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„Man dachte, das sei normal“

Zum heimische Skisport in den 70er Jahren sind am Montag schwere Vorwürfe sexuellen Missbrauchs publik geworden. Die Ex-Skifahrerin Nicola Werdenigg, vormals Spieß, berichtet im „Standard“ von systematischem Missbrauch in ihrer aktiven Zeit.

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Es habe damals Übergriffe durch „Trainer, Betreuer, Kollegen und Serviceleute“ gegeben, so die Abfahrtsmeisterin von 1975. Sie selbst sei mit 16 Jahren von einem Mannschaftskollegen vergewaltigt worden. Der Täter und ein weiterer Mann hätten sie zuvor alkoholisiert. Aus Scham habe sie zu dem Vorfall geschwiegen und sich selbst die Schuld an dem Übergriff gegeben.

Systematischer Machtmissbrauch

Auch die Hierarchie im Skibetrieb war laut der heute 59-Jährigen durch sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch geprägt. Wenige Monate vor ihrem Abfahrtssieg habe sie ein Treffen mit einem Skifabrikanten absolviert, bei dem sie unangemessen berührt worden sei. Derlei Übergriffe seien systematisch gewesen. Wer „nicht mitspielen wollte, brachte seinen Startplatz in Gefahr“. Unter anderem sei der erste Geschlechtsverkehr einer Kollegin heimlich gefilmt und der Mannschaft vorgespielt worden. Die Frau habe ihre Karriere beendet. Alle hätten über derlei Vorgänge Bescheid gewusst, „man dachte, das sei normal“.

Obwohl Werdenigg zu diesem Zeitpunkt erst 16 war, gehen ihre Schilderungen sexueller Gewalt noch weiter zurück. Als Zwölfjährige habe sich die aus einer Tiroler Skifahrerfamilie stammende Werdenigg in einem (im Interview namentlich nicht genannten) Skiinternat eingeschrieben. Dort sei versucht worden, „Menschen zu brechen“. Unter anderem habe der Heimleiter zur eigenen Befriedigung einen anderen Schüler auf sie angesetzt. Sie habe eine Vergewaltigung mit einem Tritt verhindern können. Später, im Skigymnasium Stams, sei „alles anders“ gewesen, so Werdenigg. Dort habe sie „nie etwas Verdächtiges erlebt“.

Essstörungen bei zahlreichen Sportlerinnen

Werdenigg schilderte gegenüber dem „Standard“ auch, dass vor allem den Skifahrerinnen auch durch sexualisierte Gewalt ein abseitiges Selbstbild vermittelt wurde. So seien zahlreiche Rennläuferinnen schwer bulimiekrank gewesen. Sie selbst habe sich „regelrecht ‚angesteckt‘“ und zehn Jahre unter der Essstörung gelitten.

Für heute konstatierte sie, dass sich das Frauenbild im Skisport nicht wesentlich geändert habe. Sie selbst habe mit den Vorfällen abgeschlossen, müsse aber über das Erlebte sprechen, um „jungen Menschen Kraft zu geben, sich im Fall der Fälle mitzuteilen“. Werdenigg, die heute als Diplomskilehrerin und -führerin tätig ist und zuletzt auch für die Liste Pilz antrat, hatte ihre Karriere 1981 beendet.

Werdeniggs Schilderungen reihen sich in eine Serie von Missbrauchsvorwürfen in allen Teilen der Gesellschaft. Auslöser waren die Vorwürfe gegen den US-Filmproduzenten Harvey Weinstein. Diese brachten unter „#MeToo“ eine Lawine von Missbrauchsvorwürfen isn Rollen. Auch der US-Sport wurde zuletzt von einer Reihe von Skandalen erschüttert. Laut einem Bericht der „Washington Post“ werden in den USA mehr als 290 Trainer und Offizielle, die eine Verbindung zu nationalen Olympiaorganisationen haben, öffentlich des sexuellen Fehlverhaltens bezichtigt.

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