Themenüberblick

Eine Erfolgsstory, die keine ist

Das US-Raketenabwehrsystem Patriot gilt als Wunderwaffe gegen feindliche Angriffe. Saudi-Arabien vermeldet immer wieder erfolgreiche Einsätze, zuletzt im Jänner. Aber ein anderer Vorfall lässt Zweifel an der Technologie aufkommen. Im November 2017 feuerten Huthi-Rebellen eine Burkan 2-H auf Riad ab. Laut saudischer Armee wurde sie vom Himmel geholt. Ein großer Irrtum, behaupten Experten.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

„Unser System hat die Rakete der Rebellen abgeschossen“, sagte auch US-Präsident Donald Trump kurz nach dem Einsatz der Patriot. Keine andere Technologie sei so treffsicher wie das US-amerikanische Waffensystem. Mit Blick auf Nordkorea, das inzwischen über Interkontinentalraketen und nukleare Gefechtskörper verfügt, kündigte Trump an, die vom Rüstungskonzern Raytheon hergestellte Technologie weltweit an seine Alliierten zu verkaufen.

Doch in der „New York Times“ widersprechen Forscher der offiziellen Erfolgsstory der Patriot. Die Expertengruppe vom Middlebury Institute of International Studies at Monterey (Kalifornien) hat Videos und Fotos vom Einsatz im November in Saudi-Arabien analysiert und herausgefunden, dass die Rakete der Huthis keineswegs abgefangen wurde.

„Regierungen lügen über die Effektivität“

Stattdessen konnte sie ungehindert am Abwehrsystem vorbeifliegen und in der Nähe des Flughafens in Riad detonieren. „Die Regierungen lügen über die Effektivität von Patriot. Oder sie wurden falsch informiert“, erklärt Jeffrey Lewis, Nuklearexperte und Leiter der Forschungsgruppe.

Scud-B-Raketen

Reuters/Lee Jae Won

Die Burkan 2-H ist eine Version der sowjetischen Scud und wird der UNO zufolge im Iran produziert

Die saudische Armee hat mindestens fünf Abfangraketen auf die Burkan 2-H der Huthi-Rebellen gefeuert, heißt es im Bericht. Aber alle Versuche, den Angriff abzuwehren, seien fehlgeschlagen. Trümmerteile, die kurz nach dem militärischen Einsatz auf Riad herabgefallen sind, gehören zwar zur Burkan 2-H und könnten auf einen erfolgreichen Abschuss hindeuten. Aber der Sprengkopf, der explosive Teil der Rakete, war nicht darunter.

Alte Rakete durchbricht moderne Technologie

Die Erklärung dafür liegt laut Expertenbericht in der Konstruktion der Burkan 2-H: Sie ist nämlich so gebaut, dass sie sich in der Nähe ihres Ziels spaltet. Der röhrenförmige Körper, der die Rakete antreibt, stürzt zu Boden, der Sprengkopf fliegt weiter. Die Burkan 2-H kann somit der Belastung des Flugs von rund 1.000 Kilometer standhalten.

Die Trümmer, die von der saudischen Luftwaffe gefunden wurden, sind demnach nicht Belege eines erfolgreichen Einsatzes von Patriot, sondern Teile des mit Absicht abgestoßenen Antriebs der Rakete. Der Sprengkopf, wesentlich kleiner und schwieriger zu treffen, detonierte laut Analyse schließlich „so nahe am Inlandsterminal, dass Passagiere aus ihren Sitzen sprangen".

Ein größerer Schaden sei zwar ausgeblieben, erklärte Nuklearexperte Lewis, aber die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen hätten gezeigt, dass ihre Raketen nun in der Lage seien, ihre Ziele trotz großer Distanz zu treffen.

Der Sprengkopf explodierte in der Nähe des Flughafens. Fünf Raketen wurden von der Raketenabwehr abgefeuert, alle verfehlten ihr Ziel. Bei einem gefundenen Trümmerteil fehlte der Sprengkopf.

Abschussrate tendiert gegen null

Brisant ist der Vorfall ohnehin deshalb, weil es sich bei der Burkan 2-H um eine Version der sowjetischen Scud handelt, eine als veraltet und sehr fehleranfällig geltende Rakete. Das militärische Raketenabwehrsystem Patriot hingegen besitzt unter anderem einen Multifunktionsradar, um die Abfangraketen zu lenken, und eine automatische Freund-Feind-Erkennung. Trotzdem hat die kleine Burkan 2-H die militärische Barriere durchbrochen.

Der Forschungsbericht unterstreicht die schon seit Jahren anhaltenden Zweifel am Abwehrsystem. Mitte der 90er Jahre haben Analysen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) ergeben, dass die Abschussrate der Patriot geringer ist als von Regierungen ursprünglich kommuniziert.

Beispielsweise hätten die USA und Israel, das seit 1991 im Besitz der Abwehrtechnologie ist, stets behauptet, dass fast alle irakischen Scud-Raketen während des Zweiten Golfkriegs (1990 bis 1991) abgefangen wurden. Tatsächlich lag die Quote unter zehn Prozent und tendiert gegen null.

Polen bekundet Interesse

Trotz der nachgewiesenen Mängel bleibt Patriot ein Verkaufsschlager. Mehr als ein Dutzend Länder sind bereits Kunden. Darunter beispielsweise Japan und Südkorea, die sich gegen Raketenangriffe aus Nordkorea wappnen. Zuletzt hatte Polen Interesse an der militärischen Abwehrbarriere gezeigt.

Im November hatte das US-Verteidigungsministerium den Kauf genehmigt, doch auf das Lieferdatum konnten sich die zwei Staaten bisher nicht geeinigt. Auch der Preis soll Medienberichten zufolge noch nicht fix sein. Der Rüstungskonzern Raytheon verlangt für das Abwehrsystem 8,5 Milliarden Euro, die polnische Regierung will aber verhandeln.

Links: