Themenüberblick

NGOs: Wettlauf zu mehr Ungerechtigkeit

Das EU-Parlament hat zuletzt in einem eigenen „Panama-Ausschuss“ versucht, gesetzliche Regelungen zu finden, um die grassierende Steuerflucht von Konzernen und Reichen einzubremsen. Ohne Zustimmung der Mitgliedsstaaten - Steuerpolitik ist nationale Angelegenheit - geht da aber gar nichts. Und viele von ihnen wehren sich mit gutem Grund, da sie selbst als global wichtige Steueroasen fungieren.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Weitertun wie bisher ist nach den Steuerskandalen, welche die Panama-und zuletzt die Paradise-Papers aufdeckten, aber politisch nicht mehr opportun. In direkter Folge beschlossen die EU-Finanzminister am Dienstag eine neue EU-weit gültige Liste an Steueroasen. Kritiker sprechen von einer Augenauswisch-Aktion, denn auf der Liste befinden sich nur Länder, die nicht Mitglied der EU sind. Laut der britischen NGO Oxfam müssten aber auch die EU-Staaten Irland, Luxemburg, die Niederlande und Malta dringend auf diese Liste.

Weitere Erleichterungen für Konzerne?

Kurz- und mittelfristig zeichnet sich hier aber keine Bewegung ab - umso mehr versuchen NGOs und Gewerkschaften, europaweit via Öffentlichkeit Druck auf die Regierungen aufzubauen. In einem zuletzt veröffentlichten Bericht, der von einem Netzwerk 19 zivilgesellschaftlicher Organisationen - in Österreich waren vor allem das Vienna Institute for Dialogue and Cooperation (VIDC) und auch die globalisierungskritische NGO ATTAC beteiligt - erstellt wurde, wird eindringlich gewarnt. Gehe der Steuersenkungswettbewerb europäischer Staaten etwa in Sachen Körperschaftsteuer weiter, würden Konzerne und Superreiche künftig noch weniger Steuern als bisher zahlen - und all das auf Kosten der Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen.

Irgendwer muss zahlen

Denn, so der einleuchtende Schluss der Autorinnen und Autoren des Artikels: Irgendjemand müsse die entstehende Lücke schließen, sprich bezahlen. Die NGOs warnen davor, dass Verbraucherinnen und Verbraucher hier zum Handkuss kommen könnten, indem Verbrauchersteuern angehoben werden. Diese würden die Ärmsten „unverhältnismäßig schwer treffen“. Der Bericht schlägt daher vor, die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer - ähnlich wie bei der Mehrwertsteuer - EU-weit zu harmonisieren.

Wenn Steuerschlupflöcher für multinationale Unternehmen geschlossen werden, würden meist zugleich neue aufgemacht. In dem Bericht „Steuerspiele: Europas Rolle bei der Aufrechterhaltung eines unfairen globalen Steuersystems“ wird festgehalten, dass die zwei weltweit größten Länder, in denen Unternehmen ihre Profite mit minimaler Besteuerung „versenken“ können, und Staaten, durch die diese Gewinne geschleust werden, EU-Staaten sind, nämlich: Luxemburg und die Niederlande.

Ruf nach Berichtspflicht für Länder

Dass Staaten fast alle Informationen, wie sie Großunternehmen besteuern, welche Vorteile und Rabatte sie ihnen etwa gewähren, geheim halten, verhindert laut dem Bericht, dass es hier je zu mehr Gerechtigkeit kommt. Das Auffliegen von Steuerskandalen sei daher von zentraler Bedeutung. Zugleich wird aber gefordert, dass die EU eine Berichtspflicht für jedes Mitgliedsland über die Kosten und den Nutzen der den Unternehmen gewährten Steuervergünstigungen einführt. Dieses öffentliche „Country-to-Contry-Reporting“ wird derzeit diskutiert, aber vom Gros der Mitgliedsländer abgelehnt.

Immerhin seien Fortschritte bei der Abschaffung anonymer Briefkastenfirmen erreicht worden, die dazu dienten, Geld zu verstecken und somit Steuern zu hinterziehen, so der Bericht.

„Überaus bedenklich“

Geheime, verbindliche Steuervorbescheide, die in den letzten Jahren laut Bericht zunahmen, müssten, so eine der weiteren Forderungen der NGOs, wieder eingedämmt werden. Kritik üben sie auch an den Doppelbesteuerungsabkommen mit Entwicklungsländern, die „überaus bedenklich“ seien. Viele Firmen entrichten offenbar ihre Steuern in einem EU-Land, weil dort der Satz deutlich billiger ist. Entwicklungsländer trifft dieser Steuerentgang aber besonders hart.

Die 21 NGOs fordern zudem, dass jedes Land ein öffentlich zugängliches Register der Eigentümer von Unternehmen und anderen Rechtsformen schaffen. Nur so könne Steuerflucht von geheimen Eigentümern verhindert werden. Der Bericht schlägt vor, das in der geplanten Überarbeitung der EU-Geldwäscherichtlinie zu regeln.

Österreich unter „Blockierern“

Der Bericht enthält für jedes untersuchte Land - unter ihnen Österreich - auch ein eigenes Kapitel. Für ATTAC ergibt sich daraus klar, dass Österreich zu den „Blockierern“ gehöre. Wien stemme sich gegen eine Berichtspflicht für Unternehmen darüber, in welchen Ländern sie wie viele Gewinne verbuchen und Steuern entrichten. Zudem sei Österreich in Sachen Briefkastenfirmen und intransparente Konstruktionen gegen öffentliche Register über wirtschaftliche Eigentümerinnen und Eigentümer. Unklar ist derzeit, ob die künftige Regierung in Sachen Steuerpolitik eine Kursänderung vornehmen wird.

Entwicklungsländer benachteiligt

Generell, betont der Steuergerechtigkeitsbericht, müssten alle Länder in zwischenstaatlichen Verhandlungen gleichberechtigt werden. Noch immer sei es aber so, dass die OECD-Staaten die Richtlinien diktierten und Entwicklungsländer diese dann übernehmen müssten. Internationale Besteuerungsverhandlungen - auch jetzt schon höchst komplex und langwierig - würden dadurch freilich wohl nicht einfacher. Unklar ist, ob die EU und vor allem die Mitgliedsländer auf den Bericht reagieren und zumindest Teile der Vorschläge übernehmen werden.

Links: