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Der neue Wiener „Ring“

Das Prinzip des Remix ist ja nicht erst im digitalen Zeitalter eine Möglichkeit, sich an dem ganz großen Material abzuarbeiten - oder Teile davon in Verfremdungen neu erlebbar zu machen. Wenn nun das Theater an der Wien als Opernhaus, das sehr auf den Zusatz „neu“ Wert legt, Richard Wagners monumentalen „Ring“ in ein sehr enges Bühnensetting zwingt, dann ist tatsächlich kreativer Mut gefragt.

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Unter den Titeln „Hagen“, „Siegfried“ und „Brünnhilde“ werden Szene und Akte des vierteiligen Rings in eine neue Trilogie geschachtelt. Kein Takt und keine Szene werde verändert, so das Versprechen der Macher und Macherinnen des neuen Wiener „Rings“, den das ORF Radio-Symphonieorchester Wien in einer speziellen Fassung umsetzen wird.

Eher wird die Kruste des Wälsungenbluts aufgebrochen, um die Grundkonflikte hinter Wagners epochalem Machwerk freizulegen. Man könnte auch sagen: Ein bisschen muss Wagner auf jene Couch, die er sich lange vor der Psychoanalyse selbst angelegt hatte. Und dass die Psychoanalyse des „Rings“ just am Theater an der Wien stattfindet, hat selbst in einer historisch-kritischen Betrachtung seine Berechtigung, spielte Wagner doch den Wienern unter seinem eigenen Dirigat Teile des „Rings“ bereits im Winter 1863/64 vor.

„Ring-Trilogie“ im Theater an der Wien

Mit der „Ring-Trilogie“ feiert am Freitag eine adaptierte und auf neun Stunden gekürzte Neufassung von Wagners Mammutwerk im Theater an der Wien Premiere.

Das Jahr der „deutschen Oper“

Roland Geyer als Direktor des Theaters an der Wien hat dieses historische Konzert bereits auf die Bühne gebracht - und wenn er nun in einer Saison „die“ drei großen „deutschen Opern“ aus drei Jahrhunderten, „Die Zauberflöte“, den „Ring“ und den „Wozzeck“ auf die Bühne bringt, so stellt er spätestens mit dem „Ring“ die Möglichkeiten des ihm anvertrauten Theaters auf eine große Probe.

In voller Orchestrierung lässt sich der Ring nicht ins Haus an der linken Wienzeile bringen (es sei denn, man reduzierte das Parkett um die Hälfte und ließe die Bläser und Schlagwerker dann in voller Besetzung gegen die Wand fahren). Und ein „Best of“ des „Rings“ mit kleinem Konzertbesteck, sozusagen die „Actionszenen“ der Tetralogie, blieben auch nur Stückwerk.

Grafik zum Stammbaum von Wagners Nibelungen

ORF.at

Wie kompliziert die Beziehungen bei Richard Wagner sind, sieht man am besten, wenn man sie aufzeichnet - und ein Herz malt, etwa zwischen die Geschwister Siegmund und Sieglinde

Der Auftrag

Regisseurin Tatjana Gürbaca, die bereits eine Oper am Theater an der Wien realisiert hat, und die Salzburger-Festspiel-erprobte Dramaturgin Bettina Auer (sie hat Shirin Neshats Slow-Motion-„Aida“ heuer in Salzburg auf die Bühne gesetzt) haben gemeinsam mit dem Dirigenten Constantin Trinks einen großen Kunstgriff gewagt: die Tetralogie neu zu sortieren, nie in die Struktur der Szenen, auch nicht der Takte der Musik einzugreifen. Aber eine neue Lesart und Perspektivierung des „Ring“-Materials zu ermöglichen.

Das erinnert ein bisschen an eine Mischung aus einer Heiner-Müller’schen Materialbegehung und einer geisteswissenschaftlichen Doktorarbeit, mit Schwerpunkt auf der Erzähltheorie; macht aber aus vier Abenden zu gesamt 15 Stunden (exklusive Pausen) drei Abende zu insgesamt neun Stunden.

Der „Ring“ aus der Sicht der Nachkommen

Der neue Wiener „Ring“ wird an drei Abenden aus der Perspektive der „Kinder“ neu gedeutet, die letztlich als Menschen die Schicksalsverflechtungen und Aufträge der Eltern-Götter (um nicht zu sagen: Götter-Eltern) ausführen müssen. Sie sind Täter, Opfer und letztlich auch gespalten zwischen allen Rollen, die man als Kind einnimmt. Nicht zuletzt suchen sie aber einen Sinn, ja die Wurzel für ihr Tun und ihre Handlungen. Hagen, Siegfried und Brünnhilde sind die Leitgestalten der Wiener „Ring“-Erzählung - und sie sind damit namensgebend für drei Abende, die mit dem „Hagen“-Abend am 1. Dezember starten werden.

