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Der Wunsch, „ins Land einzusinken“

„Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere“: Peter Handkes neues Werk ist 559 Seiten stark und nimmt sich der Erzählform des Epos an. Anlass der Reise ist ein Bienenstich, den der Erzähler nicht als schlechtes Omen, sondern als ein Zeichen sieht: „Zeit, daß du dich auf den Weg machst. Reiß dich los von Garten und Gegend. Fort mit dir. Die Stunde des Aufbruchs ist gekommen.“

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Das Motiv des Fortgehens kennt man ja bereits aus anderen Büchern Handkes - und ein einsamer Wanderer und präziser Beobachter ist auch diesmal Protagonist seines Prosawerks. Der unumwunden als Alter Ego identifizierbare Erzähler bricht in Handkes Wohnort Chaville, der „Niemandsbucht“ (so auch der Titel seines Buches von 1994), auf und begibt sich in die als Sehnsuchtsort geschilderte französische Provinz Picardie, wo der Dichter vor einigen Jahren ein Haus gekauft hat. Sein Wunsch ist es, „ins Land einzusinken“, in es „überzugehen“.

„Mörderisch zugeschärfte“ Geschichte

Alles wie gehabt also? Nein, denn in „Die Obstdiebin“, ist die politische Realität, „die Geschichte der letzten Monate und Jahre, mörderisch zugeschärft“, in Handkes Universum vorgedrungen. Und die Reise des Erzählers ist auch eine Suche: jene nach seiner Tochter, der Titelheldin der Geschichte, deren Perspektive die Erzählung allmählich übernimmt.

Buchhinweis:

Peter Handke: Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere. Suhrkamp Verlag, 559 Seiten, 35,00 Euro.

Sie, die „Obstdiebin“, eine „blutjunge“, mysteriöse Frau mit dem Namen Alexia, mäandert wie ihr Vater durch das Land, querfeldein und abseits herkömmlicher Reiserouten. Sie hat, wie man später erfährt, aus eigenem Antrieb ein weltenbummlerisches Leben gewählt und auch sie ist eigentlich auf der Suche – nach ihrer Mutter, einer „Bankfrau“.

Orientierung am Epos

Als „Letztes Epos“ hatte Handke das Werk bereits in seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen „Vor der Baumschattenwand nachts“ von 2016 ankündigt. Dem „reinen“ Erzählen fühlt er sich verpflichtet. Und so gibt es auch diesmal, wie so oft bei Handke, keinen Plot und keine Psychologie, sondern, orientiert an den mittelalterlichen Epen wie Wolfram von Eschenbachs „Parzival“, episodisch aufeinanderfolgende Abenteuer.

Handkes Erzählung wird vom tagträumerischen, letztlich nicht zielgerichteten Gehen der Obstdiebin geleitet. Ihr Weg führt zu Alltagsbegebenheiten, Gefahren und magisch aufgeladenen Momenten und Begegnungen: Ein Tischfußball spielender Herbergsvater, ein Bucheckernbrotbäcker und ein Pizzabote, der vorübergehend zu ihrem Begleiter wird, säumen ihren Weg, ehe der Roman schließlich in einer versöhnlichen Familienfeier endet.

„Das Ereignis dieses Bücherherbsts“

Von der Kritik wurde „Die Obstdiebin“ gefeiert: Handke zeige sich als „Meister der Prosa des Augenblicks“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“. Das „Profil“ sprach gar von „dem Ereignis dieses Bücherherbsts“. Die „Frankfurter Neue Presse“ lobte vor allem die „aphoristischen Einschübe zu Krieg und Frieden, zu Gesellschaft und ihren Verkommenheiten“, die aus dem Roman „großartige Literatur“ machten.

Die „Literarische Welt“ sah in der „Obstdiebin“ hingegen eine moderne Reise zum Heiligen Gral: Wie jeder Handke sei „Die Obstdiebin“ „ein sehr seltsames Buch, eines das um seine Seltsamkeit weiß. Es gibt darin Wunderbares und Wunderliches und, wie bei einem modernen Parzival nicht anders zu erwarten, manche Wunde – die das Erzählen nicht heilen, sondern allenfalls bedecken kann.“

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