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Rätsel um Leichen an Bord

An Japans Westküste ist erneut ein Boot mit Toten entdeckt worden. Wie die japanische Küstenwache in der nördlichen Provinz Aomori am Donnerstag bekanntgab, handelt es sich um vier zum Teil skelettierte Leichen. Auf ihre Herkunft gab es zunächst keine Hinweise, vermutlich stammen sie aus Nordkorea. Das gekenterte Holzboot war auf dem Meer entdeckt und in einen Hafen gezogen worden.

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Seit Jahren werden an der japanischen Küste immer wieder Boote, teils voll mit Leichen, an Land gezogen. In den vergangenen Wochen häuften sich die Funde. Japans Küstenwache zählte in diesem Jahr bereits mehr als hundert solcher Geisterboote - ein Rekord, so waren es etwa im vergangenen Jahr 66 Boote. Über den Grund für dieses mysteriöse Phänomen kann nur spekuliert werden.

Flüchtlinge bevorzugen Landroute

Denn politische Spannungen mit Japan und mangelnde Transparenz seitens des isolierten nordkoreanischen Regimes machen es schwierig festzustellen, warum so viele Wracks an die japanische Küste gespült werden. Viele Experten unterstützen die These, dass es sich dabei um Fischer handelt, die vom Kurs abgekommen sind, denn Flüchtlinge bevorzugen die Landroute nach China. Die Entfernung zwischen Nordkorea und Japan beträgt fast 1.000 Kilometer und ist deshalb als Fluchtweg gefährlich und ungeeignet.

Hohe Fangquote gefordert

In der Zeitung der nordkoreanischen Arbeiterpartei, „Rodong Sinmin“, soll nach japanischen Berichten starker Druck auf die staatlichen Fischereibetriebe ausgeübt und seit Kurzem hohe Fangquoten eingefordert werden. „Fische sind eine lebenswichtige Ressource für Nordkoreaner, weil sie die billigste Proteinquelle sind“, sagt Ma Chang Mu vom ozeanografischen Institut in Südkorea. Aus dem Nachbarland gibt es immer wieder Berichte über Lebensmittelknappheit. Diese könnte Nordkoreas Fischer zwingen, weiter auf das Japanische Meer hinauszufahren.

Ermittler untersuchen ein sogenanntes Geisterboot an der japanischen Küste

APA/AFP/JIJI PRESS

Ein Ende November an Japans Küste gestrandetes Fischerboot aus Nordkorea

Aus Devisenmangel soll Pjöngjang Fischereirechte im Gelben Meer, dem Japanischen Meer und anderen Gebieten an chinesische Schiffe verkauft haben. Aus diesem Grunde könnten nordkoreanische Fischer nicht in eigenen nahen Gewässern fischen, berichtete Japans Tageszeitung „Yomiuri Shimbun“. Ein weiterer Faktor könnte sein, dass die nordkoreanischen Küstengebiete seither überfischt sind.

Boote nicht seetüchtig

Nordkoreanische Fischer würden mit ihren kleinen, für die küstennahe Fischerei gedachten Booten bis in Japans exklusive Wirtschaftszone hinausfahren, um dort illegal Fische zu fangen. Laut einem CNN-Bericht wurden in den letzten fünf Monaten rund 1.900 nordkoreanische Boote von der japanischen Küstenwache gewarnt und zum Teil mit Wasserwerfern vertrieben.

Die nordkoreanischen Boote sind zudem teilweise in einem desolaten Zustand und nur mangelhaft ausgerüstet - ohne Funkgeräte, Navigationssysteme und mit schlechten Motoren. Hinzu kommt, dass kürzlich die Sanktionen gegen das Land erneut verschärft und Öllieferungen stark begrenzt wurden. Den Fischern könnte mitunter schlicht der Sprit auf hoher See ausgehen.

Stürmische See im Winter

In vielen Fällen seien die Todesopfer nicht einmal ausgebildete Fischer, sondern Soldaten, die im Auftrag des Regimes mit ihren nicht seetüchtigen Booten auf Fischfang gingen. „Sie haben aber nicht die nötige Erfahrung dafür und geraten darum öfters in Seenot“, sagt der japanische Nordkorea-Experte Satoru Miyamoto in einem Bericht der „LA Times“.

Grafik zeigt Japan mit der Präfektur Akita

APA/ORF.at

Eine Rolle spielt offenbar auch das Wetter. Das Meer zwischen Japan und Nordkorea ist besonders im Winter sehr rau. „Im Sommer beobachten wir das Phänomen weniger, weil das Japanische Meer ziemlich ruhig ist. Aber sobald der Nordwestwind im November zu blasen beginnt, wird es gefährlich“, sagte Yoshihiko Yamada von der Tokai-Universität in Tokio gegenüber Sky News. Entsprechend geraten viele Fischer in Seenot und sterben dann auf hoher See, möglicherweise an Erschöpfung oder Unterkühlung.

Wochenlang führerlos unterwegs

Die Geisterboote treiben anschließend wochenlang führerlos durchs Meer, ehe sie auf die japanische Küste treffen. Manchmal ist niemand mehr an Bord, manchmal verwesen Leichen auf den Booten. Auch die am Donnerstag entdeckten Leichen auf dem zwölf Meter langen Boot vor der Küste von Akita lassen vermuten, dass die Menschen schon länger tot waren.

Manchmal lebt die Besatzung aber auch noch. Erst vor einem Monat hatten es acht Nordkoreaner lebend bis nach Japan geschafft. Sie hatten angegeben, auf Tintenfischfang gewesen zu sein, als ihr Motor streikte. Auf ihre Bitte hin wurden sie nach Nordkorea zurückgebracht. In einem anderen Fall hatte Japans Polizei drei ebenfalls angetriebene nordkoreanische Fischer verhaftet. Sie sollen auf einer unbewohnten Insel im Norden Japans, wo die Männer nach dem Stranden Zuflucht gesucht hatten, eine Fischerhütte geplündert haben. Gegen den Kapitän des Bootes wurde am Donnerstag Anklage erhoben.

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