„Dann wäre ich jetzt in der Schule“
Im südlichen Afrika stürzt der Klimawandel immer mehr Bauern und ihre Familien in extreme Armut. In Malawi und Mosambik hat die Zahl der Naturkatastrophen in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Wenn aber die Ernten ausbleiben und nicht mehr genug Essen auf den Tisch kommt, sind es oft die Töchter, die die Familien als Erste verlassen müssen.
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„Wenn sich das Klima nicht geändert hätte, dann wäre ich jetzt in der Schule. Ich muss akzeptieren, dass meine Eltern ihr Bestes getan haben, aber wegen des Klimawandels gescheitert sind“, fasst Agnes Mposwa, die im Bezirk Machinga im Süden Malawis lebt, ihre eigene Erfahrung zusammen. Sie heiratete mit 14 Jahren und hat mittlerweile eine vier Monate alte Tochter. Ihre Eltern sind Tabakbauern, 2015 zerstörten heftige Regenfälle ihre Felder. Deren Einkommen brach weg, und sie konnten Agnes nicht länger versorgen. In der Hoffnung auf eine gesicherte Zukunft heiratete Agnes.

Gethin Chamberlain
Agnes Mposwa mit ihrer kleinen Tochter im Tragetuch
Heiraten als Überlebensstrategie
„Kinderheirat ist eine Bewältigungsstrategie im Umgang mit dem Klimawandel”, sagte Gibson Mphepo von der Denkfabrik LEAD Southern & Eastern Africa. Er sieht einen klaren Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und Kinderheirat. „Mehr als 90 Prozent des Einkommens in Malawi kommen aus der Landwirtschaft. Wenn die Ernten beeinträchtigt sind, fehlt es den Haushalten am nötigen Geld, um ihre Kinder in die Schule zu schicken. Das sind dann die Fälle, wo die Mädchen früh verheiratet werden, um den Haushalt zu verkleinern.”
Organisationen, die sich für Frauen- und Kinderrechte in Malawi einsetzen, beobachten diese Entwicklungen seit einigen Jahren. „Wir hatten jetzt in zwei aufeinanderfolgenden Jahren schwere Dürren und Überschwemmungen. Gerade in den betroffenen Gebieten haben wir viele Kinder, die verheiratet werden, weil sie nicht mehr versorgt werden können“, so MacBain Mkandawire, Direktor der Frauen- und Jugendorganisation YONECO.
Ein Zusammenhang, den keiner sehen will
Er kritisiert, dass die Bedeutung des Klimawandels für die steigende Armut der Bevölkerung und die Zahl der Kinderehen bisher vernachlässigt wurde, sowohl von afrikanischen Regierungen als auch durch die Geberländer. „Ich schätze, wir sprechen über etwa 1,5 Millionen Mädchen alleine in Malawi, die aufgrund des Klimawandels gefährdet sind, früh zu heiraten. Eine riesige Zahl,” warnte Mkandawire.
Wetterextreme werden häufiger
Sowohl in Malawi als auch im südlichen Nachbarland Mosambik treten Wetterextreme immer häufiger auf. Die Trockenzeit wird länger, gleichzeitig verkürzt sich die Regenzeit um bis zu zwei Monate. Der Niederschlag wird dabei unberechenbarer und sorgt für großflächige Überschwemmungen. Wer es dennoch schafft, Nutzpflanzen auszusäen, kann sie nach wenigen Wochen verlieren, wenn der Boden nach den kurzen, heftigen Regenfällen schnell wieder austrocknet.
Dem Wetter ausgeliefert
Die ganz große Mehrheit der Bevölkerung in Malawi und Mosambik lebt von der Landwirtschaft. Dürren und sintflutartige Regenfälle stürzen die Menschen in eine Existenzkrise.
Erst 2015 haben die schwersten Überschwemmungen in der Geschichte Malawis große Teile des Landes unter Wasser gesetzt. Darauf folgte 2016 eine große Dürre. Fast acht Millionen Menschen waren von Hunger bedroht, das entspricht knapp der Hälfte der malawischen Bevölkerung.
Mosambik wurde zwischen 2000 und 2012 von insgesamt elf Zyklonen getroffen. Darauf folgten Überschwemmungen in drei aufeinanderfolgenden Jahren. Laut einem Bericht des UNO-Kinderhilfswerks (UNICEF) vom Juni 2017 sind rund 1,5 Millionen Menschen in Mosambik durch eine vom Wetterphänomen „El Nino“ ausgelöste Dürre betroffen.
Das Essen reichte nicht mehr
Juan Mussa ist Bauer und Fischer in der Provinz Nampula im Norden von Mosambik. In den vergangenen Jahren machte das Wetter immer mehr Probleme, auf Fluten folgten Dürren, und die Produktion stürzte vollkommen ab. Er entschied sich daher, seine älteste Tochter mit 15 Jahren zu verheiraten. „Ich hätte nie gedacht, dass ich meine Tochter so jung verheiraten würde”, so Mussa. Aber das Essen reichte einfach nicht.

