Offshore-Rock auf der Kanalinsel Jersey
Beim Durchsuchen der Paradise-Papers findet man viele Dinge, die reiche Zeitgenossen gerne vor den Steuerbehörden verstecken: Bargeld, Aktien, Flugzeuge, Schiffe, Immobilien. Und Reggae-Musik, die ihre Hörer zur Revolution aufruft. In der Tat ist „Get Up, Stand Up“ von Bob Marley Bestandteil eines umfangreichen Katalogs von Musikverlagsrechten, der noch bis 2014 einer Briefkastenfirma auf der Ärmelkanalinsel Jersey gehört hat.
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Was, so fragt man sich, hat Bob Marley auf Jersey zu suchen? Eigentlich nichts – und entsprechend hoch ist auch der durchschnittliche Unternehmenssteuersatz auf dieser Insel: Er liegt bei null Prozent.
In einer Zeit, in der man laut über Negativzinsen nachdenkt, der Aktienmarkt schon Höchststände erreicht hat und der Immobilienmarkt überhitzt ist, gewinnen alternative Anlageformen an Attraktivität. Trotz aller Umbrüche in der Musikindustrie haben die Rechte an Pop- und Jazzklassikern etwa von Sheryl Crow, Chubby Checker und Duke Ellington nichts an Attraktivität verloren.
Alternative Anlageformen gesucht
In diesem Fall geht es nicht um die Rechte an bestimmten Tonaufnahmen, die Leistungsschutzrechte, sondern um die Rechte an den Kompositionen selbst. Diese können in Katalogen gebündelt und Anteile daran wiederum an interessierte Investoren veräußert werden. Wie das funktioniert, zeigen Unterlagen aus dem Büro der Kanzlei Appleby auf Jersey, die zu den Paradise-Papers gehören.
Datenleck Paradise-Papers
Das am Sonntag unter dem Namen Paradise-Papers veröffentlichte Leck beinhaltet eine Datenmenge von 1,4 Terabyte bzw. rund 13,4 Millionen Dokumente. Diese stammen von zwei Offshore-Dienstleistern mit Sitz in Bermuda und Singapur und umfassen die Firmenbücher von insgesamt 19 Steueroasen wie Bermuda, Cayman Islands, Aruba und Bahamas. Im Fokus steht diesmal vor allem die Anwaltskanzlei Appleby mit Hauptsitz in Bermuda mitsamt dem Offshore-Dienstleister Estera. Bis 2016 agierte man gemeinsam unter dem Namen Appleby, erst im vergangenen Jahr wurde Estera ausgegliedert.
„Speziell unter institutionellen Anlegern gibt es einen wachsenden Markt für solche Musikkataloge“, so Chris Hayes von der renommierten britischen Medienmarktforschungsfirma Enders Analysis gegenüber dem Internationalen Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ). „Es geht ihnen darum, auch in Zukunft sichere Einkünfte zu haben.“ Diese Einkünfte kommen aus der Rechteverwertung, beispielsweise wenn ein Musikstück aufgeführt wird oder als Handyklingelton wieder aufersteht.
„Disco Inferno“
Auch bei längst vergessenen Hits wie „Disco Inferno“ von der Gruppe The Trammps aus dem Jahr 1976 kommt da einiges zusammen. In den Jahren 2009 und 2010 generierte das Stück Lizenzeinnahmen in Höhe von mehr als 600.000 US-Dollar (517.000 Euro). Damit war es in diesen Jahren der profitableste Song des Katalogs.
Der Besitzer dieser Sammlung an Musikrechten auf Jersey trägt den wenig hitverdächtigen Namen First State Media Works Fund I, er konnte aber Investitionen von Pensionsfonds aus den USA, Europa und Australien einsammeln. Die Firma gründete, ebenfalls auf Jersey, eine Tochterfirma namens FS Media Holding Company (Jersey) Limited, ein Investmentvehikel, das wiederum von dem irischen Musikverlag First State Media Group (Ireland) Limited (FSMG) verwaltet wurde.
„All I Wanna Do“
Der frühere Geschäftsführer der FSMG und heutige Chef der Firma Southern Crossroads Music, Steve McMellon, antwortete nicht auf Anfragen des Rechercheverbunds ICIJ. Das von McMellon gemanagte Firmenkonstrukt auf Jersey war 2007 mit dem Ziel gegründet worden, Musikrechte aufzukaufen. Im Juli 2009 erwarb es für rund 14 Millionen US-Dollar die Rechte an 153 Songs, die der US-Star Sheryl Crow zwischen 1993 und 2008 geschrieben hatte. Zu dem Paket gehörten auch die Hits „All I Wanna Do“ und „My Favorite Mistake“. Auch Sheryl Crow wollte gegenüber dem ICIJ keine Stellungnahme abgeben.

