„In die Tasche greifen lassen wir uns nicht“
Seit rund vier Wochen verhandeln ÖVP und FPÖ hinter verschlossenen Türen über eine neue Regierung. Wenig Konkretes ist bekannt, viele Pläne werden derzeit kolportiert. Aus den Bundesländern formiert sich Widerstand gegen einige der kolportierten bzw. bereits angekündigten Eckpunkte im angestrebten Koalitionspakt.
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So hatten ÖVP und FPÖ bereits im Wahlkampf klargemacht, dass es künftig weniger Sozialversicherungsträger geben soll. Dem Vernehmen nach sollen die beiden Koalitionsverhandler sich bereits darauf verständigt haben, dass die Krankenkassen innerhalb von zwei Legislaturperioden zusammengelegt werden. Davor gelte es, die Kassenleistungen zu vereinheitlichen, heißt es. Auch über die Übernahme der Landesspitäler in Bundeshand soll bereits gesprochen worden sein.
Wallner: „Rote Linie“
Der Chef der Landeshauptleutekonferenz, Markus Wallner (ÖVP), forderte diese Woche die Beibehaltung der neun Gebietskrankenkassen. Das sei eine rote Linie, so der Vorarlberger Landeshauptmann in den „Vorarlberger Nachrichten“ (Dienstag-Ausgabe). Für Wallner muss bei einer Reform der Sozialversicherungsträger die Finanz- und Planungssicherheit für die Bundesländer erhalten bleiben. „In die Tasche greifen lassen wir uns sicher nicht.“

APA/Dietmar Stiplovsek
Vorarlbergs Landeshauptmann Wallner fordert Beibehaltung der Gebietskrankenkassen
Dennoch sieht Wallner - abseits der Gebietskrankenkassen - Möglichkeiten für Reformen: Konkret nannte er die bereits weit fortgeschrittene Leistungsharmonisierung und die Bündelung der Kompetenzen. Laut VGKK-Obmann Manfred Brunner würde ein „zentraler Sozialversicherungsmoloch“ jahrelang Ressourcen bündeln und käme schlussendlich nicht billiger. Auch nach Ansicht des Generaldirektors der Versicherungsanstalt für Eisenbahn und Bergbau, Kurt Völkl, ist mit einer Zusammenlegung kein „schnelles Geld“ zu machen.
Steirischer Landesrat „verwundert“
Auch die Gesundheitsreferenten der Bundesländer sprachen sich am Dienstag klar gegen die kolportierte Zentralisierung aus. Es benötige starker Systempartner vor Ort, sagten Christian Bernhard (Vorarlberg, ÖVP), Beate Prettner (Kärnten, SPÖ), Bernhard Tilg (Tirol, ÖVP) und Christian Stöckl (Salzburg, ÖVP). Sie sprachen sich aber für die Harmonisierung von Leistungen sowie Zusammenlegungen im Verwaltungsbereich aus. Die Entscheidungsbefugnis müsse aber bei den Kassen in den Ländern bleiben.
Einig waren sich die Gesundheitsreferenten auch darüber, dass die Landeskrankenhäuser in der Hand der Länder verbleiben sollen. „Verwundert“ zeigte sich der steirische Gesundheitslandesrat Christopher Drexler (ÖVP). Man brauche zwar „kompetente und entscheidungsfähige Ansprechpartner vor Ort“, man könne aber über „teilautonome Einheiten“ oder „regionale Cluster“ diskutieren - mehr dazu in steiermark.ORF.at.
Knackpunkt Mindestsicherung
Ein anderer Streitpunkt mit den Ländern könnte die Mindestsicherung werden. Da sich die Politik im Vorjahr auf keine neue bundesweite Regelung einigen konnte, sind seit heuer die Länder allein für die Mindestsicherung zuständig. Die Koalitionsverhandler verkündeten am Freitag Restriktionen, die Mindestsicherung soll für Familien in ganz Österreich einheitlich gedeckelt werden. Eine bestimmte Summe nannten sie bisher aber noch nicht.
Paragraf 12
Der Paragraf 12 der Bundesverfassung legt die Grundsatzgesetzgebung durch den Bund fest und überlässt die Ausführungsgesetzgebung den Ländern.
Für Asylberechtigte ist eine „Mindestsicherung light“ mit weniger Geld- und mehr Sachleistungen geplant. Hier wolle man, um Einheitlichkeit herzustellen, auch mit einem Grundsatzgesetz arbeiten: Gemäß Verfassungsartikel 12 der Bundesverfassung kann der Bund das Armenwesen per Grundsatzgesetz regeln, die Länder erlassen dann die nötigen Ausführungsgesetze.
Wien will sich wehren
Die Möglichkeit, großzügigeren Ländern wie Vorarlberg und Wien Kürzungen vorzuschreiben, stößt in Wien auf Widerstand. Sollten tatsächlich strengere Regeln vom Bund vorgeschrieben werden, dann müsse Wien „dagegenhalten“, sagte Wiens Sozialstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ). Andreas Schieder, neuer SPÖ-Kandidat für den Bürgermeisterposten in Wien, kann sich auch vorstellen, vor den Verfassungsgerichtshof zu ziehen, sollte die Regelung „ganz schrecklich“ sein.
Die Linzer SPÖ scherte derweil aus der Parteilinie aus und forderte am Dienstag statt der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) ein eigenes Instrument für Flüchtlinge und Drittstaatsangehörige - mehr dazu in ooe.ORF.at.
Vorschlag für neue Kompetenzaufteilung
Generell wollen die Landeshauptleute die Kompetenzaufteilung mit dem Bund neu regeln. Entsprechende Vorschläge wurden vorletzte Woche bei der Landeshauptleutekonferenz in Feldkirch (Vorarlberg) einstimmig verabschiedet. Der künftigen Regierung mache man ein Angebot zur Reformpartnerschaft, hieß es. Dabei soll vorgeschlagen werden, den Paragrafen 12 der Bundesverfassung ersatzlos zu streichen.
In einer gemeinsamen Entscheidung müsste dann neu festgelegt werden, wer welche Kompetenzen übernehme, so Wallner. Der Chef der Landeshauptleute spricht von einem „modernen Föderalismus“: „weg mit Doppelgleisigkeiten, hin zu klaren Kompetenzen“. „Es muss allen klar sein, dass größere Reformvorhaben jedenfalls eine enge Abstimmung mit den Ländern benötigen.“
„Wer anschafft, der zahlt“
Die Landeshauptleute pochen zudem darauf, dass sich der Bund an Vereinbarungen etwa bei der Kostenerstattung für die Abschaffung des Pflegeregresses hält. „Wer anschafft, der zahlt“, so Wallner. Die Länder begännen derzeit mit der Kostenaufstellung und forderten vollen Ersatz. „Das ist keine Bitte, sondern eine klare Aufforderung.“ Geld verlangten die Länder auch für ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) erklärte, das werde es nur geben, wenn der Bund zur Finanzierung beitrage.
Landes-ÖVP will nicht türkis werden
Auf Distanz zur Bundespartei ging unterdessen die Tiroler ÖVP. Sie will vor der Landtagswahl am 25. Februar keinen Farbwechsel. Man bleibe schwarz, Landesparteien hätten in der ÖVP schließlich schon immer eine „große Eigenständigkeit“ gehabt, sagte Sprecher Sebastian Kolland am Mittwoch. Landesparteichef und Landeshauptmann Günther Platter hatte die Frage kurz nach der Nationalratswahl noch offengelassen: „Tirol ist ein schwarzes Land, aber diese Türkis-Farbe hat sehr viel gebracht.“
Neue Gerüchte zu Mindestpension
Diese Woche tagen unterdessen wieder diverse Fachgruppen - derzeit zu den Themen Sicherheit, Justiz, Finanzen und Steuern, Wissenschaft und Forschung, Landesverteidigung, Medien und Pensionen. Auch die Themen Gesundheit, Wirtschaft und Entbürokratisierung sowie Integration werden laut Information vom Mittwoch aktuell verhandelt.
Inhaltlich gibt es offiziell kaum Informationen. Die „Oberösterreichischen Nachrichten“ berichteten diese Woche allerdings, dass die FPÖ eine Mindestpension von 1.200 Euro nach 40 Jahren zur Fahnenfrage mache. Laut Verhandlern würde das in der Schmalspurvariante 20 Mio. und im Vollausbau für alle vier Mrd. Euro ausmachen würde. Berechnungen des Sozialministeriums weisen zusätzliche Kosten von 510 Mio. Euro pro Jahr bei einer Anhebung der Mindestpension nach 40 Versicherungsjahren aus. Davon würden rund 115.000 Personen profitieren. Bestätigt wurden die Gerüchte jedoch nicht.
Laut ÖVP noch keine Debatte über Bildungsbudget
Ein großer Brocken diese Woche ist das Thema Bildung. In einem „Kurier“-Bericht hieß es, dass es für die Bildung nicht mehr Geld und keine zusätzlichen Lehrkräfte geben werde. Die ÖVP dementierte am Mittwoch. Die Medienberichte seien „schlichtweg falsch“. In den Fachgruppen werde nicht über Budgets verhandelt, das passiere ausschließlich in der Steuerungsgruppe, hieß es in einer Aussendung.
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