Roland Geyer, Intendant des Theaters an der Wien und das künstlerische Team der Ring Produktion

Theater an der Wien

Tu Neues und rede darüber: Theater-an-der-Wien-Chef Roland Geyer bei der Präsentation des „Ring“-Projekts im Theater an der Wien mit dem künstlerischen Team der Produktion. Von links: Karin Bohnert (T.a.d.W.-Chefdramaturgin), Barbara Auer (Dramaturgin), Tatjana Gürbaca (Regie), Constantin Trinks (musikalische Leitung). Ganze Einführungsmatinee auf YouTube.

Jeder Abend geht mit dem stumm umgesetzten Mord an Siegfried los. Zunächst erlebt Hagen, der Sohn Alberichs, seinen Auftrag, die Verstrickung zur Tat, ja die Unausweichlichkeit seiner Handlungen. Siegfried am zweiten Abend ist der Suchende, der zunächst einmal wissen will, wer hinter seinem Adoptivvater Mime seine tatsächlichen Eltern sind. Die Erkenntnis, die er dabei machen wird, führt ihn ja bekanntlich abseits der bürgerlichen Konventionspfade, bedenkt man den Inzest seiner leiblichen Eltern Siegmund und Sieglinde. „Brünnhilde“ wiederum ist der breiteste Spagat in der Ausdeutung des „Rings“.

„Erzählen im Krebsgang“

Regisseurin Tatjana Gürbaca erläutert die Motive, für Wien eine Trilogie aus Wagners „Ring“ zu machen - und wie man das Material ohne radikale Eingriffe neu sortieren kann.

Ein Finale mit der „Götterdämmerung“

Die oft unsichtbare Frau oszilliert zwischen der Täter- und der Opferrolle, in ihr überkreuzen sich auch alle Emotionen aufs Dichteste. Erst am dritten Abend, so viel darf man ja verraten, wird Siegfried auch zur Musik sterben dürfen - und im Finale gibt es den dritten Akt der „Götterdämmerung“ in aller abgründigen Pracht und ohne szenische Umschachtelungen.

Wer dieser Interpretation des Rings folgen will, hat zwei Optionen: sich durch das Wagner-Material treiben zu lassen - oder sich auf die eigene Ring-Sattelfestigkeit prüfen zu lassen. Die Genealogie mit dabei zu haben schadet bei dieser modernen Erzählform des Rings auf keinen Fall.

Regisseurin Gürbaca nennt vor allem die Perspektive der Kinder und die damit einhergehende „Erzählhaltung“ als einen der Antriebe ihres „Ring“-Projekts. „Das System des Erzählens ist eine Art von Geschichtsentwicklung im Krebsgang“, so die Regisseurin. „Die Figuren schauen immer nach hinten und müssen das, was sie erlebt haben, bewerten, bevor sie sich weiter nach vorne in ihrer Geschichte bewegen können“, so Gürbaca. Das sei eine sehr moderne Form des Erzählens, der sie mit ihrer Ordnung des Materials folgen habe wollen.

Die Besonderheit der „Abbass-Fassung“

Mit Spannung dürfen eingefleischte und modernisierungswillige Wagnerianer und Wagnerianerinnen die musikalische Fassung der Abende erwarten, handelt es sich mit der so genannten „Abbass-Fassung“, die der musikalische Leiter des Abends, Trinks, gemeinsam mit dem RSO Wien erarbeitet hat, um eine reduzierte Orchestrierung, die die Zahl der Hörner, Harfen und Schlagwerke deutlich senkt, den Anteil der Streicher aber unverändert lässt.

Hinweis

Die „Ring“-Trilogie läuft ab 1.12. den ganzen Dezember am Theater an der Wien. Ö1 sendet alle drei Produktionen.

  • 8.12., 19.30 Uhr: „Hagen“
  • 9.12., 19.30 Uhr: „Siegfried“
  • 10.12., 19.30 Uhr: „Brünnhilde“

ORF III zeigt am 7. Jänner ab 14.00 Uhr alle drei Werke.

Hintergrund dieser Fassung ist die Aufführung des „Rings“ im Sächsischen Schlosstheater Coburg-Gotha im Jahr 1905, für die der Bratschist der Meininger Hofkappelle, Alfons Abbas, eine Orchestrierung für 60 Musiker geschaffen hatte, um den „Ring“ auch an einem kleineren Theater rausbringen zu können.

Für die Inszenierung am Theater an der Wien könnte das einen besonderen Reiz ausmachen, können sich die Sängerinnen und Sänger der Partien durchaus mehr auf die Nuancierung und Klarheit ihrer Rolle gegen die bei Wagner doch immer wieder nötigen Forcierungstendenzen im Wechselspiel Gesang - Orchester konzentrieren. Man sollte sich demgemäß nicht auf einen entzauberten „Ring“ einstellen, eher auf eine Interpretation, der die Suche und das Motiv des Verstehen-Wollens von Zusammenhängen in den Vordergrund rückt. Auf die Reaktionen des Publikums darf man schon jetzt gespannt sein.

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