Durst, Zynismus und Hoffnung
Der Klimawandel ist vollzogen, alljährlich funktioniert monatelang die Wasserversorgung nicht. Menschen aus dem Süden drängen Richtung Norden, doch die Grenzen sind dicht. Jürgen Bauer stellt in seinem dystopischen Roman „Ein guter Mensch“ die Frage, ob es möglich ist, ein solcher zu sein, wenn die Klimakatastrophe dereinst über uns hereinbricht - wenn alle immer Durst haben.
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Der Leser wird von Bauer in einen Freundeskreis eingeführt, der sich recht durchschnittlich anhört, so wie man es oft kennt aus der Kleinstadt: eine Clique, die sich aus ehemaligen Klassenkollegen und Saufkumpanen aus Teenagerjahren zusammensetzt, in der sich der eine oder die andere auseinandergelebt haben, aber man trifft sich mangels Alternativen trotzdem regelmäßig. So geht es auch Marko und Berger, Markos Bruder Norbert, Markos bester Freundin Kali, dazu Val und seiner Lebensgefährtin Bea, Aleksander und Kowalski.
Sie trinken auf dem Hügel vor der Stadt heimlich abgezweigtes Wasser und Fusel, beobachten Brände, die der Trockenheit geschuldet sind, und hören dazu in voller Lautstärke aus dem Autoradio Bloodhound Gang: „We don’t need no water, let the motherfucker burn“; Aleksander und Kali sind zwar nicht zusammen, verschwinden aber schnell einmal zum Vögeln im Gebüsch. Dazwischen wird geflachst, und ein zynischer Witz über die aussichtslose Lage folgt auf den nächsten.
Hineinzoomen in den Weltuntergang
Ein Rezensent schrieb angesichts solcher Szenen von einer mitunter „flapsigen“ Sprache in den Dialogen, die man in solch einer Katastrophensituation nicht erwarten würde. Die Katastrophe im Buch dauert allerdings jahrelang an - und schwarzer Humor, Zynismus, „Jetzt erst recht“- und „Scheiß drauf“-Attitüde sind durchaus vorstellbar. Zumal die Gruppe das Geflachse nie lange durchhält und „deep talk“ die seichten Witze unweigerlich ablöst. Die Musik zum „deep talk“: Scott Matthews’ „Make it beautiful now“.
Gerade diese seltsam offenen und zugleich intimen Szenen im Freundeskreis, die wirken, als ob sie sich in einen Endzeitroman lediglich verlaufen hätten, unterscheiden Bauers Roman von anderen literarischen Dystopien, die derzeit mannigfach geschrieben werden. Er erzählt nicht die Geschichte der Katastrophe, sondern die Geschichte von Marko, der wie aus einem Makroobjektiv beobachtet wird. Bauer beschreibt den Weltuntergang nicht, er zoomt sich an beliebiger Stelle hinein.

Daniel Schönherr
Bauer liest aus seinem dritten Roman „Ein guter Mensch“
Gut bleiben trotz Endzeitstimmung
Es handelt sich also nicht um klassische Science-Fiction-lastige Adaptionen der Realität, wie etwa bei den Büchern des portugiesischen Nobelpreisträgers Jose Saramago, sondern eher um intime Beobachtungen und persönliche Geschichten, vergleichbar mit Cormac McCarthys „Die Straße“, wo die ursprüngliche Katastrophe nicht einmal benannt ist, sondern wo es darum geht, wie sich das Desaster in die Seele und Gedanken der Menschen einschreibt, wie es die conditio humana verändert.
Und genau darum geht es auch Bauer. „Ein guter Mensch“ zu sein in Zeiten anhaltender existenziellen Desasters, ist das überhaupt möglich? Marko probiert es zumindest. Gemeinsam mit Berger fährt er im Auftrag der öffentlichen Verwaltung einen Tanklaster, um die Bedürftigsten mit viel zu kleinen täglichen Rationen Wasser zu versorgen. Stets müssen die beiden auf der Hut sein vor dem marodierenden, durstigen Mob.
Jürgen Bauer
Geboren 1981; Bauer studierte Theaterwissenschaften und arbeitet derzeit im Team der Öffentlichkeitsarbeit der Wiener Volksoper mit; daneben schreibt er Theaterstücke und bisher drei Romane, „Das Fenster zur Welt“, „Was wir fürchten“ und nun „Ein guter Mensch“. Darüber hinaus journalistische Beiträge, unter anderem für den „Falter“ und „malmoe“.
Hoffnung als Religion
Das moralische Dilemma: Den Mob vor dem Verdursten retten oder sich an den Verteilungsplan der Regierung halten? Es gibt keine einfachen Antworten auf solche Fragen, und dankenswerter Weise versucht Bauer auch keine zu konstruieren. Unschuldig ist am Ende keiner mehr. Aber was ist mit der Hoffnung? Quasireligiös an ihr festhalten, entgegen der geringen Wahrscheinlichkeit eines dauerhaften Zurückkehrens des Wassers? Ein Leben ohne Hoffnung zu führen ist allerdings auch nicht leichter.
Genau deshalb organisieren sich ein paar Unerschrockene zur Widerstandsbewegung „Die dritte Welle“. Was sie tun, ist die pure Provokation: dem Ende entgegenfeiern. Wie genau, das sei an dieser Stelle nicht verraten, es zählt zu den Höhepunkten von „Ein guter Mensch“.

Septime Verlag
Jürgen Bauer: Ein guter Mensch. Septime, 211 Seiten, 22 Euro.
Eine Welt, in der niemand mehr leben will
Bauers Roman wirkt bei alledem angenehm aufgeräumt. Die Sprache ist klar, lässt der rund 200 Seiten starken Geschichte ihren Raum, und die Makroperspektive erlaubt es dem Autor, gleich verschiedene Themen am Rande zu streifen, ohne sie generalistisch und oberflächlich durchdeklinieren zu müssen. Etwa die Flüchtlingsproblematik und den Geiz derer, die noch etwas haben; die Tendenz der Menschen zum Totalitären in Krisensituationen; und natürlich: die - selbst verschuldete - ökologische Katastrophe.
Gegen Ende mag man sich da und dort kurz über ein Absinken des Plausibilitätsniveaus der sonst plausiblen Romanhandlung ärgern - aber der Spannungsbogen und die existenziellen Fragen tragen den Leser mühelos darüber hinweg, hinein in eine Welt, in der niemand leben will, aber auch niemandem eine Wahl bleibt. Was bleibt, ist die Menschlichkeit. Oder?
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