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Attraktion für Tagesausflügler

Der Ort Baarle nahe der niederländisch-belgischen Grenze ist einzigartig strukturiert: Die etwa 9.000 Einwohner teilen sich auf das Territorium beider Länder auf - jedoch unter besonderen Umständen. So gibt es nicht zwei, sondern gleich weit über zwei Dutzend Kleinstteile aus belgischem und niederländischem Gebiet, aus denen sich Baarle wie ein Puzzlespiel zusammensetzt.

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Tatsächlich ist es ein Puzzlespiel für Fortgeschrittene: Die Kleinstadt, die sich aus dem niederländischen Baarle-Nassau und dem belgischen Teil Baarle-Hertog zusammensetzt, besteht aus 22 Stücken Belgien, die gänzlich von niederländischem Gebiet umgeben sind. 16 solcher „Inseln“ liegen in Baarle selbst, sechs in der Umgebung außerhalb des Ortes.

Ortsschild in der niederländisch-belgischen Ortschaft Baarle

ORF.at/Valentin Simettinger

Ein Ortsschild gibt erste Hinweise auf die spezielle Konstellation von Baarle-Nassau bzw. Baarle-Hertog

Verwirrung pur

Doch die Verhältnisse im Ort unweit nördlich der „klassischen“ Landesgrenze zwischen Belgien und den Niederlanden sind noch verwirrender: Innerhalb von acht der zum belgischen Baarle-Hertog gehörenden Exklaven liegen wiederum niederländische Kleinstgebiete. Es ergibt sich also, dass sich innerhalb belgischer Inseln wiederum niederländische Landstriche befinden. Tatsächlich ist es unmöglich, bei Spaziergängen durch die Stadt den Überblick zu bewahren, in welchem Land man sich gerade befindet.

Die vielen Grenzen bringen viele Besonderheiten mit sich: Oft verlaufen sie mitten durch Wohnhäuser, Restaurants und Geschäfte. Doch wie hat ein solches Gewirr an Grenzen überhaupt entstehen können? Der Ursprung der komplizierten Verhältnisse geht ins zwölfte Jahrhundert zurück - auf verfeindete Adelige, deren Machtkampf in der Spaltung der Ländereien in und um Baarle mündete. Baarle-Hertog war bereits bevölkert, das heutige Baarle-Nassau war vorwiegend Ackerland.

Karte zeigt die Lage und eine Detailansicht der niederländisch-belgischen Ortschaft Baarle

Omniscale/APA/ORF.at

Zur formellen Aufteilung in zwei Länder kam es im 17. Jahrhundert: Baarle-Nassau wurde so Bestandteil der Republik der Sieben Vereinigten Niederlande. Baarle-Hertog gehörte zunächst zu den Spanischen Niederlanden, später administriert von Erzherzog Albrecht VII. von Österreich. Nach dem Aufflammen der Feindschaft der beiden Teile wurde das Dorf formal auf unterschiedliche Länder aufgeteilt. Die komplizierte Grenzziehung wurde jedoch nie aufgelöst. Die Gründung des Staates Belgien zementierte die Teilung.

Kreuzerl auf den Straßen

Es entstand jenes Bild, das sich Besuchern bei einem Streifzug durch den Ort rasch offenbart: Auf Straßen, Gehsteigen und auf Plätzen sind weiße Kreuzerl bzw. Metallpunkte zu sehen, die den jeweiligen Grenzverlauf anzeigen - mancherorts sind die Zugehörigkeiten mit „B“ bzw. „NL“ gekennzeichnet. An den Häusern ist die Nationalität an den Hausnummern erkennbar: Jene auf belgischem Gebiet sind an der kleinen belgischen Fahne zu erkennen, die niederländischen Hausnummern haben rote und blaue Streifen, in Referenz auf die Farben der niederländischen Flagge.

Grenzmarkierung auf dem Boden in der niederländisch-belgischen Ortschaft Baarle

ORF.at/Valentin Simettinger

Die Grenzziehung verläuft mitten durch einen Hauseingang - Resultat: zwei Adressen

Eine Haustür, zwei Adressen

Doch aufgrund der komplizierten Strukturen sind die Anordnungen verwirrend: So gehört etwa der Kirchplatz zu Baarle-Hertog, die Häuserfront an dessen nördlichem Rand jedoch bildet die Grenze zu den Niederlanden. Oft verlaufen Grenzen auch mitten durch Häuser - allerdings ist für das Melderegister letztlich relevant, auf welchem Staatsgebiet sich der Eingang befindet.

Freilich hält Baarle auch hier einen Spezialfall bereit. Zu entdecken ist dieser in der Loveren, einer Straße westlich vom Stadtzentrum. Hier verläuft die Staatsgrenze pfeilgenau durch einen Hauseingang. Damit gibt es zwei Adressen, die auch rechts und links von der Tür angebracht sind - eine niederländische (Loveren 19) und eine belgische (Loveren 2).

Findige Geschäftsleute

Manche Spezialfälle in Baarle brachten wiederum Geschäftsleute auf Ideen. So wirbt auch der Getränkehändler De Biergrens („Die Biergrenze“) mit einer solchen Besonderheit. Die Grenze verläuft hier durch das Geschäftslokal hindurch, auch führt das Unternehmen zwei Adressen, jedoch selbst erwählt, weil es Eingänge auf beiden Staatsteilen gibt. Auf den Rechnungen sind neben den beiden Anschriften auch zwei Telefonnummern vermerkt.

Verkäufer in der niederländisch-belgischen Ortschaft Baarle

ORF.at/Valentin Simettinger

Eine Besonderheit in Baarle: die Pyrotechnikgeschäfte

Früher hatte die Grenze durch Geschäfte auch praktische Auswirkungen - schließlich wurden die Öffnungszeiten in den Niederlanden erst später liberalisiert. In belgischen Ortsteilen durften die Geschäfte also auch abends und am Wochenende offen haben, jene auf niederländischem Boden mussten früher schließen oder durften gleich gar nicht aufsperren - auch das wurde freilich von Firmen ausgenutzt, deren Standort staatenübergreifend war.

Eldorado für Pyrotechnikfreunde

Doch auch heute sind die belgischen Ortsteile von Baarle noch Anziehungspunkte vieler Niederländer in der Umgebung. Motive gibt es einige: So ist etwa das Tanken in Belgien deutlich günstiger als in den Niederlanden. Entsprechend gibt es in Baarle Tankstellen nur in den belgischen „Inseln“ - alle anderen könnten wirtschaftlich nicht überleben. Bemerkenswert sind Geschäfte für Pyrotechnik, von denen es in Baarle sieben gibt - alle in Gehdistanz zu den anderen.

Das hat einen Grund: „In den Niederlanden dürfen Pyroshops nur drei Tage vor Silvester offen halten, in Belgien das ganze Jahr über“, erklärt Gijs ten Velde, Geschäftsführer eines größeren Shops in einer belgischen „Insel“. „95 Prozent unserer Kunden kommen aus den Niederlanden“, erzählt er. Belgisches Feuerwerk sei zudem stärker und billiger als niederländisches. Zwar ist es Niederländern nicht erlaubt, Pyrotechnik zu erwerben, doch werde man von der Polizei auch nicht kontrolliert. Ein echtes Problem sei Pyrotechnik aus Osteuropa, sagt ten Velde. „Unsere Kunden kommen aus den ganzen Niederlanden, fahren sogar von den Inseln im Norden extra nach Baarle“, beschreibt der Pyrohändler.

Vorteile durch zwei Postämter

Doch Baarle bietet weitere Möglichkeiten für sehr spezielle Erfordernisse - für die weite Anreisen aus dem Norden in Kauf genommen werden. So gibt es im Ort auch zwei Postämter, ein niederländisches und ein belgisches. Julio Hernandez kommt regelmäßig aus Rotterdam nach Baarle, um Pakete mit der Post nach Venezuela zu versenden: „Die niederländische Post liefert wegen der Sanktionen nicht nach Venezuela“, so Hernandez. Wenn er mit der belgischen Post sende, sei das kein Problem, meint er.

Auch Tabakshops gibt es in den belgischen Teilen von Baarle so einige, das hat wiederum mit den Preisen zu tun - Belgien ist auch bei diesen Waren günstiger als die Niederlande. Nicht im Sortiment ist allerdings Cannabis, das ist in Belgien verboten.

Fast alles doppelt

Doch nicht nur der Konsum lockt nach Baarle, sondern auch der Ort an sich: So zählt das örtliche Tourismusbüro eine hohe Frequenz an Besuchern in der Stadt. „Jährlich kommen 9.000 bis 10.000 Besucher“, meint Carin Adams. Sie erzählt interessierten Besuchern von zwei Bürgermeistern, zwei Rathäusern, zwei Priestern und zwei Steuersystemen. Nur die Polizei arbeite unter gemeinsamem Dach, so Adams: „Aber selbstverständlich mit zwei nationalen Einheiten.“

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