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Unbesteuert dank Tochterfirma

Man muss nicht immer in die Karibik reisen, um Steueroasen zu finden. Mit den Niederlanden hat sich inmitten Europas ein Gründungsmitglied der EU zum Steuerparadies für US-Konzerne gemausert: In den Paradise-Papers lässt sich detailliert nachvollziehen, wie es dem Konzerngiganten Nike dank seiner niederländischen Tochter gelingt, in Europa erwirtschaftete Gewinne nahezu unbesteuert ins Ausland zu transferieren.

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Kurz vor Weihnachten 2006 zeigte sich Nike-CEO Mark Parker gegenüber Wall-Street-Analysten bestens gelaunt. Einer der Gründe, die er nannte, war eine „günstigere Langzeitsteuervereinbarung in Europa“, wie in einem Transkript des damaligen Telefonats nachzulesen ist. Das habe, so Parker weiter, einen großen Vorteil gebracht.

Der Hintergrund: Die Niederlande hatten dem Sportartikelhersteller für ein ganz spezielles Steuerarrangement grünes Licht gegeben, für das immerhin eine Laufzeit von zehn Jahren vorgesehen war. Das Abkommen erlaubte es Nike, Milliarden an in Europa erwirtschaftetem Gewinn in die Steueroase Bermuda umzuleiten.

Nike-Campus in Hilversum, Niederlande

Werry Crone, Trouw

Die Nike-Niederlassung im niederländischen Hilversum

Effektive Steuerlast fällt und fällt

Die Folgen lassen sich wunderbar an der effektiven Steuerlast des Konzerns ablesen: Diese fiel sukzessive von immerhin noch 35 Prozent im Jahr 2006 auf 18,7 Prozent 2016. Im bereits abgelaufenen Steuerjahr 2017 – Nikes Geschäftsjahr endet jeweils mit Mai – zahlte der Konzern (auch dank einer einmaligen Vergünstigung durch die US-Steuerbehörde) lediglich 13,22 Prozent.

Datenleck liefert detaillierte Einblicke

Wie Nike das gelungen ist, hat das Internationale Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) im Detail nachrecherchiert: Unter dem Namen Paradise-Papers wurde am Sonntag ein neues, riesiges Datenleck mit rund 13,4 Millionen Dokumenten öffentlich gemacht.

Die E-Mails, Bankauszüge, Kreditverträge, Firmenbuchauszüge und anderen Dokumente wurden ursprünglich – wie schon 2016 die Panama-Papers – der „Süddeutschen Zeitung“ zugespielt. Über ein Recherchenetzwerk von fast 400 Journalisten und 96 Medienpartnern aus 67 Ländern wurden die Daten mehrere Monate lang ausgewertet. In Österreich waren an der Recherche der „Falter“ und der ORF beteiligt.

Datenleck Paradise-Papers

Das am Sonntag unter dem Namen Paradise-Papers veröffentlichte Leck beinhaltet eine Datenmenge von 1,4 Terabyte bzw. rund 13,4 Millionen Dokumente. Diese stammen von zwei Offshore-Dienstleistern mit Sitz in Bermuda und Singapur und umfassen die Firmenbücher von insgesamt 19 Steueroasen wie Bermuda, Cayman Islands, Aruba und Bahamas. Im Fokus steht diesmal vor allem die Anwaltskanzlei Appleby mit Hauptsitz in Bermuda mitsamt dem Offshore-Dienstleister Estera. Bis 2016 agierte man gemeinsam unter dem Namen Appleby, erst im vergangenen Jahr wurde Estera ausgegliedert.

Steuerschlupflöcher im Fokus

Am Beispiel Nike lässt sich wunderbar illustrieren, wie internationale Großkonzerne mit komplexen Firmenkonstruktionen jedes verfügbare Steuerschlupfloch ausnützen. Dabei stehen die einzelnen Gesellschaften desselben Konzerns miteinander in Geschäftsbeziehungen. Das meist zu keinem anderen Zweck, als Unternehmensgewinne in Offshore-Steueroasen umzuleiten, oder gleich in Gesellschaften, die – steuerlich betrachtet – sozusagen staatenlos sind.

Teure Markenrechte

Der Trick ist im Grunde simpel: Zentrales Element im 2006er Arrangement von Nike mit den Niederlanden war eine Konzerngesellschaft mit Sitz in Bermuda, die Nike International Ltd. Auf diese wurden einfach diverse Markenrechte von Nike für die internationalen Märkte übertragen. Lediglich auf dem Heimatmarkt USA blieb alles wie gehabt. Unter den Marken befand sich natürlich auch das weltberühmte Nike-Logo, der „Swoosh“.

In den Niederlanden wiederum fließt ein Großteil der Gewinne von Nike aus weiten Teilen Westeuropas zusammen. Denn wer etwa in Deutschland Nike-Schuhe kauft, der kauft in Wahrheit bei einer niederländischen Nike-Tochter ein. Nike Deutschland agiert lediglich als „Handelsagent“.

