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Als ein Wahlkampf das Land überrollte

Eigentlich hätte 2017 innenpolitisch ein weitegehend geruhsames Jahr werden sollen – quasi das Durchschnaufen vor dem österreichischen EU-Vorsitz und dem „Superwahljahr 2018“. Am Ende kam es anders. Und mit der Ruhe war es spätestens nach dem Frühjahr vorbei.

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Anfang 2017 saß vielen Österreicherinnen und Österreichern noch eine der längsten Wahlentscheidungen der Geschichte in den Knochen. Fast ein Jahr lang war um den Einzug in die Hofburg gerittert worden – bevor am 4. Dezember Alexander Van der Bellen die Bundespräsidentschaftswahl letztlich für sich entscheiden konnte.

Ringen um Arbeitsprogramm

Van der Bellen war noch gar nicht angelobt, als Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) am 10. Jänner seinen „Plan A“ präsentierte. Für viele klang die Grundsatzrede des Parteiobmanns bereits verdächtig nach Wahlkampf – eine Vermutung, die Kern freilich entschieden von sich wies. Er versicherte, arbeiten zu wollen.

Selbiges beteuerte auch sein Gegenpart beim Koalitionspartner ÖVP, Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner. Ende Jänner stand dennoch eine Neuwahl zumindest im Raum. Erst nach langem Ringen setzten alle Ministerinnen und Minister ihre Unterschrift unter ein überarbeitetes Arbeitsprogramm der Regierung.

Rücktritt, Übernahme, Neuwahl

Keine vier Monate später war es mit der Regierung trotzdem vorbei. Am 10. Mai warf Mitterlehner nach einer wochenlangen Obmanndebatte innerhalb der ÖVP das Handtuch. Der Wirtschaftsminister gab sowohl den Parteivorsitz als auch seine Regierungsfunktionen ab. Was folgte, war eine Parteiübernahme plus folgenden Wahlkampf fast wie aus dem Lehrbuch.

Christian Kern und Reinhold Mitterlehner

APA/Robert Jaeger

Mitterlehners Rücktritt beendete in der Folge auch Kerns Kanzlerschaft

Vier Tage nach Mitterlehners Rücktritt übernahm Sebastian Kurz den Vorsitz der ÖVP, sicherte sich weitgehende Durchgriffsrechte in der Partei und kündigte die Regierungszusammenarbeit mit der SPÖ auf. In den folgenden Monaten führte Kurz die mit dem Prädikat „neu“ versehene Volkspartei in eine Neuwahl, die er und die ÖVP im Oktober mit deutlichem Vorsprung gewannen.

Silbersteins Schatten auf der SPÖ

So rund die Wahlkampfmaschine der ÖVP lief, so sehr stotterte der Kampagnenmotor der SPÖ. Schon von Beginn des Vorwahlkampfs weg, rieb sich das Team der Sozialdemokraten an internen Querelen auf. Am Ende sollte vor allem ein Name für das stehen, was in den Monaten bis zur Wahl schiefging: Tal Silberstein. Nachdem er im August festgenommen worden war, kündigte die SPÖ alle Verträge mit dem bereits zuvor auch parteiintern nicht unumstrittenen PR-Berater.

Das dicke Ende kam aber erst zwei Wochen vor der Wahl: Ende September berichteten „Presse“ und „profil“ simultan, dass ein von Silberstein beauftragtes Team hinter zwei Facebook-Seiten gestanden sei, die augenscheinlich Kurz in ein fragwürdiges Licht stellen sollten.

Gegenseitige Anschuldigungen

Politologen sprachen von einem „Super-GAU“, die SPÖ versuchte sich in Schadensminimierung, tauschte ihren Bundesgeschäftsführer aus und ging ihrerseits zum Angriff gegen die ÖVP über: PR-Berater Peter Puller, früher für ÖVP und NEOS tätig, hatte die Facebook-Seiten im Auftrag Silbersteins betrieben. Er gab nun seinerseits an, dass ihm Kurz’ Pressesprecher bereits im Sommer Geld geboten habe, um überzulaufen. Der Streit von ÖVP und SPÖ gipfelte schließlich in gegenseiteigen Anzeigen.

Welche Auswirkungen die unter dem Stichwort „Schmutzkübelkampagne“ thematisierten Enthüllungen tatsächlich hatten, ist bis heute offen. Fest steht aber: Am Wahlabend landete die SPÖ deutlich abgeschlagen hinter der ÖVP. Aber immerhin reichte es am Ende mit nicht ganz einem Prozentpunkt Vorsprung auf die FPÖ für den zweiten Platz.

ÖVP und FPÖ schmieden Regierung

Noch während des Wahlkampfs war damit spekuliert worden, dass die SPÖ auch als Zweiter versuchen würde, die FPÖ für eine Koalition zu gewinnen. Noch am Wahlabend verkündete Kern allerdings den Gang in die Opposition – eine Linie, an der die Partei in der Folge festhielt. Umso schneller einigten sich dann ÖVP und FPÖ, in Koalitionsverhandlungen zu treten. Die dauerten am Ende zwar länger als angenommen. Aber noch vor Weihnachten verkündeten die beiden Parteien eine Einigung. Am 18. Dezember gelobte Bundespräsident Van der Bellen die ÖVP-FPÖ-Regierung an.

