Themenüberblick

Eine Drecksau auf Abwegen

Die ORF-Landkrimis waren ein Erfolg - und nun folgen ab Ende Dezember die Stadtkomödien im Fernsehen. Schon vorher läuft einer dieser Filme österreichweit im Kino an, nachdem er in Kärnten bereits einen fulminanten Start mit 15.000 verkauften Tickets hingelegt hat.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

„Harri Pinter, Drecksau“, heißt der Film, und dass er in Kärnten zuerst gelaufen ist, hat einen handfesten Grund. Wie die Landkrimis sind auch die Stadtkomödien jeweils einem Bundesland bzw. einer Stadt zugeordnet. Und der Film spielt unüberhörbar in Kärnten. Kurz ist man erstaunt, als Andreas Lust (großartig in einer Nebenrolle), dessen lakonisches Wiener Idiom aus „Schnell ermittelt“ bekannt ist, in breitem Kärntnerisch loslegt.

Das meistgebrauchte Wort des Films: Tocker. Oder Togga? Jedenfalls muss es so etwas wie Depp, Trottel oder Koffer heißen, kann bösartig, aber auch liebevoll verwendet werden. Und Tocker scheint es viele zu geben rund um den Klagenfurter Eishockeyclub KAC, rund um den sich alles dreht in „Harri Pinter“, in dessen Titelrolle Jürgen Maurer („Vorstadtweiber“, „Das Wunder von Kärnten“) zu sehen ist.

Filmszene aus "Harri Pinter, Drecksau"

ORF/Graf Film/Petro Domenigg

Hosea Ratschiller, Jürgen Maurer und Andreas Lust

Bissfeste Action

Harri war in den 80ern einer der Stars des KAC. „Drecksau“ war sein Spitzname, gefürchtet seine knapp an der Grenze zum Verbrechen schrammenden Bodychecks und legendär seine Ausraster, etwa als er einmal einem Gegner auf dem Parklplatz ins Ohr gebissen hat. „Hod gschmeckt wia a Gummibärli“, sagt er im KAC-Vereinsbeisl, in dem er und seine alten Kollegen einander allabendlich bei ein paar Bieren und ein paar Wodkas die Heldentaten von damals erzählen.

Harris Schmäh bezieht sich ganz auf damals. Der „Pinter-Harri“ zu sein, auf den „neun von zehn Weibern“ in jeder Provinzdisco abfahren, das prägt sein Selbstbild. Aber wie so oft ist es auch beim Pinter-Harri so, dass man vorsichtig damit sein sollte, auf den eigenen Schmäh reinzufallen, vor allem wenn der auf tönernen Füßen steht. Harri ist KAC-Jugendtrainer und nebenher Fahrlehrer, ständig bei seiner Lebensgefährtin Ines in der Kreide und abends öfter besoffen als nüchtern. Ein Großmaul, das heiße Luft produziert.

Das alte „cool“ sieht alt aus

Die Zeiten ändern sich, nur Harri hat das leider nicht mitbekommen. Einmal zu oft hat er Ines („Soko Kitzbühel“-Kommissarin Julia Cencig, ebenfalls grandios), versetzt, noch dazu am Tag des Beziehungsjubiläums, weil er sich von seinen Saufkumpanen nicht loseisen konnte. Also fängt sie ein Pantscherl mit ihrem Professor an, bei dem sie als Spätberufene Psychologie studiert. Harri kann es nicht fassen. Ihm, der legendären „Drecksau“, setzt ein „Weib“ Hörner auf, wo er doch noch immer der Coolste ist in seinen Cowboystiefeln, mit seiner Lederjacke und seinen flotten Sprüchen.

Das Entsetzen vieler, vor allem älterer Männer über die „#Metoo“-Debatte, so scheint es, rührt genau da her: Ein ganzer Typus Mann verliert seinen Coolnessfaktor. „Flotte Sprüche“, „heiße Eisen“, „Lederjacken“, „Cowboyboots“ - kein Hahn kräht mehr danach, und schon gar keine Henne. Untergehen als genervt belächeltes Faktotum oder der radikale Wandel, mehr Optionen gibt es nicht. Harri steuert stur auf Ersteres zu.

Macho-Raupe, emanzipierter Schmetterling

Dabei tut er nicht nur seiner Umgebung Gewalt an, sondern vor allem sich selbst, weil er eigentlich ein ganz ein Lieber ist unter der Drecksau-Schale. Die Lebensgefährtin ist weg, vom KAC droht ihm der Rauswurf, und der beste Anmachspruch funktioniert auch nicht mehr in der Disco: „Ein Satz, in dem Kärnten vorkommt? Wem kärnten die?“ Auf Hochdeutsch: „Wem gehören denn die?“ Plus angedeuteter Busengrapsch-Geste. Sie verdreht die Augen und geht.

Irgendwann kapiert sogar Harri, dass er sich ändern muss. Aber wie? Bis er die Antwort darauf gefunden hat, lacht man im Publikum Tränen - und weint als neuer, gefühlsbetonter Mann herzhaft ob dem Wachstumsschmerz der leidenden Raupe Harri, die sich gar so schwer tut, zum emanzipierten, empathischen Schmetterling zu werden. Neben dem Drehbuch überzeugt auch Jürgen Maurer auf voller Länge. Der Film kann sich sehen lassen im Kino, nicht nur, aber vor allem angesichts aktueller Geschlechterrollen-Konkurrenz der Marke „Anna Fucking Molnar“.

„Extrascharfe“ Stadtkomödien

Obwohl das mit dem Kino eigentlich der Sonderweg ist, weil die Stadtkomödien Stoff fürs Fernsehen sind. Als erste wird nicht „Harri Pinter, Drecksau“ ausgestrahlt, sondern die steirische „Notlüge“ (23. Dezember), der bei der Diagonale in Graz heuer ebenfalls bereits für Kino-Furore sorgte und Josef Hader samt Pia Hierzegger beim Herumkämpfen mit dem familiären Patchworken zeigt.

Das österreichisch-türkische Miteinander wird zum Mittelpunkt der beiden Wiener Filme: Deniz Cooper und Katharina Straßer glauben an einen „Herrgott für Anfänger“ (30. Dezember), während Andreas Vitasek und Tim Seyfi „Kebab extrascharf“ (6. Jänner; Dacapo von „Kebab mit Alles“ am 5. Jänner) servieren.

Link: