in Verzweiflung agieren. Es seien schlicht zu viele unerfahrene Kletterer und Führer unterwegs. Zunehmend werden auch Sauerstoffflaschen aus höheren Camps gestohlen und im Basislager verkauft.

Auf diese Entwicklung gingen Alpinisten, etwa der US-Autor Michael Kodas, bereits ein. Auch nepalesische Regierungsvertreter sind sich mittlerweile der Problematik bewusst: Sie wollen jeden Tourengeher verpflichten, einen Träger zu engagieren, der ausreichend Ausrüstung und Verpflegung mitführt. Aus dem Tourismusbüro heißt es dazu, man habe den Vorschlag eingebracht, es fehle aber noch ein Kabinettsbeschluss - das liege daran, dass derzeit laufend Regierungswechsel stattfinden und viele Vorhaben liegen bleiben. Bis zum Start der kommenden Saison ist nun ein Jahr Zeit.

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