Fahnen am Nike-Campus in Hilversum, Niederlande

Werry Crone, Trouw

Der Nike-„Swoosh“ auf einer Flagge an der Niederlassung des Konzerns in Hilversum

Milliarden an Lizenzgebühren

Theoretisch sollten nun diese Gewinne wohl in den Niederlanden versteuert werden. Doch da waren ja noch die teuren Markenrechte: Die Tochter in Bermuda verrechnete selbstverständlich Lizenzgebühren an Nikes Europazentrale mit Sitz in den Niederlanden. Damit flossen über die folgenden Jahre Milliarden an Gewinn aus Europa ins Steuerparadies Bermuda. Dort, das zeigen die Paradise-Papers, hat Nike weder Angestellte noch Büros. Um die Dimensionen etwas greifbarer zu machen: Gegenüber dem US-Finanzgericht gab Nike 2016 an, dass die Lizenzgebühren, die 2010, 2011 und 2012 – also für gerade einmal drei Jahre – nach Bermuda geflossen waren, insgesamt 3,86 Milliarden Euro betrugen.

Der „Swoosh“ zieht um in die Niederlande

Doch das schöne Arrangement mit den Niederlanden lief 2014 aus. Was also tun? Im Grunde war nur sehr wenig nötig, was auf den ersten Blick überraschen mag: Nike setzte von da an noch viel stärker auf die Niederlande. Der „Swoosh“ und andere (internationale) Markenrechte wurden von Bermuda abgezogen und auf die neue niederländische Konzerntochter Nike Innovate CV übertragen.

Staatenlose Lizenzgebühren

Diese niederländische Gesellschaftsform der „commenditaire vennootschap“, kurz CV, weist eine Besonderheit auf: Gehört sie einem Unternehmen mit Sitz außerhalb der Niederlande, ist sie aus niederländischer Steuersicht im eigenen Land nicht steuerbar. Der Gewinn einer CV wird steuerlich behandelt, als habe diesen die Muttergesellschaft im Ausland erwirtschaftet. Dort wiederum sieht man die Gewinne der CV als eine Sache für die niederländische Steuer. Mit anderen Worten: Im – aus Konzernsicht – besten Fall wird die niederländische CV sozusagen als staatenlos betrachtet.

CV als beliebte Gesellschaftsform bei US-Multis

Selbstverständlich ist Nike nicht der einzige US-Großkonzern, der sich der niederländischen CVs bedient, um die Gewinnbesteuerung nach Möglichkeit zu umgehen. In den Paradise-Papers finden sich diverse andere Beispiele. Und das ICIJ hat sich zudem die 500 größten börsennotierten US-Konzerne genauer angesehen und ganze 214 Tochtergesellschaften identifiziert, die als niederländische CVs gegründet worden waren. Nike alleine besitzt aktuell elf davon.

Uber, NetApp und Tesla setzen auf die CV

Demnach hat auch der Fahrdienstvermittler Uber eine niederländische CV im Portfolio – wie Nike wurde die Gesellschaft mit Hilfe von Appleby bzw. Estera aufgesetzt. Gleiches gilt für das Datenspeicherunternehmen NetApp. Und für den Elektroautohersteller Tesla wurden von Appleby offenbar in der firmeneigenen Niederlassung auf der Isle of Man Infotreffen veranstaltet. Auf Nachfrage des ICIJ erklärte Tesla allerdings, man habe keinerlei Steuervorteile aus der CV gezogen.

Die große Frage: Steuern oder nicht?

Über ein komplexes Geflecht an verschiedenen, hintereinander geschalteten CVs gehen die Lizenzgebühren aus den Niederlanden schlussendlich wohl an eine Tochtergesellschaft von Nike Inc. im US-Bundesstaat Delaware. Und dort wiederum werden Unternehmen zwar grundsätzlich besteuert, nicht aber, wenn es sich um immaterielle Vermögenswerte wie das Nike-Logo handelt.

Stellt sich abschließend die Frage, ob Nike für die Milliarden an Lizenzgebühren, in die ein guter Teil der Gewinne aus Europa fließt, überhaupt Steuern zahlt. Auf die Frage des ICIJ, ob Nike Innovate CV in irgendeinem Land eine Steuererklärung abgibt oder tatsächlich „staatenlos“ ist, gab Nike keine Antwort. In einem Statement erklärte der Konzern allerdings: „Wir stellen rigoros sicher, dass unsere Steuererklärungen genau abgestimmt sind mit der Art und Weise, wie wir unser Geschäft führen, den Investitionen, die wir tätigen, und mit den Arbeitsplätzen, die wir schaffen.“

Aus für die „Steueroase ums Eck“

Doch diese für US-Konzerne so vorteilhafte Konstruktion blieb nicht ohne Aufmerksamkeit vonseiten der EU. Dank einer neuen EU-Richtlinie aus 2017 müssen die Niederlande ihr Steuerrecht verschärfen und das für die Großkonzerne so vorteilhafte Steuerschlupfloch schließen. Allerdings gibt es eine Übergangsfrist. Bis 2022 könnte der Steuertrick immerhin noch funktionieren.

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