„Beispiellose saudische Einmischung“
Nach der plötzlichen Rücktrittsankündigung von Ministerpräsident Saad Hariri am Samstag und seinem umstrittenen Aufenthalt in Riad wächst die Sorge, ein neuer Stellvertreterkonflikt könnte zwischen den Erzrivalen Saudi-Arabien und Iran ausbrechen. Die vom Iran unterstützte libanesische Schiitenmiliz Hisbollah wirft Saudi-Arabien vor, sich in „beispielloser“ Weise im Libanon einzumischen.
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Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah sprach am Freitag in einer TV-Ansprache von einer Kriegserklärung Saudi-Arabiens an den Libanon. Nasrallah warf der saudischen Führung zugleich vor, Israel zu einem Schlag gegen den Libanon aufwiegeln zu wollen.
Hariri sei dem einflussreichen Hisbollah-Anführer zufolge von den Machthabern in Riad zum Rücktritt gezwungen worden und befinde sich dort nun in Hausarrest. Er müsse in seine Heimat zurückkehren, forderte der Chef der einflussreichen schiitischen Hisbollah-Bewegung. Frankreich, Deutschland und die USA haben nach eigener Darstellung keine Kenntnis von einem Hausarrest Hariris in Saudi-Arabien.

APA/AFP/Bandar Al-Jaloud
Hariri zusammen mit dem saudischen König Salman ibn Abd al-Asis
Der libanesische Staatschef Michel Aoun forderte von Saudi-Arabien am Freitag dennoch, dass Hariri in den Libanon zurückzukehren habe, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf libanesische Medienberichte. Aoun soll dem saudi-arabischen Geschäftsträger Walid al-Buchari erklärt haben, dass die Umstände von Hariris Rücktritt inakzeptabel seien. Auch der Drusenführer Walid Dschumblatt rief neben der an der Regierung beteiligten Hisbollah Hariri dazu auf, in seine Heimat zurückzukehren. Die Regierung sei im Amt und nicht zurückgetreten, sagte Nasrallah dazu.
Aoun fordert Klarstellung
Am Samstag forderte Aoun Saudi-Arabien neuerlich zur Klärung des Verbleibs von Hariri auf. Saudi-Arabien müsse „die Gründe darlegen, die die Rückkehr von Ministerpräsident Hariri nach Beirut verhindert haben“, hieß es in einer Erklärung des Präsidenten. Die Umstände von Hariris Rücktritt bezeichnete Aoun als „obskur und ungewiss“.
Aoun warnte davor, die Äußerungen Hariris seit seiner unerwarteten Rücktrittserklärung eine Woche zuvor für bare Münze zu nehmen. Diese „spiegeln nicht die Wahrheit wider“, warnte der Präsident. Aoun zeigte sich besorgt angesichts der „Unklarheit, die die Umstände von Ministerpräsident Hariri seit seinem Rücktritt umgibt“.
Warnung aus dem Iran
Deutliche Worte kamen am Freitag auch aus dem Iran. „Weitere Krisen zu schüren wäre unklug und könnte nur in Tränen enden“, schrieb Außenminister Mohammed Dschawad Sarif via Twitter. Die Saudis sollten sich dem iranischen Außenminister zufolge zudem an ihre außenpolitischen Fehler der vergangenen Jahre erinnern und sie nicht wiederholen.
Als Beispiele nannte Sarif die saudische Unterstützung für den irakischen Diktator Saddam Hussein sowie die Terrormilizen Taliban und Islamischer Staat (IS). Jüngere Beispiele seien der Jemen, Katar und nun der Libanon. „Ein erfahrenerer Mensch würde es sich vorher gut überlegen, bevor er erneut eine falsche Wette eingehen würde“, so der iranische Chefdiplomat in Richtung Mohammed bin Salman, ohne jedoch den saudischen Kronprinzen beim Namen zu nennen.
Stellvertreterkrieg im Jemen
Hariri hatte am Samstag von Saudi-Arabien aus seinen Rücktritt erklärt und den Schritt mit Angst vor einem Anschlag begründet. Bereits kurz danach gab es erste Spekulationen, wonach der lange mit den Saudis verbündete Hariri zum Rückzug gezwungen worden sein könnte. Das sunnitisch geprägte Saudi-Arabien und der von Schiiten dominierte Iran gelten als Erzfeinde in der Region und tragen bereits im Jemen einen Stellvertreterkrieg aus.
