Transfer in die Gesellschaft und Wirtschaft
Unsere Gesellschaften und Ökonomien verändern sich permanent. Dieser Wandel führt auch zu neuen Anforderungen an die Universitäten. Neben ihren Kernaufgaben Forschung und Lehre sollen sie zunehmend bestimmte Transferleistungen erbringen, die unter dem Begriff „Third Mission“ zusammengefasst werden. Diese Transferleistungen sind – einzeln betrachtet – gar nicht unbedingt neu, doch bisher fehlt meist der übergeordnete systematische Ansatz. An der Universität Wien hat sich nun ein Projekt genau damit befasst.
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Die Ergebnisse universitärer Forschung nutzbar zu machen für Gesellschaft und Wirtschaft, so in etwa könnte man „Third Mission“ definieren. Der Begriff beschreibt nicht nur den Transfer von Technologie, sondern auch Wissenstransfer und soziales Engagement. Das Spektrum an Projekten, die unter „Third Mission“ subsumiert werden können, ist also naturgemäß recht groß. Und die Grenzen zu den beiden Kernbereichen Forschung und Lehre sind fließend.
Tatsächlich gibt es beispielsweise an der Universität Wien längst zahlreiche Aktivitäten, die dem Bereich der „Third Mission“ zuzuordnen sind. Doch bisher war all das wenig bekannt, kaum sichtbar oder vernetzt und schon gleich gar nicht systematisch dokumentiert. Das Projekt „Third Mission der Universität Wien“ will das nun ändern.

Universität Wien/Alex Schuppich
Lehre und Forschung gelten als bekannte Standbeine einer Universität, wie etwa der Uni Wien. Mit „Third Mission“ legen Unis aber auch ihre Bedeutung für die Zukunft fest.
Sammeln und systematisieren
In einem ersten Schritt wurden Interviews mit Dekanen und Zentrumsleitern durchgeführt, um die Einstellung zur „Third Mission“ in den verschiedenen Disziplinen auszuloten, wie die Bildungspsychologin Christiane Spiel gegenüber ORF.at erläuterte. Sie ist eine der drei Projektleiterinnen. Erstmals wurde versucht, alle entsprechenden Aktivitäten an der Uni Wien gezielt und systematisch zu sammeln. Aktuell werden die Ergebnisse ausgewertet. Ende November wird der aktuelle Stand im Rahmen einer Konferenz präsentiert.
App hilft schwer kranken Kindern
Ein Beispiel der Universität Wien für eine „Third Mission“-Entwicklung: die App INTERACCT, die für die Nachbetreuung schwer kranker Kinder entwickelt wurde. Die App soll die kleinen Patienten durch einen Spieleteil zur täglichen Übermittlung wichtiger Parameter wie das Auftreten von Fieber oder Schmerzen motivieren. Und Kinder stehen auch im Zentrum einer recht bekannten Aktivität der Uni Wien, die zum Bereich „Wissenstransfer“ gehört: Seit 2003 stehen die Türen der Hochschule im Rahmen der alljährlichen KinderuniWien zwei Wochen lang für die jungen Besucher offen.
Die Einstellung gegenüber dem Thema sei überwiegend positiv. Und ein weiteres Ergebnis: Die „Third Mission“-Aktivitäten der Universität Wien sind überwiegend dem „Wissenstransfer“ zuzurechnen, gefolgt vom Bereich „Soziales & gesellschaftliches Engagement“. Der geringste Anteil fällt unter „Technologie- & Innovationstransfer“. Diese Gewichtung hat allerdings wohl primär mit dem „Disziplinenspektrum“ zu tun, wie Spiel im Interview ausführte. An Österreichs größter Universität sind vor allem die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften stark vertreten; technische Disziplinen gibt es dagegen gar nicht.
Nachhaltige Umsetzung im Fokus
Zugleich hat sich die Universität „explizit zur ‚Third Mission‘ bekannt“, so Spiel weiter. Im aktuellen Entwicklungsplan der Universität Wien werde der Ausbau des gesellschaftlichen Engagements ausdrücklich als Ziel genannt. Und natürlich ist auch das „Third Mission“-Projekt selbst ein deutliches Zeichen. Unter anderem sollen „konkrete Maßnahmen zur nachhaltigen Implementierung der ‚Third Mission‘“ erarbeitet werden, wie die Bildungspsychologin betonte.
