Balanceakt für May
Die Europäische Union bietet Großbritannien nach dem „Brexit“ eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2020 an. In diesem Zeitraum müsse London allerdings alle Regeln des EU-Binnenmarkts und der Zollunion einhalten, teilte EU-Unterhändler Michel Barnier am Mittwoch mit.
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Großbritannien will die Staatengemeinschaft am 29. März 2019 verlassen. Unterdessen konnte die britische Premierministerin Theresa May eine drohende „Brexit“-Schlappe im Parlament durch eine Kompromisslösung abwenden.
Barnier bekräftigte, dass die EU die künftigen Beziehungen mit einem Freihandelsabkommen ähnlich wie mit Kanada, Südkorea oder Japan regeln und bis Oktober 2018 dafür Eckpunkte vereinbaren wolle. Bisher erlaube kein solches Handelsabkommen einen privilegierten Zugang für Finanzdienstleistungen zum EU-Binnenmarkt. Damit stellte der Franzose eine wichtige Forderung der britischen Finanzbranche infrage.
„Präzise“ Erklärung erwünscht
Neben dem Handelsabkommen will die EU nach Barniers Worten drei weitere Regelungen mit Großbritannien für die Zeit nach dem Austritt aus der EU treffen: zur Luftfahrt, zur Zusammenarbeit der Justiz und zu den Feldern Sicherheit, Außenpolitik und Verteidigung. Auch die Eckpunkte dafür sollten bis Oktober 2018 in einer „präzisen“ politischen Erklärung vereinbart werden, sagte Barnier.
Diese Erklärung soll das Austrittsabkommen mit London flankieren, das ebenfalls bis Oktober fertig sein soll. Danach muss es sowohl vom Europäischen als auch vom britischen Parlament ratifiziert werden.
Keine interne Mitsprache mehr
In diesem Abkommen soll die Übergangsfrist mitgeregelt werden, die May im September vorgeschlagen hatte. Sie hatte von etwa zwei Jahren gesprochen. Barnier machte den vorgeschlagenen Termin Ende 2020 daran fest, dass danach ein neuer EU-Finanzrahmen beginnt.
In der Übergangszeit sollen Barnier zufolge für Großbritannien alle Rechte und Pflichten des Binnenmarktes und der Zollunion gelten. Das Land werde aber keine Mitsprache in den europäischen Institutionen mehr haben, stellte Barnier klar. Auch dürfe Großbritannien in der Phase keine eigenen Handelsverträge abschließen.
Dämpfer für May
Im Londoner Parlament bestätigte May unterdessen eine Kompromisslösung beim Austrittsdatum. Viele Abgeordnete, auch Tory-„Rebellen“, hatten eine Festschreibung des 29. März 2019 im EU-Austrittsgesetz abgelehnt. Sie befürchteten, dass das Datum möglicherweise nicht einzuhalten sein könnte. Der Kompromiss lautet nun: Das Datum wird zwar im Gesetz verankert, aber es kann im Notfall noch geändert werden. „Dies gilt aber nur unter außergewöhnlichen Umständen und für die kürzeste Zeit“, sagte May.
May hatte erst kürzlich eine herbe Niederlage aus den eigenen Reihen im Parlament hinnehmen müssen. Bei einer Abstimmung sicherten sich die Abgeordneten ein Vetorecht über das „Brexit“-Abkommen. Tory-„Rebellen“ hatten sich dafür mit der Opposition verbündet.
Grünes Licht für zweite Verhandlungsrunde
Die EU hatte am Freitag die Ausweitung der „Brexit“-Verhandlungen gebilligt, nachdem erste Fortschritte erzielt worden waren. Die EU-Kommission beschloss am Mittwoch nach allgemeinen Vorgaben des Europäischen Rats offiziell die Ziele für die zweite Verhandlungsetappe. Die EU-Länder sollen diese im Jänner billigen.
Ein Scheitern der „Brexit“-Gespräche könnte auch zu einem Einbruch an den Finanzmärkten führen, warnte der Internationale Währungsfonds (IWF). Das Wirtschaftswachstum habe sich im laufenden Jahr trotz der starken Weltkonjunktur abgeschwächt, schreibt der IWF in seinem Länderbericht. Das „Brexit“-Votum habe den privaten Konsum belastet. 2018 dürfte das Wirtschaftswachstum bei rund eineinhalb Prozent liegen.
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