183 Seiten für „echte Veränderung“
Exakt zwei Monate nach der Nationalratswahl sind ÖVP und FPÖ am Freitag in den letzten offenen Fragen zu einer Einigung gekommen. Am Samstagnachmittag traten der künftige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und der künftige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) in Wien vor die Presse und präsentierten ihr Programm.
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Nach siebenwöchigen - „langen und intensiven, aber positiven“ Verhandlungen habe man sich auf ein Programm für die kommenden fünf Jahre geeinigt, so Kurz - „die neue Regierung steht“. Dem Wunsch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, das Innen- und das Justizministerium zwischen den Parteien aufzuteilen, habe man genauso entsprochen, wie dessen Ruf nach einer proeuropäischen Regierung. Zu den Devisen zähle, dass es im Land nicht immer mehr Regulierung und Regeln brauche, sondern wenige Regeln, die dann aber von allen eingehalten werden sollen, erklärte Kurz.
APA/Roland Schlager
Der künftige Kanzler Kurz (ÖVP) sowie Vizekanzler in spe Strache (FPÖ) präsentierten die Grundzüge ihres Programmes in einer Pressekonferenz auf dem Wiener Kahlenberg
Programm soll „Basis für echte Veränderung“ sein
Das Regierungsprogramm solle eine Basis „für eine echte Veränderung sein“ betonten sowohl Kurz als auch Strache. Angepeilt sei ein Programm gewesen, in dem sich beide Parteien zumindest zu 50 Prozent wiederfinden würden, das habe man übertroffen, man liege jetzt bei 75 Prozent, so Strache: „Das liegt auch daran, dass der eine oder andere schon vor der Wahl Punkte übernommen hat.“
Als wichtige Themenpakete beschrieben Kurz und Strache vor allem jene Themen, die auch schon im Wahlkampf im Fokus gestanden waren. Geplant seien ein Sicherheitspaket und zahlreiche Verschärfungen im Asylrecht, wesentliche Änderungen gibt es etwa bei der Grundversorgung. Für Gewalt- und Sexualverbrechen soll es härtere Strafen geben, der Kampf gegen den politischen Islam soll zu den Prioritäten der neuen Regierung gehören.
Großes Gewicht gibt die neue Regierung der Verwaltungsreform - die das erste Kapitel im Regierungsprogramm ist. Auf neun Seiten des Programms werden die Vorhaben für ein treffsicheres Förderwesen, Kompetenzbereinigung, Abbau von Parallelstrukturen, einen schlanken Staat, Wahlrecht und „mehr Sauberkeit in der Politik“ dargestellt.
Strache will Bedenken wegen Ressorts zerstreuen
Strache betonte angesichts der Bedenken, die beiden Sicherheitsressorts Inneres und Verteidigung der FPÖ zu geben, dass es sich nicht um eine „Zusammenlegung“ oder Ähnliches handle. Jeder sei für sein Ressort verantwortlich. Damit die „unbegründete Sorge“ nicht weiter bestehe, würden die Nachrichtendienste auch gegenüber Kanzler und Vizekanzler eine Berichtspflicht bekommen, außerdem solle der Rechtsschutzbeauftragte beim Kanzleramt angesiedelt werden.
Die Präsentation des Regierungsprogramms
In einer Pressekonferenz skizzierten Kurz und Strache die Eckpunkte des neuen Regierungsprogramms und waren bemüht, Vorbehalte gegen ihre Regierung zu entkräften.
Auch was den geplanten Ausbau der direkten Demokratie betrifft, waren Kurz und Strache um Beruhigung bemüht. Volksabstimmungen über ein Volksbegehren sollen erst ab 900.000 Unterschriften (rund 14 Prozent der Berechtigten) verpflichtend werden - und auch das erst am Ende der Legislaturperiode, wenn sich die Zweidrittelmehrheit findet bzw. nach einer Volksbefragung. Das jeweilige Thema dürfe auch nicht in Widerspruch zu grund-, völker- und europarechtlichen Verpflichtungen stehen, erklärte Kurz, Referenden über die Mitgliedschaft in der EU oder in sonstigen internationalen Organisationen sollen auf diesem Weg überhaupt nicht zulässig sein.
Launsky-Tieffenthal wird Regierungssprecher
Das 183-seitige Papier ist nach einer Art Prolog mit Vorwort, Präambel und Prinzipien der neuen Bundesregierung in fünf Kapitel gegliedert: Staat und Europa, Ordnung und Sicherheit, Zukunft und Gesellschaft, Fairness und Gerechtigkeit, Standort und Nachhaltigkeit. In der Bundesregierung, im Parlament und auf EU-Ebene will man „konkret und effizient“ zusammenarbeiten. ÖVP und FPÖ werden einen gemeinsamen Regierungssprecher installieren und einander im Parlament nicht überstimmen.
