Plädoyer für die Gewaltenteilung
Die Abkehr von den etablierten Parteien und die Sehnsucht nach Entscheidungen des Volkes hat heuer auch der Schriftsteller Ferdinand von Schirach, ausgebildeter Strafrechtsexperte neben seiner Rolle als Autor, einer kritischen Prüfung unterzogen. Bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele 2017 versuchte er, den Traum vom direkt selbst bestimmenden Volk zu Ende zu träumen.
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Vehement setzte sich von Schirach in seiner viel beachteten Rede für das Prinzip der Gewaltenteilung als eine Form von „Sieg über uns selbst“ ein. Dass man sich nach den Kapiteln großer Dunkelheit wieder an den Grundsatz aller Demokratien erinnere, den man ganz klar und einfach im Satz „Alle Macht geht vom Volke aus“ fassen könne, sei „die strahlende, die ganz und gar menschenfreundliche Idee“, so von Schirach zum Auftakt seiner Rede.
„Und zugleich kann sie alles zerstören, was wir sind“, so seine deutliche Warnung vor einer Kultur, in der „rasend schnelle Äußerungen“ regierten und jeder alles kommentieren könne. „Die Politiker selbst hätten längst mit dieser Situation zu arbeiten begonnen“ und bedienten auch den Raum zwischen Facebook, WhatsApp und Twitter.
Das neue Gefüge der Demokratie
„Das Internet hat das Gefüge der Demokratie verändert“, sagte von Schirach wertneutral. Nie zuvor hätten die Menschen so deutlich ihre Stimme erheben können; aus früheren Empfängern seien durch Soziale Netzwerke nun auch Sender geworden.
„Die Wähler sollen unmittelbar an den Entscheidungen beteiligt werden, die Bürger wüssten am besten, ‚was ihr Staat‘ braucht, (...) keine Mittler sollen mehr zwischen den Bürgern und der politischen Entscheidung stehen (...) und Volksentscheide in großem Umfang möglich werden“, skizzierte von Schirach den von der „Schwarmintelligenz“ geprägten Modediskurs. Dennoch, so erinnerte er, sei der Traum „einer umfassenden Bürgerbeteiligung“ ein sehr alter.

APA/MMV/Neumayr
Der Traum einer direkten Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger sei ein alter, so von Schirach in Salzburg
Von Schirach erinnerte an das antike Athen, er erinnerte auch an die Losung Jean-Jacques Rousseaus, der Volkswille treffe stets die richtige Entscheidung, ja dass „jedes vom Volk nicht ratifizierte Gesetz nichtig“ sei.
„BundesApp“ für die direkte Bürgerbeteiligung?
Technisch wäre eine direkte Mitbestimmung des Volkes nicht schwierig, jeder Bürger könnte über die „BundesApp“ nach der Hauptnachrichtensendung mitbestimmen. Und nach Rousseau könne der Wahl Donald Trumps, Wladimir Putins, Recep Tayyip Erdogans oder der „Brexit“-Entscheidung kein Fehler zugrunde liegen. In allen Entscheidungen drücke sich ja „der Volkswille“ aus.
Rousseau aber, so von Schirach mit Blick auf den Terreur der Französischen Revolution, „irrte“. Im Rückblick erkenne man, dass sich der Volkswillen oft „für das Falsche, Dunkle, Furchtbare“ entschieden habe.
Erinnerungen an den Fall Calas
Als Beispiel dafür bemühte von Schirach, nicht unpikant für den Ort Salzburg, die Verurteilung des Hugenotten Jean Calas 1762 in der Katholikenhochburg Toulouse. Der Vater wurde für den Tod seines Sohnes, den der Vater eigentlich aufklären wollte, selbst verantwortlich gemacht - weil es die Mehrheit des Volkes so wollte. Bekanntlich erreichte Voltaire nach einer zähen, mehrjährigen Kampagne die Rehabilitierung der Familie Calas.
Von Schirach, der selbst auf dem Boden des Theaters in „Terror“ die Not um Geschworenenurteile und Mehrheitsentscheidungen des Volkes auszuleuchten suchte, verteidigte das Prinzip der „Achtung unseres Nebenmenschen“ gegen die Auswüchse einer direkten Demokratie.
Nicht die direkte Demokratie habe uns „Siege über uns selbst“, über das unethische Tier Mensch erringen lassen, sondern unsere „Achtung vor unserem Nebenmenschen“, die sich schließlich in Magna Carta und Bürgerrechten, in Verfassungen und komplizierten Regelwerken manifestiert hätten.
Verteidigung „der Siege über uns selbst“
Die Siege über uns selbst gelte es zu schützen - nicht nur gegen Tyrannen, sondern auch gegen den „angeblichen Willen des Volkes“. „Denn der Volkszorn ist unberechenbar, er ist wild und brutal und kann jederzeit aufgestachelt werden, eine kleine Kränkung reicht dafür aus.“ Gerade in diesen aufgeregten Zeiten müssten wir also das Recht gegen die Macht stellen, so der Autor.
Gerald Heidegger, ORF.at
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