Hauptverantwortliche verurteilt
Vor fast einem Vierteljahrhundert hat das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) in Den Haag seine Arbeit aufgenommen. Glaubte zu Beginn kaum jemand an den Erfolg, konnte das Gericht letztlich viele Hauptverantwortliche der Gräueltaten in den Balkan-Kriegen zur Rechenschaft ziehen. Am Mittwoch spricht das Gericht sein letztes Urteil.
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Wegen schwerster Verbrechen im Bosnien-Krieg (1992-1995) drohen dem damaligen politischen Chef der bosnischen Kroaten, Jadranko Prlic, und fünf hohen Offizieren Haftstrafen von bis zu 25 Jahren. Den Angeklagten war angelastet worden, zwischen Jänner 1993 und April 1994 Muslime und Serben vom Gebiet Bosniens, das sie an Kroatien anschließen wollten, vertreiben zu wollen.
Besondere Brisanz für Kroatien
Laut Anklage soll das „gemeinsame, verbrecherische Vorhaben“ unter Führung von Franjo Tudjman gestanden sein. Der ehemalige kroatische Präsident starb 1999 im Alter von 77 Jahren. Damit hat das Urteil auch besondere Brisanz für die Republik Kroatien, die heute EU-Mitglied ist. Die Richter hatten bereits 2013 in erster Instanz eine Mitschuld Tudjmans festgestellt. Sollte das bestätigt werden, könnten Entschädigungsforderungen auf Kroatien zukommen.
Tudjman und sein serbischer Amtskollege Slobodan Milosevic sollen bei einem Geheimtreffen in Karadjordjevo westlich von Belgrad bereits im Jahr 1991 die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zwischen Serbien und Kroatien besprochen haben. Der 1999 verstorbene Tudjman wurde selbst vom UNO-Gericht nie angeklagt, wenngleich es Ermittlungen gegen ihn gegeben haben soll.
Mit niedrigen Erwartungen gestartet
Milosevic musste sich dagegen selbst vor dem Haager Gericht verantworten. Zu einem Urteil kam es zwar nicht: Der ehemalige Präsident Restjugoslawiens starb 2006 an Herzversagen in seiner Zelle. In vielen anderen Fällen schrieb das Tribunal aber Rechtsgeschichte. Dabei stand das Gericht zu Beginn unter alles anderem als einem guten Stern.
Als es 1993 eingerichtet wurde, galt das Tribunal als nicht viel mehr als eine leere politische Geste. Im Krieg in Bosnien-Herzegowina hatte die UNO das Blutvergießen weder verhindern noch stoppen können. Der Völkermord von Srebrenica im Juli 1995 gilt als das schlimmste Verbrechen auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch Jahre später lagen die Erwartungen niedrig. „Noch bei meinem Amtsantritt 2008 glaubte niemand, dass wir Karadzic oder Mladic bekommen würden“, sagte der Chefankläger Serge Brammertz gegenüber der dpa.
Karadzic und Mladic verurteilt
Allerdings: Noch im selben Jahr wurde Ex-Serbenführer Radovan Karadzic nach Den Haag ausgeliefert. Acht Jahre später verurteilte ihn das Tribunal für den Völkermord von Srebrenica zu 40 Jahren Gefängnis. Der damalige Armeechef des bosnischen Serben, Ratko Mladic, wurde 2011 festgenommen. Erst vergangene Woche verhängten die Richter in Den Haag gegen ihn eine lebenslange Haftstrafe.
Inzwischen ist die Fahndungsliste des UNO-Gerichts leer, die Fälle sind alle abgearbeitet. 84 Personen wurden insgesamt verurteilt, darunter die militärisch und politisch Verantwortlichen der schlimmsten Verbrechen. Das war auch der Auftrag des Tribunals: diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, „die für die Verbrechen militärisch oder politisch die höchste Verantwortung tragen“. Das Tribunal „hat das internationale Strafrecht verändert“, sagte Brammertz.
Laut dem Chefankläger haben die Gerichtsverfahren die Verantwortlichkeit für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen entscheidend (neu) definiert. Als besonderes Verdienst des Tribunals gilt für Brammertz, dass auch Sexualgewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt wurde. „Vergewaltigungen wurden früher als eine Art Kollateralschaden des Krieges hingenommen. Damit hat das Tribunal Schluss gemacht.“ Bei fast drei Viertel der Verbrechen ging es auch um sexuelle Gewalt.
Angehörige: "Kampf für Gerechtigkeit fortsetzen
Für viele Angehörige der Gewaltopfer gingen die Verurteilungen freilich nicht weit genug. Auch nach dem Urteil gegen Mladic zeigten sich Mütter der bei dem Srebrenica-Massaker Getöteten enttäuscht. „Die Opfer können nie befriedigt werden“, stellte Munira Subasic, Leiterin des Verbandes „Mütter von Srebrenica“, nach der Verurteilung fest. Sie kündigte gegenüber bosnischen Medien an, ihren „Kampf für Gerechtigkeit“ fortzusetzen.
Schwierige Aufarbeitung auf Balkan
Bei allen Erfolgen muss sich das Tribunal vor allem einen Punkt vorwerfen lassen: Es hat sich in erster Linie auf die Hauptschuldigen konzentriert. Nicht nur in Serbien, auch in Bosnien, Kroatien und Montenegro blieben viele Kriegsverbrecher bisher unbehelligt. Und in vielen Fällen hat die nationale und lokale Politik augenscheinlich auch gar kein Interesse an einer weiteren Aufarbeitung. In Serbien wird Mladic von vielen immer noch als Held verehrt.
Erst am Dienstag kündigte die Domkirche von Mostar an, eine Messe für die sechs bosnischen Kroaten abzuhalten, gegen die am Mittwoch das Urteil ergehen soll. Das sorgte allerdings auch unter bosnischen Kroaten für Kritik. Von „Glaubensverrat“ sprach Mile Babic, Professor an der Theologischen Fakultät der Franziskaner in Sarajevo. Es gelte vielmehr der Opfer zu gedenken. Der Vikar der Kathedrale in Mostar erwiderte, man werde in der Messe nur um ein gerechtes Urteil beten. Er selbst werde aber auch für einen Freispruch beten, fügte der Geistliche hinzu.
„Kein Urteil eines Richters kann Versöhnung bewerkstelligen“, sagte Chefankläger Brammertz zu der schwierigen Aufarbeitung der Geschehnisse auf dem Balkan. Versöhnung müsse aus den Gemeinschaften kommen. „Und wenn ich die Politiker sehe im früheren Jugoslawien, dann bin ich nicht sehr optimistisch“, so Brammertz.
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