Das Amt soll Spitzendiplomat Peter Launsky-Tieffenthal übernehmen, er soll beim ersten Ministerrat der neuen Regierung am Dienstag erstmals auftreten. Der 60-jährige Wiener leitete zuletzt die Entwicklungssektion im Außenministerium. Davor war er unter anderem von 2007 bis 2012 als Sprecher des Außenministeriums tätig sowie bei der UNO als Untergeneralsekretär für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit.
Die elf „Prinzipien“ der neuen Regierung
Unter der Überschrift „Unsere Prinzipien“ führen ÖVP und FPÖ folgende Punkte an: Freiheit, Verantwortung, Heimat, Sicherheit, Generationengerechtigkeit, Familie, Nachhaltigkeit, Leistung, Chancengleichheit, Klarheit, Subsidiarität. Alle vorgesehenen Maßnahmen würden zudem nur umgesetzt, wenn sichergestellt sei, dass etwaige Mehrkosten oder Mindereinnahmen durch strukturelle Gegenfinanzierungsmaßnahmen gedeckt sind.
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA; Fotos: APA/Neue Volkspartei/Jakob Glaser, Helmut Fohringer
Ministerliste präsentiert
Kurz und Strache stellten mit kurzen Hintergründen auch die künftigen Minister und Staatssekretäre vor, die künftigen Regierungsmitglieder traten aber noch nicht vor die Presse. Finanzminister wird - von der ÖVP ausgewählt - Hartwig Löger, bis zuletzt Uniqa-Vorstandsvorsitzender. Das neu gestaltete Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus übernimmt Elisabeth Köstinger, „eine enge Vertraute von mir“, wie Kurz sie vorstellte. Das ebenfalls neu zusammengefasste Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz übernimmt Ex-Rechnungshof-Präsident Josef Moser, der laut Kurz „wesentliche Reformen in diesem Land einleiten soll“.
ZIB-Reporter Thomas Langpaul über das Regierungsprogramm
Bringt das Regierungsprogramm die große Veränderung, mit der die beiden Parteien im Wahlkampf geworben haben? Thomas Langpaul berichtet direkt von der Pressekonferenz der Regierungsparteien.
Als Minister für Bildung soll Heinz Faßmann für Universitäten, Schulen und Kindergärten zuständig sein. Ex-A1-Telekom-Managerin Margarete Schramböck wird Wirtschaftsministerin, Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel Kanzleramtsminister für EU, Medien, Kunst und Kultur. Die steirische Molekularbiologin und Neo-Nationalratsabgeordnete Juliane Bogner-Strauß übernimmt das Ressort Frauen, Familie und Jugend.
Strache wird Minister für Sport und Beamte
Strache selbst wird als Vizekanzler für die Bereiche Sport und Beamte zuständig sein. Als Außenministerin stellte Strache die unabhängige „Brückenbauerin“ Karin Kneissl vor, „weil uns die Neutralität besonders wichtig ist“. Innenminister wird der bisherige FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl, neuer Verteidigungsminister der steirische FPÖ-Chef Mario Kunasek. Der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer übernimmt das Infrastruktur- und Verkehrsministerium. Die ehemalige FPÖ-Abgeordnete Beate Hartinger wird Ministerin für Soziales und Gesundheit. Der langjährige Abgeordnete Hubert Fuchs wird Staatssekretär im Finanzministerium.
TV-Hinweise
Am Sonntag widmen sich das „Europastudio“ um 11.05 Uhr und ein „Hohes Haus“ um 12.00 in ORF2 der neuen Koalition. „Die neue Regierung – Wohin steuert Österreich ?“ heißt es um 22.00 Uhr in „Im Zentrum“.
Am Montag überträgt ORF2 die Angelobung ab 10.45 Uhr live. In einer ZIB Spezial um 20.15 Uhr ist ein Interview mit Kurz und Strache geplant. Um 21.00 Uhr folgt ein „Report spezial“, um 22.30 Uhr nach der ZIB2 ein „Runder Tisch“ mit Vertretern der fünf Parlamentsparteien.
Am Montag steht die Angelobung bei Van der Bellen auf dem Programm. Direkt im Anschluss wird erwartet, dass Kurz nach Brüssel reist, um dort in der EU-Kommission seinen Antrittsbesuch als Bundeskanzler zu absolvieren. Am Mittwoch soll er seine erste Regierungserklärung im Parlament halten.
Parteivorstände segneten Koalitionspakt ab
Vor der Präsentation am Samstagnachmittag hatten die Parteivorstände von ÖVP und FPÖ das Programm sowie das Regierungsteam abgesegnet. Kurz verneinte im Anschluss vor Journalisten die Frage, ob es im Vorstand eine hitzige Diskussion gegeben habe. Er sei mit dem Versprechen angetreten, Experten mit Erfahrung zu holen. Dieses Versprechen habe er nun eingelöst, unter den Vorstandsmitgliedern habe es daher „keine Verwunderung“ gegeben. Auch die FPÖ-Vorstände sollen den Koalitionspakt einstimmig angenommen haben. Hofer berichtete nach der Sitzung von einer „Riesenbegeisterung“ der Teilnehmer.
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