Eklat bei Urteilsverkündung
Der bosnisch-serbische Ex-General Ratko Mladic ist vom UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien in Den Haag für den Völkermord in Srebrenica 1995 schuldig gesprochen worden. Die Richter verurteilten ihn vergangene Woche zu lebenslanger Haft. Mladic ist laut dem Urteil für schlimmste Gräuel des Balkan-Krieges (1992-1995) verantwortlich.
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Bei der Urteilsverkündung kam es zu einem Eklat. Der Vorsitzende Richter Alphones Orie ließ den Angeklagten aus dem Gerichtssaal bringen, nachdem Mladic lautstark protestiert hatte. „Sie lügen“, schrie Mladic an Orie gewandt, während dieser das Urteil verlas. Die Verteidigung hatte zuvor erfolglos gefordert, die Urteilsverkündung abzukürzen, weil der Blutdruck des Angeklagten gefährlich hoch sei. Das Gericht setzte die Verlesung des Urteils ohne Mladic fort.

AP/ICTY
Unbelehrbarer Angeklagter wird aus dem Gerichtssaal entfernt
Das UNO-Kriegsverbrechertribunal hatte am Vormittag mit der Urteilsverkündung gegen Mladic begonnen. Mladic war wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnien-Krieges zwischen 1992 und 1995 angeklagt. Mladic war erst 2011 nach 16 Jahren auf der Flucht verhaftet und dem UNO-Tribunal übergeben worden. Der Prozess dauerte rund fünf Jahre.
Für Zehntausende Tote verantwortlich
Mladic wurde insbesondere eine Verantwortung für das Massaker im ostbosnischen Srebrenica zur Last gelegt. Bosnisch-serbische Einheiten hatten im Juli 1995 die UNO-Schutzzone Srebrenica angegriffen und Schätzungen zufolge 8.000 muslimische Männer und Buben ermordet. Verantworten musste sich Mladic auch für die 44-monatige Belagerung von Sarajevo ab Mai 1992, bei der nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen etwa 10.000 Menschen getötet wurden. Er war Ende Mai 2011 nach 16 Jahren auf der Flucht in Lazarevo in Serbien festgenommen worden.

Reuters/Dado Ruvic
Angehörige von Opfern verfolgen die Urteilsverkündung
Die Richter in Den Haag sprachen Mladic in zehn der elf Anklagepunkte schuldig und folgten mit dem Strafmaß am Mittwoch dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidiger hatten auf Freispruch in allen Punkten oder höchstens 15 Jahre Haft plädiert. Es ist das letzte Völkermordurteil des Gerichts, das nach 24 Jahren zum Jahresende seine Arbeit abschließt.
Mladic legt Berufung ein
Mladic will Berufung gegen das Urteil einlegen. Das teilten sein Verteidiger sowie Mladics Sohn Darko am Mittwoch in Den Haag mit, wie die niederländische Nachrichtenagentur ANP berichtete. „Dieses Urteil ist ungerecht und widerspricht den Tatsachen“, sagte Darko Mladic. „Gerechtigkeit wurde durch Kriegspropaganda ersetzt.“
Demonstranten vor Gerichtssaal
Dutzende Demonstranten und Angehörige von Opfern oder Vermissten des Krieges verfolgten vor dem Gerichtsgebäude in Den Haag die Urteilsverkündung. Einige hielten Fotos von Opfern in den Händen. Auf einem Banner stand: „Keine Straffreiheit für Kriegsverbrecher“. Auf einem weiteren war ein Foto Mladics in Uniform neben einem menschlichen Schädel abgebildet, daneben der Schriftzug: „Schuldig an allem“.
„Die Opfer können nie befriedigt werden“, stellte Munira Subasic, Leiterin des Verbandes „Mütter von Srebrenica“, nach der Verurteilung fest. Sie kündigte gegenüber bosnischen Medien an, ihren „Kampf für Gerechtigkeit“ fortzusetzen. Der Verband will nach den Worten von Subasic nun auch Serbien und die bosnische Republika Srpska für „alles, woran sie beteiligt waren“, klagen.
„Inbegriff des Bösen“
UNO-Menschenrechtskommissar Said Raad al-Hussein bezeichnete die Verurteilung als monumentalen Sieg für Gerechtigkeit. „Mladic ist der Inbegriff des Bösen und die Verurteilung von Mladic ist der Inbegriff für internationale Gerechtigkeit“, sagte Hussein in Genf. Der 75-Jährige habe Tausenden Menschen Tod und Zerstörung angetan. Das Trauma der Opfer sei unbeschreiblich. Umso wichtiger sei die gerichtliche Aufarbeitung des Falles.
„Gerechtigkeit walten zu lassen und Straffreiheit zu bekämpfen für die schrecklichsten Verbrechen ist eine fundamentale menschliche Pflicht“, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Das Urteil berühre „die dunkelsten, tragischsten Ereignisse in Bosnien-Herzegowina, auf dem Westbalkan, in Europas jüngster Geschichte, einschließlich des Genozids in Srebrenica“, sagte Mogherini. „Unser Mitgefühl ist mit denen, die überlebt haben, und jenen, die geliebte Menschen verloren haben.“
Zeugen schilderten das Grauen
530 Prozesstage, fast eine Million Seiten Prozessakten, 377 Zeugen: Während des Prozesses schilderten Zeugen im Gerichtssaal das Grauen von damals. Da war der Mann, dessen Frau in Sarajevo auf dem Marktplatz von Scharfschützen beim Milchholen erschossen worden war. Oder das junge Mädchen, das wochenlang - immer wieder und wieder - von Gruppen von Soldaten vergewaltigt wurde. Oder der Mann, der das Massaker von Srebrenica nur überlebte, weil er sich tot stellte und unter den Leichenbergen verbarg.

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Vor dem Gerichtsgebäude versammeln sich Demonstranten
Leichen waren zerstückelt und auf verschiedene „Sekundärgräber“ verteilt worden. Noch immer wurden nicht alle Toten gefunden und identifiziert. Noch im Dezember 2015 war ein Massengrab entdeckt worden - verborgen unter einer Mülldeponie. Der Völkermord und die Vertreibung der bosnischen Muslime mit dem zynischen Begriff „ethnische Säuberung“ waren Teil einer Kampagne mit dem Ziel eines Großserbiens. Außer dem damaligen bosnisch-serbischen Präsidenten Radovan Karadzic und Mladic war dafür auch der Ex-Staatspräsident von Jugoslawien, Slobodan Milosevic, verantwortlich. Er starb 2006 in seiner Zelle an einem Herzinfarkt, noch vor dem Urteil.
Serbiens Präsident Vucic: Keine Überraschung
Für den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic stellte Mladics Verurteilung keine Überraschung dar. „Wir alle haben gewusst, dass dies das Resultat (des Gerichtsprozesses, Anm.) sein wird. Es gibt niemanden, der das nicht gewusst hat“, sagte Vucic zu serbischen Medien in einer ersten Reaktion. Er appellierte gleichzeitig an seine Landsleute, „in die Zukunft zu blicken und den Frieden und die Stabilität in der Region zu wahren“.
Mladen Ivanic, serbisches Mitglied der dreiköpfigen bosnischen Staatsführung, zeigte sich über das Urteil enttäuscht. Das UNO-Tribunal habe nicht für Gerechtigkeit gesorgt, sondern Politik gemacht, sagte Ivanic. „Das Haager Tribunal hat anstelle des Vertrauens das Misstrauen gestärkt. Anstellte von Versöhnung wird es zu neuen politischen Konflikten führen.“
Österreich und Deutschland begrüßen Urteil
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) begrüßte das Urteil. Es sei ein „weiterer wichtiger Schritt hin zur Aufarbeitung der furchtbaren Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien“, so Kurz. „Dieses Urteil ist daher von allen Seiten zu respektieren.“ Die entschlossene gerichtliche Verfolgung aller Täter sei Voraussetzung für Gerechtigkeit und Aufarbeitung und somit für Vergebung und Versöhnung. „Eine der Lehren aus den kriegerischen Auseinandersetzungen muss sein, dass die Staaten in der Region des Westbalkans in Zukunft noch enger grenzüberschreitend zusammenarbeiten sollten.“
Für die deutsche Regierung ist der Richterspruch ebenfalls ein „wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der grausamen Verbrechen, die in den 1990er Jahren im ehemaligen Jugoslawien verübt wurden“, wie eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte. Die deutsche Regierung werde sich weiterhin für die Stärkung des Völkerrechts und des Völkerstrafrechts einsetzen.
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