Ein Problem aus Sicht der Expertin: die intern wie extern häufig fehlende Anerkennung für jene Wissenschaftler, die sich in „Third Mission“-Aktivitäten engagieren. Im Vergleich zu den beiden Kernaufgaben Forschung und Lehre gebe es weder klare Kriterien noch klare Anerkennungsparameter. „Das ist ein Ziel unseres Projektes, denn eine Form der Anerkennung ist – so banal das klingt – bereits das Sichtbarmachen“, erklärte Christiane Spiel im Interview. Vermittelt werden solle auch, „was wissenschaftliche Forschung ist und wie sehr die Gesellschaft von unseren Leistungen profitiert“.
Kein Leistungsdruck für die Wissenschaft
Dabei soll allerdings kein Leistungsdruck entstehen, wie Spiel betonte: „Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass es keinerlei Druck gibt, sich im Bereich der ‚Third Mission‘ zu engagieren.“ Und ein ganz wichtiger Punkt ist aus ihrer Sicht zudem die Freiheit von Forschung und Lehre. Forschung als Dienstleistung für die Wirtschaft darf also nicht die Lösung sein. „Third Mission“-Aktivitäten sollten vielmehr laut Spiel immer freiwillig sein und auf der eigenen Forschung basieren.

Martin Zimmermann
„Third Mission“ funktioniere dann gut, wenn Aktivitäten freiwillig und aus der eigenen Forschung gesetzt werden, so die Expertin Christiane Spiel
Partner außerhalb der Universitäten
Sehr wohl notwendig ist aus Sicht der Expertin eine Förderung der „Transferschritte aus der Universität heraus“. Es gehe letztlich darum, funktionierende Schnittstellen zu bilden mit Partnern außerhalb der Unis, damit das Wissen und Know-how der akademischen Welt eben auch „die Chance hat, dort anzukommen, wo es gebraucht wird“, wie es Christiane Spiel formulierte. Wenn sie selbst Erkenntnisse der Bildungspsychologie in einem Fachjournal publiziert, heißt das schließlich noch lange nicht, dass dieses Wissen auch in der schulischen Praxis landet und umgesetzt werden kann.
Warum überhaupt „Third Mission“?
Die Aktualität des Themas hat im Übrigen ernste Hintergründe: „Die sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen“, so Spiel. Zudem sei gemäß vieler Prognosen in den kommenden Jahrzehnten mit einer Verschärfung zu rechnen. Um damit erfolgreich umzugehen, sei Bildung ein zentraler Parameter. Ebenso werde zunehmend der Ruf nach Solidarität und Verantwortung in der Gesellschaft laut.
Genau hier sieht Spiel die Universitäten gefordert: „Universitäten kommt bei der Frage, wie beides gefördert werden kann, eine zentrale Rolle zu: Sie produzieren Wissen und sie vermitteln Bildung auf hohem Niveau“, meinte die Bildungspsychologin. Dabei haben die Hochschulen laut Spiel eine „besondere Verantwortung für die Gesellschaft, in deren Auftrag sie forschen und lehren“. Und an dieser Stelle landet man wieder – Zirkelschluss – bei der hier im Fokus stehenden „Dritten Mission“ der Hochschulen.
Antworten auf zentrale Zukunftsfragen
Es geht um Antworten auf zentrale Fragen, wie sie Spiel kursorisch anriss: „Welche Erkenntnisse zur Lösung sozialer Herausforderungen produzieren Universitäten? Wie wird dieses Wissen nutzbar für die Gesellschaft? Wie können Curricula so gestaltet werden, dass Absolventinnen der Universitäten gesellschaftliche Verantwortung übernehmen können und wollen? Und wie können Universitäten die Übernahme von ‚Social Responsibility‘ in der Wirtschaft fördern?“
Wenig überraschend wandert die „Dritte Mission“ auch politisch allmählich auf die Agenden: Explizit festgeschrieben sind „Third Mission“-Aktivitäten für die heimischen Universitäten zwar noch nicht, sehr wohl aber finden sich Verweise im „Gesamtösterreichischen Universitätsentwicklungsplan“. Darin wird eine „Intensivierung des Wissens- und Technologietransfers“ als Ziel formuliert.
Und wie der noch amtierende Bundesminister Harald Mahrer (ÖVP) zuletzt im Rahmen der Alpbacher Hochschulgespräche klargestellt hat, gehört „Third Mission“ für ihn zum Bereich der strategischen Entwicklung der Universitäten. Dieser Bereich wiederum wird sehr wohl explizit genannt: im Gesetzesentwurf zur Bundesfinanzierung der Unis – als dritter Punkt neben Lehre und Forschung.
Links:
Sabine Aßmann, für ORF.at