Themenüberblick

„Positive Bezeichnung“ nötig

Ein wegweisendes Urteil hat das deutsche Bundesverfassungsgericht am Mittwoch gefällt: Es forderte von der Politik, intersexuellen Menschen den Eintrag im Geburtenregister mit einem dritten Geschlecht zu ermöglichen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Intersexuellen Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, solle damit ermöglicht werden, ihre geschlechtliche Identität „positiv“ eintragen zu lassen, entschieden die Karlsruher Richter in ihrem Beschluss. Zur Begründung verwies das Gericht auf das Persönlichkeitsrecht.

Deutschland wäre mit einer Neuregelung das erste europäische Land, in dem die Registrierung eines dritten Geschlechts möglich wäre. Der Gesetzgeber muss nun laut Karlsruhe bis Ende 2018 eine Neuregelung schaffen, in die als drittes Geschlecht neben „männlich“ und „weiblich“ etwa „inter“, „divers“ oder eine andere „positive Bezeichnung des Geschlechts“ aufgenommen wird.

„Historische Entscheidung“

In einer seit November 2013 geltenden Regelung hatte der Gesetzgeber für solche Menschen lediglich die Möglichkeit geschaffen, im Geburtenregister gar kein Geschlecht einzutragen. Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, bezeichnete den Beschluss vom Mittwoch als „historische Entscheidung zur Gleichbehandlung intergeschlechtlicher Menschen“.

Im Ausgangsfall hatte ein intersexueller Mensch den Antrag auf Änderung seines Geschlechts auf „inter“ oder „divers“ im Geburtenregister gestellt. Er war als Mädchen eingetragen worden. Laut einer vorgelegten Chromosomenanalyse ist er aber weder Frau noch Mann. Der Mensch trägt nur ein X-Chromosom, ein zweites Chromosom, das ihn als weiblich (X-Chromosom) oder als männlich (Y-Chromosom) ausweisen würde, fehlt.

„Konstituierend“ für Persönlichkeit

Die Klage scheiterte zuvor in sämtlichen Instanzen, zuletzt vor dem Bundesgerichtshof. Zu Unrecht, wie die deutschen Verfassungshüter nun entschieden: Die geschlechtliche Identität sei ein „konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit“ und somit von dem im Grundgesetz verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt.

Zudem nehme die geschlechtliche Identität für alle Menschen eine „Schlüsselposition“ in der Selbst- und Fremdwahrnehmung ein. Deshalb sei auch die geschlechtliche Identität jener Menschen geschützt, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen seien.

Von Ethikrat schon 2012 gefordert

Dem Beschluss zufolge könnten in Deutschland bis zu 160.000 intersexuelle Menschen leben. Der Deutsche Ethikrat plädierte bereits 2012 dafür, dass bei Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig feststellbar ist, neben der Eintragung als weiblich oder männlich auch „anderes“ gewählt werden können solle.

Politiker von Regierung und Opposition sowie verschiedene Menschenrechtsorganisationen begrüßten die Entscheidung.

Bisher vergebliche Forderungen in Österreich

Auch in Österreich setzen sich mehrere NGOs, allen voran die Plattform Intersex, für eine Änderung der Rechtslage ein. Für die Juristin Eva Matt, sie ist eine der Mitbegründerinnen der Plattform, ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit für Kinder und Jugendliche das oberste Ziel der Arbeit ihres Vereins.

Verfahren bei VfGH anhängig

Gegenüber ORF.at verwies sie Mittwochabend darauf, dass ein ähnlicher Fall wie jener in Deutschland mittlerweile beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) anhängig sei. Der „Inter*Aktivist Alex* Jürgen“ sei mit seinem Antrag, eine Geburtsurkunde mit dem Geschlechtseitrag „inter*“ ausstellen zu lassen, in allen anderen Instanzen abgewiesen worden. Das sei jeweils damit begründet worden, dass das österreichische Gesetz „nur die Personenstandskategorien männlich oder weiblich kennt. Auch die dagegen erhobenen Berufungen wurden abgewiesen“, so Matt.

Karlsruhe habe aber nun erkannt, dass „intergeschlechtliche Menschen dadurch, dass sie gezwungen sind, das Geschlecht zu registrieren, dafür aber keinen anderen positiven Eintrag zur Verfügung haben als männlich oder weiblich, aufgrund des Geschlechts diskriminiert und in ihren Grundrechten verletzt werden“. Das „kann vom österreichischen Verfassungsgerichtshof nicht ignoriert werden“, ist Matt auf die Entscheidung des VfGH bereits „gespannt“.

„Entpathologisierung wichtig“

Vor rund zwei Jahren hatte Matt in einem Gespräch mit ORF.at zudem betont: „Wichtig ist vor allem die Entpathologisierung.“ In Österreich sei Intersexualität immer noch als Krankheit klassifiziert.

Viele Betroffene seien vor allem von den medizinischen Eingriffen ihr Leben lang betroffen, berichtete Matt. „Normierende und angleichende Interventionen an Kindern und Jugendlichen müssen verboten werden“, nannte Matt damals eine Forderung ihrer Plattform. Wenn, dann sollten Betroffene später das Recht haben, selbst die Entscheidung zu treffen, ob sie medizinische Eingriffe am eigenen Körper wünschen und ob sie entsprechende Änderungen im Personenstandsregister vornehmen lassen wollen.

Links: