Die Unis und ihr Transferpotenzial
Universitäten forschen im Grunde im Auftrag der Gesellschaft. Eine Anforderung an die Bildungsstätten lautet daher zunehmend, ihre Forschung auch nutzbar zu machen für den „Auftraggeber“. Mit anderen Worten: Die Gesellschaft soll für ihr Investment etwa auch konkrete Produkte oder Technologien erhalten. Technologietransfer lautet der Fachterminus. Gerade hier scheint es Nachholbedarf zu geben, wie eine Expertin meint. Zugleich finden sich aber engagierte Initiativen und Forscher.
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Man stelle sich eine Technologie vor, die Bitterkeitstests für die unterschiedlichsten Substanzen möglich macht. Und das ganz ohne Tierversuche, da Zellkulturen verwendet werden. Interessant wäre eine solche Anwendung etwa für die Pharmaindustrie. Denn Kinder, aber auch Tiere lassen sich selten von Argumenten überzeugen, wenn sie die sprichwörtliche bittere Arznei schlucken sollen.
Tatsächlich gibt es die Technologie bereits. Entwickelt wurde sie von Veronika Somoza, Leiterin des Instituts für Physiologische Chemie an der Universität Wien. Somozas „künstliche Zunge“ ist ein schönes Beispiel für den Technologietransfer – den Versuch, Ergebnisse aus der Forschung in konkrete Anwendungen oder Produkte umzusetzen. Das passt auch deswegen gut, weil die Wissenschaftlerin Mitglied der „Third Mission“-Projektleitung an der Universität Wien ist. Und gerade im Technologiebereich sieht Somoza viel ungenutztes Potenzial.
„Third Mission“: Im Auftrag der Gesellschaft
Zu den beiden altbekannten Kernaufgaben der Universitäten, Forschung und Lehre, gesellt sich heute allerorten eine dritte Aufgabe oder „Mission“: Gemeint ist der Transfer der universitären Forschung in ihrer Gesamtheit in Gesellschaft und Wirtschaft. Der Begriff „Third Mission“ beschreibt also nicht nur den Transfer von Technologie, sondern auch Wissenstransfer und soziales Engagement. Das Projekt „Third Mission der Universität Wien“ hat die systematische Dokumentation, Sichtbarmachung und Vernetzung aller Aktivitäten zum Ziel, die dem Bereich „Third Mission“ zuzuordnen sind.
„Intellectual Property“ als Ressource
Eine grundsätzliche Problematik aus Sicht der Wissenschaftlerin: Das Gebiet sei in den Aufgabenbereichen der Rektorate und Vizerektorate nicht in entsprechendem Umfang abgebildet, so Somoza gegenüber ORF.at. Die Wissenschaftlerin plädiert daher insbesondere dafür, bei den Universitäten und vor allem auch den Forschern das Bewusstsein zu fördern, dass ihre Ergebnisse, ihr „Intellectual Property“, eine überaus wertvolle Ressource darstellen.
„Publish or perish“ statt Technologietransfer
Hinzu kommt der – zumindest vermeintliche – Gegensatz zwischen Grundlagenforschung samt intensiver Publikationstätigkeit und Technologietransfer z. B. in Form von Patentierungen vielversprechender Forschungsergebnisse. Denn nach wie vor gilt im wissenschaftlichen Bereich weithin das alte Diktum: „Publish or perish“, Veröffentlichen oder Untergehen. Wissenschaftler werden also vor allem auch an ihrem Output in Form von Fachartikeln gemessen. Dem scheint der Technologietransfer entgegenzustehen.
Somoza ortet ein grundsätzliches Problem in der immer noch bestehenden Trennung in „Grundlagenforschung, die hochrangig publiziert wird, und angewandte Forschung, die der Industrie gilt“. Dabei müssten diese beiden Perspektiven gar nicht getrennt sein, meint sie. „Man kann patentieren und dennoch hochrangig publizieren.“ Entsprechend bevorzugt sie den Begriff der „anwendungsoffenen Grundlagenforschung“.
Langer Atem bis zum Produkt
Da sich die „Instrumente der Bewertung“ von Forschungsaktivitäten lange Zeit weitgehend an der Grundlagenforschung orientiert hätten, seien auch die Forscher in ihren Wert- und Zielvorstellungen überwiegend danach ausgerichtet, so Somoza weiter. Technologisch verwertbare Forschung werde daher oft nicht weiterverfolgt. Hier sei ein prinzipielles Umdenken ebenso notwendig wie eine aktive Förderung durch die Universitätsleitung. Gerade auch, weil ein langer Atem gefordert sei, „bis aus einer Idee und ersten Ergebnissen tatsächlich ein Prototyp oder Produkt entstehen kann“.
Staatliche Finanzierung für unabhängige Forschung
In den USA beispielsweise sieht es diesbezüglich ganz anders aus, dort ist der Technologietransfer längst fest eingebunden in die universitären Strukturen. Trotzdem ist fraglich, ob das Land so einfach als Vorbild taugt. Denn wie Somoza gegenüber ORF.at klarstellt: „In den USA ist die Universitätsfinanzierung eine ganz andere. Da sind die Universitäten auf Finanzierung aus diesem Bereich angewiesen.“ Doch die Unabhängigkeit der Forschung ist für Somoza ein ganz wichtiger Punkt. Daher plädiert sie für einen Ausbau der staatlichen Finanzierung der Universitäten.
Die Kooperationen mit der Wirtschaft, mit Unternehmen kommen zur staatlichen Finanzierung quasi noch dazu. Und hier gilt laut Somoza vor allem, dass die jeweilige Forschungseinrichtung gemeinsam mit dem Wirtschaftspartner die Regeln festlegt, nach denen die Kooperation erfolgt. Die Grundlagenforschung sieht sie dadurch nicht unter Druck: „Wir brauchen Forschung, die das grundlegende Verständnis von bestimmten Prozessen und Mechanismen identifiziert.“ Das bedeute jedoch nicht, dass diese Grundlagenforschung nicht offen sein könne für Anwendungen.
Engagierte Forscher, universitäre Initiativen
Und natürlich gibt es auch viele engagierte Forscher. An der Universität Wien wurden beispielsweise im Rahmen des „Third Mission“-Projekts die vielen verschiedenen Transferprojekte erstmals systematisch gesammelt. Ein Ziel ist die Vernetzung der beteiligten Akteure. Im Rahmen einer Konferenz Ende November werden die Ergebnisse vorgestellt. Und die heimischen Universitäten haben längst auch spezielle Transferzentren zur Unterstützung ihrer Forscher eingerichtet.
Hinzu kommen Initiativen wie das Wiener Gründerservice INiTS, das immer auf der Suche nach spannenden Technologien ist, die ihrer kommerziellen Nutzung noch harren. Hinter dem Unternehmen stehen die Universität Wien, die TU Wien und die Wirtschaftsagentur Wien. Diese externen „Inkubatoren“ – österreichweit gibt es aktuell acht davon – fungieren für die Forscher als eine Art Schnittstelle zu potenziellen Unternehmensgründern und Investoren.
Lizenzgebühren und Drittmittel für die Unis
Am Ende profitieren auch die Universitäten davon, wenn aus Grundlagenforschung wirtschaftlich verwertbare Technologien und Produkte entstehen: Da sind zunächst die Lizenzgebühren, die an die Hochschulen gezahlt werden müssen und die zurück in die Forschung fließen können. Noch umfangreicher ist aber in der Regel der Rückfluss in Form von Drittmitteln. Im Idealfall profitieren also alle Seiten vom Technologietransfer.
Links:
Sabine Aßmann, für ORF.at