AP/Invision/Charles Sykes
Investoren-Rock: Sheryl Crow hat die Rechte an ihren größten Hits verkauft
Im April 2010 wurde die irische Gesellschaft FSMG, die den Katalog verwaltet hatte, von der britischen Medienfirma Chrysalis PLC für rund 16,8 Millionen US-Dollar aufgekauft. Der Katalog auf Jersey war in dieser Transaktion aber nicht enthalten. Chrysalis seinerseits wurde knapp ein Jahr später von der Bertelsmann Music Group (BMG) für 168,6 Millionen US-Dollar aufgekauft. BMG-Kommunikationschef Steve Redmond sagte dem ICIJ, dass der Katalog von First Media auf Jersey seinem Unternehmen ebenfalls angeboten worden sei, man aber nicht zugegriffen habe: „Wir haben nur eine Gesellschaft ‚geerbt‘, die den Katalog im Auftrag seiner Eigentümer verwaltet hat.“
„Nobody’s Home“
In der Zwischenzeit wuchs der Katalog auf rund 26.000 Titel aus den vergangenen 70 Jahren an, darunter Duke Ellingtons „Day Dream“, Avril Lavignes „Nobody’s Home“, Kelly Clarksons „Because of You“. Von 2010 bis 2012 nahm er durchschnittlich 4,6 Millionen Dollar pro Jahr an Tantiemen ein. 2013 wollten seine Eigner den Katalog verkaufen und beschrieben ihn bei dieser Gelegenheit als „eine der größeren Rechtesammlungen, die in jüngerer Zeit auf dem Markt gewesen sind“.

AP
Klassiker, die heute noch Geld generieren: Duke Ellington (l.) und Louis Armstrong
Die Buchprüfer von KPMG weisen in einem Bericht, der sich in den Paradise-Papers findet, auch auf die Steuervorteile des Katalogs hin. In der ersten Hälfte des Jahres 2012 stammten demnach 68 Prozent der an ihn bezahlten Tantiemen aus den USA. Trotzdem, so KPMG, habe der Fonds, der den Katalog kontrolliere – eine nach britischem Recht aufgesetzte Limited Partnership –, keine Steuern in Großbritannien bezahlt. Er sei auch in den USA nicht einkommenssteuerpflichtig gewesen und habe keine Quellensteuer bezahlt.
Keine Steuern auf Einkünfte
„Wir nehmen an, dass die Firma als Offshore-Struktur angelegt ist, sodass keine Steuern auf die Einkünfte des Katalogs bezahlt werden müssen“, so die Buchprüfer. Gegenüber dem ICIJ betonte das Unternehmen, dass der besagte Bericht „nicht in Zusammenhang mit Steuerthemen geschrieben worden ist, sondern als Grundlage für die Bewertung bestimmter Aktivposten für einen Geschäftsbericht diente“.
Trotz der Steuervorteile sah es zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr so gut für den Katalog aus, denn um Geld zu verdienen, muss er auch gut vermarktet werden. Schon eine Analyse der Buchhaltungsexperten von PriceWaterhouseCoopers aus dem Jahr 2011 hatte gezeigt, dass sich der Wert des Katalogs von 2009 (153 Mio. US-Dollar) auf 2010 (75 Mio. US-Dollar) halbiert hatte. Die KPMG-Analyse aus dem Jahr 2013 bestätigte den Wertverfall, ihre Autoren wiesen darauf hin, dass vor allem das Material von Sheryl Crow nicht mehr so gefragt war und im Jahresvergleich 24 Prozent weniger Tantiemen einfahren konnte.
Eigentümerwechsel und Crash
„Eigentümerwechsel über die vergangenen drei Jahre haben dazu geführt, dass der Katalog nicht mehr ausreichend gut vermarktet wurde, und daher sind die darin enthaltenen Rechte nicht mehr gut ausgebeutet worden“, hieß es in einem Vorwort aus dem Jahr 2013, mit dem neue Investoren angelockt werden sollten.
Die Paradise-Papers zeigen, dass der Fonds sich auch schwer damit tat, 19 Millionen US-Dollar zurückzuzahlen, die er sich 2009 von der Royal Bank of Scotland geliehen hatte. 2014 wurde der Katalog schließlich an den unabhängigen New Yorker Musikverlag Reservoir Media Management Inc. verkauft, der seinerseits in der US-Steueroase Delaware registriert ist – für 38 Millionen US-Dollar. Er hatte also in fünf Jahren gut drei Viertel seines Werts verloren.
Links:
Cecile S. Gallego, ICIJ, Günter Hack, ORF.at (Bearbeitung)