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Schelling: „Hoffe, wir kommen zum Zug“

Imagevideos über Schönheiten und Vorteile der Stadt, Werbeauftritte nationaler Delegationen und mutmaßliche Deals im Hintergrund: Mit allen verfügbaren Mitteln haben Bewerber zuletzt um zwei große EU-Agenturen gerittert - am Montag wird nun endgültig entschieden, welche europäische Metropole den Zuschlag für Arzneimittelagentur (EMA) und Bankenaufsicht (EBA) bekommt. Sie müssen wegen des „Brexits“ aus London wegziehen.

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Zusammen mit über 20 anderen Städten blickt auch Wien gespannt nach Brüssel, wo die Entscheidungen am späten Nachmittag bzw. am Abend bekanntgegeben werden sollen. Und immerhin hat man eine Doppelchance: Schließlich ist die Bundeshauptstadt im Rennen um beide Agenturen, insgesamt 16 Städte wollen die EMA, immerhin acht würden künftig gerne EBA-Standort sein. Abgestimmt wird im Geheimen - Vertreter aller EU-Staaten außer Großbritannien sind mit dabei.

Österreich ist durch Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) vertreten. „Ich hoffe, dass wir zumindest bei einer der Agenturen zum Zug kommen“, sagte Schelling am Montag in Brüssel. Schelling verneinte die Frage, ob seine Anwesenheit signalisiere, dass Österreich auf die EBA setze. Österreich werde zuerst für sich selbst stimmen, so Schelling. In den restlichen Punkten „werden wir sehen, wie sich das jetzt ergibt“.

Bis zu drei Runden, mögliche Losentscheidung

Das Abstimmungsverfahren erinnert an „Song Contest“-Abende - wenn auch ohne Zuschauer. Im ersten Wahlgang können EU-Staaten drei, zwei oder einen Punkt vergeben - in der zweiten Runde nur noch einen Punkt an einen der drei Bestplatzierten. Vergeben werden müssen alle Punkte. Um in der ersten oder zweiten Runde zu gewinnen, braucht ein Bewerber die maximale Stimmenzahl von mindestens 14 EU-Staaten.

Gibt es keine Entscheidung, geht das Spiel in die Verlängerung: In einer möglichen dritten Runde, in der wiederum ein Punkt an einen Kandidaten des Führungstrios zu vergeben ist, gewinnt der Bewerber mit den meisten Stimmen. Ist dann immer noch nicht entschieden, wer den Zuschlag bekommt, wird das Glücksrad angeworfen: freilich im übertragenen Sinne, aber letztlich entscheidet bei Gleichstand tatsächlich das Los. Zuerst wird über die EMA abgestimmt, danach über die EBA. Ausgeschlossen ist generell, dass ein Land beide Agenturen bekommt - das sehen die Regularien vor.

„Ein solcher Prozess läuft nie ohne Absprachen“

Dass sich Wien tatsächlich große Hoffnungen machen darf, erschien zuletzt zumindest auf der Ebene von Gerüchten und Vermutungen immer unwahrscheinlicher: Auch Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) erachtete zuletzt die Chancen als „intakt“, „allerdings nicht überbordend“. Tatsächlich rankten sich im Vorfeld der anstehenden Abstimmung allerhand Gerüchte um diverse Absprachen. „Ein solcher Prozess läuft nie ohne Absprachen“, hieß es aus EU-Ratskreisen.

Auch Schelling räumte ein, dass es im Vorfeld viele politische Dialoge und Diskussionen gegeben habe. „Es wird ganz davon abhängen, wie die erste Runde ausgeht.“ Deals habe es immer gegeben auf europäischer Ebene und werde es auch in Zukunft geben. Er hoffe, dass von allen zuerst die Kompetenzen des Standorts betrachtet würden und dann die politischen Entscheidungen fallen. „Aber es ist ohne Zweifel am Ende des Tages eine politische Entscheidung.“ Es habe viele Anfragen im Hintergrund gegeben, wer für wen stimme.

„Haben mit allen Partnern geredet“

Der deutsche Europastaatssekretär Michael Roth wollte indes „keinen Wettstreit der Staaten“ sehen. Wesentlich sei es, unverzüglich die Arbeit der Agenturen am neuen Standort fortsetzen zu können. Befragt, ob Deutschland Absprachen zu den Wahlen mit anderen Staaten getroffen habe, winkte Roth ab. „Wir haben mit allen Partnern der EU geredet. Ich erkenne sehr an, dass es eine Reihe sehr gut geeigneter Vorschläge gibt, die heute auf dem Tisch liegen. Insofern reihen sich Bonn und Frankfurt sehr gut ein.“

Zu einem Bericht des „Spiegel“, Deutschland habe mit der griechischen Regierung eine Absprache getroffen, wollte sich Roth nicht äußern. Dem Magazin zufolge befürwortet Athen die Frankfurter Bewerbung um die Bankenaufsicht. Im Gegenzug soll Deutschland die griechische Hauptstadt bei der Arzneimittelbehörde unterstützen.

Viele Gerüchte über Bratislava

Auch im Fokus steht ausgerechnet Wiens geografisch nächstliegender Konkurrent um die EMA, Bratislava. In Brüssel machten zuletzt Gerüchte die Runde, wonach Deutschland und Frankreich die Bewerbung Bratislavas für die Arzneimittelagentur unterstützen könnten, im Gegenzug für Frankfurt am Main als Standort der Bankenaufsicht und eine personelle Aufstockung der in Paris ansässigen Wertpapieraufsicht (ESMA). Frankfurt gilt gleichzeitig schon länger als Favorit für den EBA-Zuschlag, schließlich hat dort auch die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Sitz.

Möglicherweise gibt es also Unterstützung aus Berlin und Paris für Bratislava - und, auch das scheint plausibel, die Stimmen der Visegrad-Staaten für die slowakische Hauptstadt. Zudem drehte sich im Vorfeld viel um gerechte Verteilung der Standorte in Europa - insbesondere die osteuropäischen Bewerber von Bratislava bis Sofia verwiesen im Vorfeld auf die Möglichkeit einer nun möglichen Korrektur einer Schieflage zum Nachteil Osteuropas. Immerhin ist das auch eines der sechs vereinbarten Kriterien, zu denen auch Faktoren wie Infrastruktur und Lebensqualität zählen.

Spekulationen über Zweikampf um EMA

Zuletzt befeuerte die britische „Financial Times“ die Spekulationen weiter, wonach in Sachen Arzneimittelagentur-Vergabe gar nur noch zwei Szenarien realistisch seien: Sollten geopolitische Kriterien überwiegen, habe Bratislava die besten Chancen, so das Blatt - schließlich zähle die Slowakei mit Rumänien und Bulgarien zu den drei osteuropäischen Ländern ohne EU-Agentur. Sollten hingegen technische, organisatorische und logistische Aspekte berücksichtigt werden, würde Mailand das Rennen gewinnen, hieß es zudem.

Ein anderes Gerücht streute im Vorfeld die Mailänder Zeitung „La Stampa“: Brüssel bemühe sich um eine Vergabe der EMA an den Standort Wien, um die EU-Skepsis in Österreich zu reduzieren und eine Annäherung an die Visegrad-Länder zu vermeiden. Als Hintergrund wurden die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ genannt und der Versuch des Anstoßes aus Brüssel an den wahrscheinlichen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), eine europafreundliche Regierung zusammenzustellen.

Erste Länder ziehen zurück

Apropos Mailand: Die italienische Regierung sprach recht offen über eine „diplomatische Kampagne“, die man „intensiv“ führe, wie der italienische Premier Paolo Gentiloni erklärte. Neben der norditalienischen Stadt, Wien und Bratislava haben sich für die Arzneimittelagentur auch Amsterdam, Athen, Barcelona, Bonn, Brüssel, Bukarest, Kopenhagen, Helsinki, Lille, Porto, Sofia, Stockholm und Warschau beworben.

Dublin, Valletta und Zagreb zogen ihre Bewerbung zurück. Für die Bankenaufsicht kandidieren neben Wien und Frankfurt Brüssel, Dublin, Paris, Prag, Luxemburg und Warschau.

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