Gerüchte reißen nicht ab
Soziale Netzwerke wie Facebook setzen für ihre Finanzierung auf den Verkauf von Werbung. Diese wird auf die Nutzerinnen und Nutzer abgestimmt - mit hoher Treffsicherheit, die beunruhigende Ausmaße annehmen kann. Neben technischen Hilfsmitteln spielen darin vor allem die Nutzer selbst eine wesentliche Rolle.
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Es kann das ausgefallenste Thema sein, das im - privat geglaubten - Gespräch mit Kollegen, Freunden oder Verwandten erwähnt wird: Nur wenig später findet sich eine dazu perfekt passende Werbeeinschaltung auf Facebook. Mithörer gab es keine, auch in den Sozialen Netzwerken wurde nicht über das Thema geredet. Einzig ein Smartphone befand sich während des Gesprächs in der Tasche. Was noch vor ein paar Jahren nach Verschwörungstheorie klang, wirkt in der Zeit nach Enthüllungen von Whistleblowern wie Edward Snowden durchaus plausibel: Das eigene Handy könnte mitgelauscht haben.

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Facebook erkennt Interessen an verschiedenen Faktoren, etwa auch durch die Nutzung unterwegs
Berichte darüber häufen sich in den letzten Monaten, eine Diskussion auf der Onlineplattform Reddit brachte zuletzt Hunderte Geschichten binnen kürzester Zeit zutage. „Habe eine Heißklebepistole gekauft, bar bezahlt und nie jemandem davon erzählt. Plötzlich: eine Werbung für Heißklebepistolen auf Facebook“, erzählt ein Nutzer in seinem Beitrag, darunter reihen sich zahllose Bestätigungen für das Phänomen.
Werbechef weist Gerüchte zurück
Das Gerücht, dass das Soziale Netzwerk von Mark Zuckerberg per Mikrofon mithört, hält sich bereits seit einigen Jahren hartnäckig. Der Konzern wies das stets zurück, zuletzt ergriff auch der Leiter der Werbeabteilung von Facebook das Wort und versicherte auf dem konkurrierenden Kurznachrichtendienst Twitter: „Wir verwenden Euer Mikrofon nicht für Werbung - und haben das auch nie getan.“
Kritiker geben sich damit jedoch nicht zufrieden - und orten hinter den maßgeschneiderten Werbeanzeigen das Resultat eines großangelegten Lauschangriffs. Das Soziale Netzwerk selbst heizt diese Gerüchte an, denn in der Vergangenheit umging Facebook etwa Vorgaben des Herstellers Apple, um die eigene App versteckt im Hintergrund auszuführen.
Enorme Datenmengen benötigt
Doch das Mithören mittels Mikrofon gestaltet sich nicht einfach - und ist im Vergleich zu anderen Methoden, mit denen Anwenderinnen und Anwender „ausspioniert“ werden, relativ ineffizient. Denn selbst moderne Smartphones müssten aufgenommene Daten erst an Facebook zur Auswertung übertragen, da die Telefone nicht leistungsstark genug sind, um mehr als einzelne Reizwörter (wie „Hey Siri“ und „Okay Google“) verlässlich zu erkennen.
Geht man von rund 1,3 Milliarden Facebook-Nutzerinnen und -Nutzern weltweit und Audiodaten in Telefonqualität aus, würden alleine in einer Stunde über zwölf Petabyte - 12.000 Terabyte - auf die Übertragung dieser Daten entfallen. Erst dann könnten sie von entsprechend leistungsstarken Systemen verarbeitet werden, um nutzbare Informationen herauszufiltern - ein kostenaufwendiger Prozess.
Dass das Mitlauschen dennoch technisch umsetzbar ist, hat die BBC im Rahmen eines Versuchs gemeinsam mit einem Sicherheitsexperten gezeigt. Dazu wurde auf die Spracherkennung von Google zurückgegriffen, für die ebenfalls Audiodaten erst ins Netz geschickt werden müssen. Eine Umsetzung auf globaler Skala bleibt jedoch - zumindest vorerst - höchst unwahrscheinlich.
Protokollierung auch auf anderen Seiten
Denn Facebook, genauso wie etwa Google, stehen weit mehr Daten zur Verfügung, als dem Sozialen Netzwerk von den Nutzerinnen und Nutzern bewusst überlassen werden. Das Ausmaß ist dabei enorm: Ist man am heimischen Rechner bei Facebook angemeldet, so wird jeder Besuch einer Seite im Netz, die einen „Like“-Button verwendet, protokolliert - dazu muss der Knopf nicht erst betätigt werden.
Ein Blick in die Datenschutzrichtlinie des Konzerns zeigt auf, dass jedoch noch weit mehr gesammelt wird: Mittels Smartphone-App wird der genaue Standort ermittelt, und Geräte können unabhängig von ihrer Telefonnummer eindeutig identifiziert werden. Damit steht Facebook bereits eine Vielfalt an nützlicher Informationen zur Verfügung: Wer im Onlineversandhandel nach „Heißklebepistole“ sucht, kann ebenso erfasst werden wie Menschen, die sich in einem Baumarkt aufhalten. Welche Informationen das Soziale Netzwerk letztlich verwendet, um die Interessen der User zu erkennen, bleibt jedoch geheim.
Bekanntenkreis gibt Details bekannt
Zu den eigenen Daten kommen dann noch jene von Menschen aus dem Bekanntenkreis hinzu - auch das wird in der Datenschutzrichtlinie erläutert. Gibt man als Nutzer die eigene Telefonnummer nicht an, so kann sie dem Telefonbuch von Freunden entnommen werden. Die als „Schattenprofile“ bezeichnete - und scharf kritisierte - Strategie sorgt für ein genaueres Bild des eigenen sozialen Umfelds - und kann aus Sicht der betroffenen Anwender praktisch nicht verhindert werden.
Ergänzende Informationen kann Facebook dann auch noch von anderen Dienstleistern zukaufen. Viele Unternehmen, allen voran in den USA, spezialisieren sich auf bestimmte Arten von Daten: Seien es jene eines Einkaufs im Geschäft mit Kundenkarte oder Nutzungsdaten aus anderen Smartphone-Apps, ein Profil lässt sich in der Theorie fast beliebig erweitern.
Zufälle und Zielgruppen
Letztlich gibt es auch eine Reihe menschlicher Faktoren, die dazu beitragen, dass Werbung in Sozialen Netzwerken so passgenau scheint. Oft ist vom „Baader-Meinhof-Phänomen“ zu hören, das besagt, dass obskure Dinge wie etwa die Heißklebepistole schon zuvor beworben wurden, aber erst durch den Kauf für den Anwender relevant geworden und dadurch aufgefallen sind.
Häufig sind Themen gar nicht nur auf den unmittelbaren Bekanntenkreis beschränkt. Egal ob Winterkleidung rechtzeitig vor den ersten Schneeflocken oder ein Konzert, das in der Umgebung in den nächsten Tagen stattfindet: Oft ist die Zielgruppe für entsprechende Werbeeinschaltungen sehr groß.
Angesichts der hohen Nutzerzahl von Facebook machen selbst Tausende Berichte, die von beunruhigend treffsicheren Werbebotschaften sprechen, nur einen sehr kleinen Anteil aus - letztlich ist also auch purer Zufall bei der Anzeigenauswahl nicht auszuschließen.
Experten zweifeln an Lauschangriff
Auch Sicherheitsexperten halten es für äußerst unwahrscheinlich, dass Facebook tatsächlich mithört. Nicht nur dass der Konzern die Vorwürfe bestreitet und andernfalls - im Gegensatz zu Geheimdiensten - mit zahllosen rechtlichen Konsequenzen rechnen müsste. Bisher gibt es auch noch keine entsprechende Meldungen von Hackern, die die Funktionsweise von Smartphone-Apps leicht analysieren können. Im Gegensatz zu staatlicher Überwachung fände bei Facebook der Lauschangriff direkt auf den Geräten der Nutzerinnen und Nutzer statt - und wäre vergleichsweise leicht ausfindig zu machen.
Dass Facebook sehr wahrscheinlich nicht auf die Mikrofone seiner Nutzer zugreift, ist für viele Datenschützer aber nur ein kleiner Trost. Denn dem Sozialen Netzwerk stehen unzählige Daten über seine Anwender zur Verfügung, kaum anders sieht die Situation bei Google aus. Und auch zahlreiche Start-ups nützen die Chance, um den „digitalen Fußabdruck“ der Anwender im Netz künftig noch deutlicher zu machen. Im Hinblick auf ständig weiterentwickelte Algorithmen erscheint das Abhören von Nutzern durch Konzerne somit zunehmend überflüssig.
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