Gethin Chamberlain
Fatima mit Ehemann Priorino
Mittlerweile ist seine Tochter Fatima 16 und hochschwanger. „Als mein Vater mir gesagt hat, dass ich heiraten muss, wollte ich nicht. Aber ich habe seine Beweggründe verstanden.” Sie habe überlegt, wegzulaufen, um der Heirat zu entgehen. Doch sie habe nicht gewusst, wohin, denn außerhalb ihres Dorfes hat Fatima keine Verwandten. Sie sei immer noch nicht glücklich mit der Ehe, doch sie hoffe, dass es in Zukunft besser wird, so Fatima. Dazu kommt, dass sich die Situation der Familie auch nach der Hochzeit nicht verbesserte. Denn auch Fatimas junger Mann ist Bauer und Fischer und kämpft mit den klimatischen Veränderungen.
Warnung vor Explosion der Kinderehen
Kinderheirat ist kein neues Phänomen. Der UNO-Bevölkerungsfonds schätzte alleine für das Jahr 2015, dass weltweit 13,5 Millionen Kinder und Jugendliche vor ihrem 18. Geburtstag geheiratet haben. In vielen afrikanischen Ländern entstanden in den vergangenen Jahren viele Initiativen und Programme, um insbesondere Mädchen vor frühen Ehen zu schützen. Auch Regierungen werden sich des Problems zunehmend bewusst. In Malawi ist eine Heirat unter 18 seit 2015 verboten.
Trotzdem heiraten in Malawi laut UNICEF 46 Prozent der Frauen vor ihrem 18. Geburtstag, in Mosambik sind es 48 Prozent. Experten gehen von einer noch deutlich höheren Zahl aus, da viele Ehen im ländlichen Raum nie offiziell registriert werden.
Kein Geld für die Schule
Eltern sehen sich oft wirtschaftlich gezwungen, ihre Töchter noch als Kinder zu verheiraten. Das nötige Geld für die Schule fehlt erst recht.
In einem Bericht aus dem Jahr 2015 warnt UNICEF, dass die Zahl der Mädchen, die als Kinder oder Jugendliche heiraten, bis 2050 mehr als 310 Millionen erreichen könnte, sollten die aktuellen Entwicklungen anhalten. Das wäre mehr als eine Verdoppelung der aktuellen Zahlen.
70 Prozent unter der Armutsgrenze
Als Gründe für eine frühe Heirat werden von den Eltern neben Tradition auch immer wieder die beginnende Pubertät, die damit aufkommende sexuelle Aktivität und das Risiko einer Schwangerschaft genannt. Aber es ist vor allem die Armut, die sie drängt, ihre Kinder früh zu verheiraten. In Mosambik leben 70 Prozent der rund 26 Millionen Einwohner laut UNO unter der Armutsgrenze, 44 Prozent leben in extremer Armut. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt für Malawi, dass knapp 70 Prozent der 17 Millionen Einwohner unter der Armutsgrenze leben und 25 Prozent in extremer Armut.
„Brides of the Sun“
Das Rechercheprojekt über den Zusammenhang von Klimawandel und Kinderehe, das Miriam Beller (ORF) gemeinsam mit dem britischen Journalisten Gethin Chamberlain und Maria Udrescu („La Libre Belgique“) durchführte, wurde vom unabhängigen European Journalism Centre gefördert.
Armut beherrscht alles
Auch Amos Mtonya, Experte des malawischen Wetterdienstes für den Umgang mit dem Klimawandel, sieht die durch den Klimawandel verstärkte Armut als zentrales Problem. Denn dadurch werde der „Druck“ auf die Gesellschaft und die Menschen erhöht. Für manche Familien könne es daher „eine Erleichterung sein, eine Tochter wegzugeben. Auch für die Familie des Ehemannes kann es von Vorteil sein, denn die junge Frau wird als Unterstützung im Haushalt angesehen.“ Natürlich spiele Tradition eine Rolle - aber es sei der Klimawandel, der junge Menschen dazu veranlasse, früh zu heiraten, so Mtonya.
Früher hoffte die 15-jährige Agnes Mposwa noch, dass sie nach der Heirat die Schule weiter besuchen kann. Doch diese Hoffnung wurde schnell enttäuscht. Die Zukunft ihrer vier Monate alten Tochter soll anders aussehen. „Sie soll nicht heiraten, bevor sie nicht 20 Jahre alt ist“, betonte Agnes.
Links:
Miriam Beller in Kooperation mit Gethin Chamberlain und Maria Udrescu, für ORF.at, Guido Tiefenthaler und Dominique Hammer, ORF.at (Bearbeitung)