Sowohl die saudische als auch die jemenitische Regierung werfen dem Iran unter anderem vor, die im Jemen gegen die Regierung kämpfenden Huthi-Rebellen mit heimlichen Waffentransporten zu unterstützen. Immer wieder ist dabei auch von einer aktiven Rolle der Hisbollah-Miliz die Rede. Nach Angaben des jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh sollen Hisbollah-Kämpfer etwa Huthi-Milizen ausbilden.
Eine aus dem Jemen abgeschossene Rakete, die Saudi-Arabien nahe dem internationalen Flughafen der Hauptstadt Riad abgefangen hat, sorgte zuletzt für eine weitere Eskalation. Saudi-Arabien und seine Verbündeten sperren seitdem jemenitische See- und Flughäfen, über die Hilfe ins Land kommt, um iranische Waffenlieferungen an die Huthis zu unterbinden. Der Iran und die Hisbollah sind zugleich wichtige Partner der Regierung im Bürgerkriegsland Syrien, wo Saudi-Arabien Rebellen unterstützt.
Zypern: Evakuierungsplan „Hestia“ steht
Nun gerät auch der Libanon verstärkt ins Blickfeld. Erst am Donnerstag rief Riad seine Staatsbürger auf, den Libanon so schnell wie möglich zu verlassen. Neben anderen Ländern folgte am Freitag auch Kuwait mit einer Reisewarnung für den Libanon.
Zypern bereitet sich unterdessen bereits auf eine mögliche große Zahl an Flüchtlingen aus dem Libanon vor. Sein Land könnte im Notfall wie 2006 erneut als eine Art Brücke für die Ausreise europäischer und amerikanischer Bürger werden, sagte der zypriotische Außenminister Ioannis Kasoulidis. Der Krisen- und Evakuierungsplan unter dem Namen „Hestia“ könne umgesetzt werden, „sobald es nötig ist“.
Im multikonfessionellen Libanon herrscht ein fragiles politisches Gleichgewicht zwischen Sunniten, Schiiten und Christen. Stärkste Kraft ist die Hisbollah, gegen die nicht regiert werden kann. Zwischen 1975 und 1990 hatte es einen blutigen Bürgerkrieg gegeben. Der Libanon befindet sich bis heute im Kriegszustand mit Israel. Eine verschärfte Eskalation gab es mit dem „zweiten Libanon-Krieg“ zuletzt 2006 mit einer Serie von israelischen Luftangriffen und dem Einsatz von israelischen Bodentruppen im Süden des Landes. Heute leidet der Libanon auch unter der Last von weit mehr als einer Million Flüchtlingen aus dem benachbarten Bürgerkriegsland Syrien.
Vermittlungsversuch von Macron
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich unterdessen bereits am Donnerstagabend bei einem überraschenden Besuch in der saudischen Hauptstadt Riad für eine friedliche Lösung der Krise eingesetzt. In einem Gespräch mit Kronprinz Mohammed habe Macron nach Angaben des Elysee-Palastes die Bedeutung hervorgehoben, die Frankreich der Stabilität und Sicherheit des Libanon zumesse.
Einen Vermittlungsversuch gab es auch von Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Dieser drückte am Freitag in einem Telefonat mit seinem saudischen Kollegen Adel al-Dschubair seine „große Sorge“ über die Entwicklung im Libanon aus. Deutschlands Regierungssprecher Steffen Seibert betonte, die deutsche Regierung sehe die Politik des Iran und seine Unterstützung des syrischen Regimes und der Hisbollah-Miliz kritisch. Sie appelliere an Saudi-Arabien und den Iran, „die politische Stabilität im Libanon nicht zu schwächen“.
Auch USA und UNO warnen
US-Außenminister Rex Tillerson warnte am Freitag „alle Parteien innerhalb und außerhalb des Libanon“ davor, das Land „als Schauplatz für Stellvertreterkonflikte“ zu nutzen oder anderweitig zur Instabilität beizutragen. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres warnte ebenfalls vor „verheerenden Konsequenzen“ einer weiteren Destabilisierung.
Die Vereinten Nationen übten auch scharfe Kritik an Saudi-Arabiens Einsatz im Jemen. Die jüngste Blockade der Flug- und Seehäfen mache das Elend der Zivilbevölkerung untragbar, berichteten UNO-Organisationen in Genf. Hilfsorganisationen hatten zuvor vor einer der weltweit größten Hungerkatastrophen im Jemen gewarnt.
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