Schlimmster Kriegsverbrecher nach 1945
Der „Schlächter vom Balkan“ wird er genannt. Der serbische Ex-General Ratko Mladic gilt als schlimmster Kriegsverbrecher Europas nach 1945. Er war federführend für den Völkermord in der muslimischen Enklave Srebrenica verantwortlich. 8.000 muslimische (bosniakische) Männer und Buben wurden dabei ermordet. Gut fünf Jahre stand er im UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vor Gericht.
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Mladic wurde im Zweiten Weltkrieg 1943 in eine Partisanenfamilie in Kalinovik südlich von Sarajevo geboren. Er schlug 1965 eine militärische Laufbahn bei den damaligen jugoslawischen Streitkräften ein. Jahrelang diente er in der Teilrepublik Mazedonien und durfte sich mit dem damals geschätzten Orden der Einheit und Brüderlichkeit schmücken. Dass der überzeugte Jugoslawe und Kommunist in späteren Jahren beim Zerfall Jugoslawiens zum Nationalisten wurde, ahnte zu dieser Zeit keiner.
Rache an den „Türken“
Diesen Weg schlug Mladic erst im April 1992 ein, als er - zunächst noch als jugoslawischer Offizier - nach Bosnien versetzt wurde. Dort übernahm er das Kommando des Generalstabes der mit Hilfe Belgrads gebildeten bosnisch-serbischen Truppen. Sein Ziel im Bosnien-Krieg war seitdem ein Großserbien, das alle von Serben bewohnten Gebiete umfasst.

AP
Ratko Mladic (l.) stößt mit dem niederländischen UNO-Befehlshaber in Srebrenica, Tom Karremans (2. v. r.) und nicht identifizierten Personen am 12. Juli 1995 in Potocari bei Srebrenica an
Die Brutalität des Armeechefs kam nicht erst kurz vor Kriegsende beim Völkermord in Srebrenica zum Ausdruck. Die „Türken“, so nennt er in zahllosen Dokumenten die Zehntausenden Opfer - vertriebene, misshandelte und ermordete Muslime. „Wir widmen die Eroberung (von Srebrenica) dem serbischen Volk“, sagt er etwa auf einem Video und ergänzt: „Wir haben uns an den Türken gerächt.“ Nach seinem wirren Geschichtsbild musste er die serbischen Gebiete befreien, die jahrhundertelang vom Osmanischen Reich kontrolliert worden waren.
„Mladic fühlte sich allmächtig“, charakterisierte ihn die Anklage in Den Haag. Schon zuvor hatte er seine Soldaten etwa zum unbarmherzigen Beschuss von Sarajevo, der über drei Jahre dauerte, angetrieben. „Macht sie verrückt“, unterstrich Mladic, dessen Vorbilder Hannibal, Alexander der Große und Carl von Clausewitz sind, seinen Befehl damals.
Jahrelang untergetaucht
Personen aus dem Umfeld Mladics berichteten nach dem Krieg aber von einer drastischen Wende im Verhalten des Militärs nach dem Tode seiner Tochter Ana. Die Medizinstudentin nahm sich im März 1994 nach einer Russland-Reise, auf der sie von Studienkollegen mit der Brutalität des laufenden Bosnien-Krieges konfrontiert worden war, das Leben. Nach dem persönlichen Verlust zeigte sich Mladic, passionierter Schach- und Mensch-ärgere-dich-nicht-Spieler sowie Blumenliebhaber, erst recht rücksichtslos bei der Durchsetzung seiner Kriegspläne.
Das UNO-Tribunal erhob bereits 1995 Anklage gegen Mladic und den damaligen bosnisch-serbischen Präsidenten Radovan Karadzic. Beide wurden erst Jahre später in Serbien festgenommen und an das Haager Gericht ausgeliefert. Nach dem Krieg hatte Mladic zunächst noch jahrelang in seiner Belgrader Villa gelebt, zeigte sich bei Fußballspielen in der Öffentlichkeit und genoss den Status eines Volkshelden, ehe er um die Jahrtausendwende untertauchte.

APA/AFP/Michael Evstafiev
Ratko Mladic und Radovan Karadzic während des Bosnien-Krieges im August 1993 in Pale
Wie erst dieser Tage durchsickerte, versteckte sich Mladic zwischen 2000 und 2003 auch in einer Belgrader Militärkaserne. Die serbischen Behörden bestritten das damals energisch. Der heute 75-Jährige soll während der Jahre auf der Flucht drei Schlaganfälle erlitten haben. Dennoch sorgte er im Laufe des Prozesses wiederholt mit nationalistischen Ausfällen für Eklats und musste aus dem Sitzungssaal entfernt werden.
Zu lebenslanger Haft verurteilt
Ein Zeichen der Reue zeigte der General nie. Am Mittwoch wurde er für Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Während der Urteilsverkündung war Mladic aus dem Gerichtssaal entfernt worden, nachdem er lautstark protestiert hatte. Mladic will gegen das Urteil Berufung einlegen.
Keine Einsicht für Kriegsverbrechen in Serbien
Serbien tut sich schwer mit seinem kriegerischen Erbe. Bis heute gilt Mladic in weiten Teilen der Bevölkerung noch als Kriegsheld, der seine Landsleute in Bosnien nur vor dem sicheren Untergang bewahrt hat. Serbien habe so einer „Weltverschwörung“ unter Führung Deutschlands, Österreichs und des Vatikan heldenhaft Widerstand geleistet - so das verworrene Weltbild.
Auf jedem Volksfest und in den Souvenirgeschäften Belgrads sind Mladic-T-Shirts nach wie vor ein Dauerbrenner. Das UNO-Tribunal ist für Serbien schon lange eines der größten Feindbilder. Das Gericht habe einseitig gegen Serben gearbeitet, sagte erst vor wenigen Tagen Regierungschefin Ana Brnabic in Belgrad. Damit habe es nicht zur Versöhnung, sondern im Gegenteil zur Verschärfung der Konflikte auf dem Balkan beigetragen. Die Belgrader Zeitung „Informer“, Sprachrohr von Präsident Aleksandar Vucic, titelte kürzlich: „Das Haager Gericht vergewaltigt offen das Recht“.
Die serbische Politik leugnet bis heute den Völkermord in Srebrenica. Erst heuer wurden acht ehemalige Spezialpolizisten in Belgrad angeklagt, weil sie 1.313 muslimische Zivilisten ermordet haben sollen. Der Prozess wurde allerdings schnell unterbrochen und muss von vorn beginnen. Angesichts dieser Realität machte sich Chefankläger Serge Brammertz keine Illusionen. Ein Gericht könne nicht für Versöhnung sorgen, sagt er. „Aber ohne Gerechtigkeit fehlt die Basis für Versöhnung.“
Die offene Wunde Srebrenica
Nicht nur auf dem Balkan, auch für die UNO bleibt Srebrenica eine offene Wunde. Denn die Staatengemeinschaft hatte den Völkermord nicht verhindert, und niederländische UNO-Soldaten hatten sich den Truppen von Mladic kampflos ergeben. Kurz nach der Einnahme von Srebrenica prosteten einander der General und der niederländische Kommandant des Blauhelmbataillons, Thom Karremans, mit Schnapsgläsern zu. Das Foto von dieser Szene ging als Bild der Schande um die Welt.
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