Angelobung

APA/Robert Jaeger

Knapp eine Woche vor Weihnachten trat die ÖVP-FPÖ-Regierung ihren Dienst an

Im Gegensatz zur ersten schwarz-blauen Regierung blieb der große Aufschrei diesmal aus. Zwar begleiteten auch die Angelobung des Kurz-Kabinetts Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten. Verglichen mit dem Jahr 2000 fielen diese aber geradezu verhalten aus. Was das Kabinett unter Kurz tatsächlich umsetzen wird, ist für viele Expertinnen und Experten noch offen. Eine große Zahl der im Regierungsprogramm genannten Punkte ist schlicht sehr vage formuliert. Was sich aus Übereinkommen zwischen ÖVP und FPÖ allerdings herauslesen lässt, ist eine klare rechtskonservative Handschrift.

Grüne Turbulenzen enden im Absturz

Die Oppositionsrolle im Parlament kommt in Zukunft SPÖ, NEOS und Liste Pilz (LP) zu. Nicht einmal für die Opposition reichte es hingegen für die Grünen. Mit 3,8 Prozent blieben sie unter der Vierprozenthürde. Für die Partei wurde der Wahlsonntag im Oktober damit zum Tiefpunkt eines Jahres, indem so gar nichts rundlaufen wollte. Das Frühjahr war geprägt von einem schweren Streit mit der grünen Jugendorganisation, der im Rausschmiss der Jungen Grünen aus der Bundespartei endete.

Dann verloren die Grünen mit dem Rücktritt Eva Glawischnigs am 18. Mai ihre Vorsitzende und Spitzenkandidatin für die Wahl. Eine Lücke, die – zumindest bis zur Wahl – mit einer Doppelspitze gefüllt werden sollte: Die Tiroler Landespolitikerin Ingrid Felipe übernahm die Parteiführung, die EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek ging als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf. Doch auch der startete mehr als holprig.

Liste Pilz ohne Pilz im Parlament

In Kärnten eskalierte ein Streit über die Erstellung der Landeslisten. Noch schwerer waren aber die Folgen des grünen Bundeskongresses Ende Juni. Dort verlor Peter Pilz die Wahl um Platz vier auf der Bundesliste. Er zog sich daraufhin nicht nur aus der Partei zurück, sondern gründete kurze Zeit später sein eigenes Parteiprojekt.

Peter Pilz

APA/Hans Klaus Techt

Pilz verhalf seiner Liste ins Parlament - stolperte danach aber über Belästigungsvorwürfe

Für die LP konnte er unter anderen die bisherigen Grün-Mandatare Bruno Rossmann und Wolfgang Zinggl gewinnen. Zinggl steht im Übrigen noch für einen weiteren Konflikt, der die - diesmal Wiener – Grünen belastete. Er war einer der vehementesten Kritiker der Hochhauspläne am Wiener Heumarkt, die zu einer Zerreißprobe für die Grünen in Wien wurden.

Mit 4,4 Prozent zog die LP schließlich auch in das Parlament ein. Pilz selbst legte freilich noch vor der ersten Sitzung des Nationalrats sein Mandat zurück. Der langjährige Politiker sah sich Anfang November mit mehreren Belästigungsvorwürfen konfrontiert, verteidigte sich ungeschickt bis grenzwertig und zog schließlich doch die Konsequenzen. Eine Rückkehr in die Politik schloss er allerdings dezidiert nicht aus.

Amtsübergabe in Niederösterreich

Ganz anders als ein anderer langgedienter Politiker: Am 17. Jänner gab Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) seinen Rückzug von allen politischen Ämtern bekannt. Einen Tag später beschloss der niederösterreichische ÖVP-Landesvorstand, dass Pröll sowohl an der Spitze der Landesregierung als auch der Landespartei die ehemalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner nachfolgen soll. Ende März übernahm sie die Parteiführung, im April dann den Posten als Landeshauptfrau. Dass sie diesen Posten auch nach der Landtagswahl im Jänner innehaben wird, bezweifelt so gut wie niemand.

Häupl-Nachfolge offen

Mit Pröll verließ Österreichs längstdienender Landeshauptmann die politische Bühne – und er wird diesen Titel womöglich noch eine Zeit lang behalten. Der Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl begann im November zwar bereits sein 24. Jahr an der Spitze der Bundeshauptstadt. Ob er Pröll mit seinen 24 Jahren und sechs Monaten aber noch einholt, ist offen. Ende Jänner will Häupl den Parteivorsitz übergeben. Der Wechsel auf dem Bürgermeistersessel soll dann wenig später erfolgen – wenn auch noch nicht klar ist, wann genau.

Die Nachfolge Häupls beschäftigte die Wiener SPÖ nicht erst seit heuer. In diesem Jahr wurde die Diskussion allerdings richtig virulent. Bereits im Frühjahr gab der Wiener Wohnbaustadtrat Christian Ludwig bekannt, sich um die Nachfolge Häupls zu bewerben. Im November verkündete der SPÖ-Klubobmann im Parlament, Andreas Schieder, seine Kandidatur. Wer das Rennen macht, wird sich Ende Jänner zeigen. Manch einer und eine rechnen ohnehin noch mit einer Überraschungskandidatur.

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