Reform auf dem Rücken der Massen
In einer Blitzaktion hat die indische Regierung von Ministerpräsident Narendra Modi vor einem Jahr einen Großteil des Bargelds des Landes aus dem Verkehr genommen. Alle Banknoten im Wert von 500 und 1.000 Rupien (6,8 bzw. 13,5 Euro) wurden für ungültig erklärt - insgesamt 86 Prozent des Bargelds.
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Das Ziel: Indien sollte sich damit „aus dem Griff von Korruption und Schwarzgeld befreien“. Die Maßnahme sollte zudem den bargeldlosen Zahlungsverkehr ankurbeln und Terrorfinanzierung austrocknen. Doch die Wirksamkeit der Maßnahme bleibt umstritten.
Ärmste und Kleinunternehmer betroffen
Zwar lassen sich die wirtschaftlichen Effekte nur sehr schwer messen, Kritiker bezweifeln in einer Bilanz aber, dass die Maßnahme das wochenlange Chaos und dessen Nachwirkungen tatsächlich gerechtfertigt hätte. Denn das Manöver erwies sich vor allem für die Ärmsten des Landes als folgenreich. Die Abschaffung der kleinen Scheine sorgte für einen beispiellosen Ansturm auf die überforderten Banken und über Wochen hinweg für Turbulenzen.
Vor allem Kleinunternehmen, die in erster Linie mit Bargeld operieren, gerieten durch steigende Preise und eine sinkende Produktion über Monate in Bedrängnis. Besonders prekär war die Lage in ländlichen Gebieten, wo laut einem Bericht der Reserve Bank of India 93 Prozent der Einwohner keinen Zugang zu einer Bank und noch weniger zum Internet haben. Die weitgehend informell ablaufende Wirtschaft geriet zumindest kurzfristig heftig ins Straucheln. Im ersten Quartal des Jahres gingen eineinhalb Millionen Arbeitsplätze verloren.
99 Prozent der Banknoten eingetauscht
Das Kalkül, dass Schwarzgeld nicht eingetauscht werden würde, ging indes nicht auf. Laut einem Bericht der Reserve Bank of India vom August wurden 99 Prozent der von dem Verbot betroffenen Bankscheine, teils mit kreativen Umgehungsmodellen, eingezahlt oder eingetauscht und damit deklariert. Auch der erhoffte Aufschwung im bargeldlosen Zahlungsverkehr ist nicht eingetreten. Zudem sind der Zentralbank zufolge heute nur zehn Prozent weniger Bargeld als vor dem Verbot im Umlauf.
Den wirtschaftlichen Abstieg des Landes scheint die Bargeldreform verschärft zu haben: Indiens Wirtschaftswachstum ist in den vergangenen fünf Quartalen stetig gefallen, zuletzt auf 5,7 Prozent. Das ist so wenig wie seit drei Jahren nicht mehr. Laut einem Bericht des Finanzministeriums brachte die Reform auch nur ein unwesentliches Plus im Steuerwesen. Die Regierung erwartet sich allerdings, dass sich der Effekt „schrittweise“ zeigen werde. Zudem habe die Maßnahme die Terrorfinanzierung erschwert und eine Basis zur Ermittlung gegen Steuersünder geschaffen.
Politisch „sehr, sehr effektives Narrativ“
Dass sich die Auswirkungen de facto schwer messen lassen, nutzt der Regierung. Und trotz reichlicher Kritik stieß der Schlachtruf gegen Korruption auch auf Rückhalt in der Bevölkerung. „Politisch war die Reform ein überwältigender Erfolg“, so der Luftfahrtminister Jayant Sinha von Modis Partei BJP laut der „Financial Times“. Die Maßnahme habe die Partei als Kämpfer gegen korrupte und reiche Steuervermeider positioniert: „Es war ein sehr, sehr effektives Narrativ.“
Laut der Regierung hat die Maßnahme - ungeachtet der tatsächlichen Zahlen - der geschwächten Wirtschaft zu Aufschwung verholfen. Einer der größten Erfolge sei, dass die Steuermoral gestiegen sei. Kritiker bemängeln hingegen, dass auch eine sanftere Reform mit weniger Kollateralschäden möglich gewesen wäre. Korruptionsbekämpfung ließe sich auch auf anderen, effektiveren Wegen durchsetzen.
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